Nehammer: "Ein Gewessler-Ja wäre ein Rechtsbruch“
KURIER: Herr Bundeskanzler, verschiedene Regionen in Österreich sind in den vergangenen Tagen von schweren Unwettern heimgesucht worden. Ist das nicht ein Signal, dass man mehr gegen den Klimawandel tun muss?
Karl Nehammer: Die wichtige Botschaft für die Gebiete, wo das passiert ist, ist ein großes Danke an die Einsatzkräfte. Es ist unglaublich, wie intensiv – meist freiwillig – geholfen worden ist und wird. Für die Opfer muss die Botschaft klar sein, dass die Bundesregierung jederzeit bereit ist, den Katastrophenfonds weiter aufzustocken. Es geht um schnelle Hilfe.
Und der Klimawandel?
Generell müssen wir festhalten, dass jede Initiative, die das Klima schützt, richtig und wichtig ist. Man muss aber das Klima als das verstehen, was es ist: Klimaschutz ist ein globales Anliegen. Es reicht nicht Österreich, nicht die EU. Wir müssen vielmehr vernetzt mit den großen Volkswirtschaften USA, Indien und China etwas beitragen, um CO2 zu reduzieren. Was kann Österreich tun? Wir haben hohe Standards, wir haben die Technologien. Das müssen wir exportieren, damit wir gemeinsam etwas für den Klimaschutz tun können. Was wir nicht tun sollten: uns durch eine Verbotspolitik das Wasser abgraben und somit die Handlungsfähigkeit verlieren.
Im Vorfeld der EU-Wahl haben Sie Technologieoffenheit gefordert und das Aus für den Verbrenner-Motor kritisiert. Hat das Wahlergebnis bestätigt, dass das Thema den Menschen unter den Fingernägeln brennt?
Es ist ein Thema, das sehr menschennahe ist. Österreich ist ein Autoland. Ich bin für diesen Ausspruch schon sehr kritisiert worden. Aber er stimmt, weil viele Menschen in der Autozulieferer-Industrie und in der Metall verarbeitenden Industrie arbeiten. Weil wir technologisch hier ganz vorne mit dabei sind. Das muss erhalten bleiben, weil das Investitionen in den Standort, Arbeitsplätze und Wohlstand in Österreich bedeutet.
Da sind wir wieder beim Klimaschutz.
Die Frage ist, wie das Auto angetrieben wird, wie die Energie gewonnen wird. Ein Elektroauto, das mit Strom aus einem Braunkohlekraftwerk geladen wird, ist nicht CO2-neutral. Das ist ein Mythos. Hingegen kann ich mit einem Verbrenner, bei dem ich Biodiesel beimische, dramatisch die CO2-Emission reduzieren. Auch da müssen wir noch innovativer werden. Wenn ich an E-Fuels denke, kann man auf Null-Emissionen kommen. Warum sollen wir uns selbst dieser technologischen Fortschritte berauben?
Es gibt genug Wissenschafter, die sagen, so eine Entwicklung läuft in die falsche Richtung.
Aber die Europäische Union ist der einzige Teil der Welt, der ein Verbrenner-Verbot beschlossen hat. Nicht die USA, nicht Asien, nicht Lateinamerika. Der größte Hersteller der Welt, Toyota, setzt nach wie vor auf den Verbrenner-Motor. Vielleicht ist es auch gut, die europäische Attitüde, alles besser zu wissen, einmal hintanzustellen und sich den globalen Markt anzusehen. Wir dürfen in der Union den Wettbewerbsvorteil unserer Innovation nicht verlieren.
Im Zusammenhang mit der EU-Wahl ist ein weiteres Thema wieder ganz oben auf der Agenda: die Asylpolitik und die illegale Migration. Hat Sie das überrascht?
Ich habe gesagt, ich nehme das Ergebnis der EU-Wahl sehr ernst, und ich habe die Botschaft verstanden. Da gehört dazu, dass die Menschen nach wie vor wegen der illegalen Migration große Sorgen haben und verunsichert sind. Ziel meiner Politik ist es, dass ich diese Ängste ernst nehme. Dass ich die Ängste aber nicht verstärke, sondern diesbezügliche Probleme löse.
Was kann die Regierung da vorweisen?
Wir haben erreicht, dass die illegalen Grenzübertritte an der ungarischen Grenze um 97 Prozent zurückgehen. Wir haben erreicht, dass es jetzt schon 15 EU-Staaten gibt, die unterstützen, dass Asylverfahren in sicheren Drittstaaten erledigt werden sollen. Wir müssen klar machen, dass ein Rechtsbrecher bei uns kein Aufenthaltsrecht hat und gehen muss. Deswegen prüft das Innenministerium, wie Abschiebungen wieder nach Syrien durchführbar sind, wie Abschiebungen nach Afghanistan möglich sind, wie es der deutsche SPD-Bundeskanzler Scholz seit Kurzem auch fordert. Das ist nicht sehr einfach.
Es gibt in diesem Zusammenhang aber auch Themen, die im Land gelöst werden müssen. Seit dem Hamas-Überfall am 7. Oktober in Israel und dem Vergeltungskrieg gibt es in Österreich Pro-Palästina-Demos. Die Menschen fürchten sich vor einem zu starken Islamismus. Was passiert da?
Man muss hier differenzieren. Einerseits kämpfen wir als Bundesregierung sehr konsequent gegen den politischen Islam, der tatsächlich eine Gefahr ist. Wir kämpfen gegen Islamisten, die die Freiheit und Sicherheit in Österreich bedrohen. Warnen möchte ich aber davor, dass hier eine Spaltung in der Gesellschaft vorangetrieben wird. Man darf keinen Generalverdacht aussprechen und Menschen gegeneinander ausspielen. Wir brauchen ein friedliches Zusammenleben in unserem Land. Diejenigen, die sich nicht an die Regeln halten, müssen die volle Härte des Gesetzes spüren. Aber nur die.
