Es geht jetzt auch nicht mehr darum, wer für das Renaturierungsgesetz ist und wer dagegen. Ob diese europäische Maßnahme sinnvoll ist oder nicht. Es geht letztlich auch nicht mehr darum, ob Gewessler mit ihrem Ja einen Gesetzes- oder Verfassungsbruch begeht. Das muss zwar unbedingt geklärt werden, ist aber in erster Linie eine Angelegenheit von Juristen.
Politisch steht seit Sonntag ein ganz anderes Thema im Vordergrund: Was ist von einer Bundesregierung zu halten, wenn ein Bundeskanzler bei einem EU-Vorhaben eine ganz klare Position hat, diese auch öffentlich kundtut und eine seine Ministerinnen das Gegenteil macht. Wie kann so eine Koalitionsregierung noch konstruktiv geführt werden?
Ausweg Koalitionsende
Jetzt ist schon klar: In Österreich hat der Kanzler laut Verfassung keine Richtlinienkompetenz gegenüber seinen Ministern. Er kann also nicht direkt eingreifen. Dennoch darf einer Regierung so etwas nicht passieren. Was gibt das auf der europäischen Ebene für ein Bild ab, wenn eine nationale Regierung in Brüssel – in diesem Fall in Luxemburg – nicht mit einer Stimme spricht? Was bedeutet das für die Zukunft? Kann von nun an jedes Regierungsmitglied auf EU-Ebene agieren, wie es will? Oder benötigt die kommende Regierung gar einen Sideletter, der die Auftritte und das Abstimmungsverhalten in der EU-Zentrale genau regelt?
Wenn diese sonntägige Pressekonferenz von Leonore Gewessler nicht die Konsequenz hat, dass die türkis-grüne Koalition sofort beendet wird, gibt man sich einer gewissen Lächerlichkeit preis. Im eigenen Land, aber vor allem auch in Europa. So bitter ein sofortiger Schlussstrich auch sein mag, weil doch noch einiges beschlossen werden sollte, er dürfte der einzige Ausweg sein.
Der Schritt von Gewessler hat natürlich auch innerparteiliche Auswirkungen. Sowohl bei der ÖVP als auch bei den Grünen. Während sich auf der einen Seite die Klimaschutzministerin im Hinblick auf den Wahlkampf wieder als Aushängeschild präsentiert hat, steht auf der anderen Seite plötzlich Karl Nehammer bei seinen eigenen Funktionären einmal mehr auf dem Prüfstand.
Er muss ein Zeichen setzen, um nicht erneut in den Verdacht zu geraten, sich von den Grünen gängeln zu lassen. Noch dazu, wo es um Gewessler geht, die in seiner Volkspartei für die meisten Funktionäre ohnehin ein rotes Tuch ist. Und dieses Zeichen wird deutlich sein müssen. Auch mit Bedacht auf seine schwarzen Landeshauptleute, die sich nach dem Gewessler-Ja ebenfalls brüskiert fühlen.
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