Trotz dieser Maßnahmen, die Sie aufgezählt haben, scheint das Thema Asyl nur der FPÖ Wählerstimmen zu bringen. Warum?
Es ist nicht so. Wir haben bei der EU-Wahl gesehen, dass der Abstand maximal 0,8 Prozentpunkte sind. Es ist zwar sichtbar, dass die Menschen noch immer nicht zufrieden sind, aber es ist auch sichtbar, dass es möglich ist, die Menschen auf diesem Weg mitzunehmen. Kein einziges Problem löst sich durch polemisches Schreien und hetzen vom Außenrand oder durch destruktives Verhalten. Es muss Lösungen geben. Wie zum Beispiel in Wien-Favoriten, wo verstärkte Polizeieinsätze für mehr Sicherheit sorgen. Solche Probleme zu lösen, ist nicht einfach, ist das Bohren von harten Brettern. Es gibt aber mein Versprechen, dass wir hier nicht locker lassen.
Man wird sehen, wie sich das dann am Tag der Nationalratswahl auswirkt.
Im Ministerrat wird beschlossen, dass der 29. September der Wahltag ist. Damit habe ich das Versprechen gehalten, dass diese Regierung die volle Legislaturperiode durcharbeitet.
Könnte es nicht sein, dass die türkis-grüne Koalition bereits am kommenden Montag zerbricht, wenn sich Klimaschutzministerin Leonore Gewessler nicht an die Vorgaben der Regierung und der Bundesländer hält und auf EU-Ebene für das umstrittene Renaturierungsgesetz stimmt?
Ich gehe nicht davon aus, dass sie das macht, weil das ein Rechtsbruch wäre.
Zurück zur EU-Wahl. Das hat es bisher noch nie gegeben, dass in der ÖVP-Zentrale gejubelt wird, obwohl man nur Platz zwei erreicht hat.
Das liegt daran, dass uns alle Prognosen vor dem Wahltag, die publiziert worden sind, weit abgeschlagen gesehen haben. Teilweise sogar auf dem dritten Platz. Das Bild ist jetzt ein anderes. Die Freude der Funktionäre gab es nicht wegen des zweiten Platzes, sondern weil wir weit über den Erwartungen aller Prognosen waren. Dennoch nehme ich sehr ernst, dass uns die Menschen am Wahltag gezeigt haben, dass sie nach wie vor nicht zufrieden sind. Daran werde ich mit meinem Team hart weiterarbeiten.
Das Ergebnis der EU-Wahl wurde von der SPÖ so gedeutet, dass es nach der Nationalratswahl eine Koalition von ÖVP und FPÖ geben wird. Ist dem so?
An dem Nein zu Herbert Kickl als Person hat sich nichts geändert. Man sollte aber auch mit den Spekulationen aufhören. Es wird erst der Wahltag über die Auftragsverteilung entscheiden. Ich habe klargestellt, dass ich nicht mit Herbert Kickl in eine Regierung gehen werde, weil er sich selbst radikalisiert hat und ein Verschwörungstheoretiker geworden ist. Mit so jemandem kann man keinen Staat machen.
Und wie sehen Sie die Gruppierung auf der linken Seite des Spektrums, die SPÖ von Andreas Babler?
Auch da wird man sehen, wie die Wähler gewichten. Ich kann nur sagen, dass die SPÖ versucht, mit alten Rezepten Probleme der Zukunft zu lösen. Marxistische Ideen haben keinen Platz in der Zukunftsgestaltung.
Wie beurteilen Sie das Wahlergebnis auf EU-Ebene?
Für die Europäische Volkspartei war es ein guter Wahltag, weil wir innerhalb der EU wieder zulegt haben. Die Radikalisierung der Ränder ist auch bei dieser Wahl sichtbar geworden. Das war erwartbar. Entscheidend ist, dass wir als Volkspartei die Mitte vertreten und ansprechen. Jetzt geht es darum, dass man im Parlament vernünftige Kräfte findet, die das mittragen. Dann kann es gelingen, eine neue Kommission zu etablieren, die die Fehler der letzten Kommission nicht wiederholt. Ich halte es für einen Fehler, dass es in den vergangenen fünf Jahren eine Verbotskultur gegeben hat. Wir brauchen wieder mehr Freiheit für die Wirtschaft.
Unterstützen Sie weiterhin EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen?
Es war innerhalb der EVP so vereinbart, und ich werde mich daran halten.
Trotz der Verbotskultur, für die auch sie steht?
Sie hat vieles von dem zurückgenommen, und sie hat gesehen, dass das links dominierte Parlament einen enormen Druck auf die Kommission ausgeübt hat.
Wann wird Österreich bekannt geben, wer in die EU-Kommission geschickt wird?
Zunächst ist es ein Regierungsthema, weil wir uns auf der Ebene einigen müssen. Es ist also derzeit ein Koalitionsthema. Außerdem gilt es für mich, in vielen informellen Gesprächen herauszufinden, welche Bereiche Österreich in der Kommission angeboten werden.
Ist es in der Koalition schwieriger geworden, weil Vizekanzler Werner Kogler gesagt hat, dass ein diesbezüglicher Sideletter der beiden Parteien nicht mehr zählt?
Er hat das ja wieder relativiert. Es gibt diesen Sideletter mit den Unterschriften von Sebastian Kurz und Werner Kogler. Darin ist enthalten, dass eine EU-Kommissarin oder ein EU-Kommissar der ÖVP zusteht. Und er kennt den Grundsatz, dass Verträge gelten, wenn sie einmal unterschrieben sind.
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