Gewessler will für Renaturierung stimmen, Edtstadler sieht "Verfassungsbruch"

Gewessler will für Renaturierung stimmen, Edtstadler sieht "Verfassungsbruch"
Gewessler betonte, sie könne es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren, weiter zuzuwarten. Laut WWF-Umfrage sind 82 Prozent für das Gesetz. ÖVP-Ministerin droht unterdessen mit rechtlichen Konsequenzen.

Die Umweltminister der EU-Mitgliedsstaaten treffen einander morgen, Montag, in Luxemburg. Wichtigster Diskussionspunkt ist das EU-Renaturierungsgesetz - ein zentrales Gesetz im "Green Deal" der EU-Kommission. 

Ob es zu einer finalen Abstimmung kommt, ist noch offen. Österreichs Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) geht jedenfalls mit einer klaren Position in die Gespräche: Sie will für Österreich zustimmen, wie sie in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz am Sonntag erklärte. 

Hinhalten und Verzögern sei zwar bequem, sie selbst könne es mit ihrem Gewissen aber nicht vereinbaren, weiter zuzuwarten, betonte die Ministerin. Das Gesetz würde regeln, wie man den Lebensraum Natur schützt und erhält. "Man kann die Tatsache nicht übersehen, dass da, wo früher Natur war, jetzt Tristesse herrscht." Klar sei: "Wenn es so weitergeht, haben wir irgendwann keine Natur mehr."

Durch das Nature Restoration Law sollen bis  2050 alle zerstörten Ökosysteme der EU wiederhergestellt werden oder unter Wiederherstellung sein. 

Das Zwischenziel bis 2030 ist, dass für 20 Prozent aller Meeres- und Landflächen in der EU Wiederherstellungsmaßnahmen in Kraft sind. So sollen etwa Moore wieder vernässt, Flüsse renaturiert und Wälder zu Mischwäldern werden.

Gegner sagen, dass durch die EU-Renaturierung die Lebensmittelsicherheit gefährdet wäre. Dem widerspricht aber die Wissenschaft mit dem Argument, dass ohne Renaturierung  die Nahrungsmittelsicherheit garantiert gefährdet ist. 

"Ideologie darf niemals über dem Recht stehen"

Die ÖVP reagiert prompt - und zwar in Person von Europaministerin Karoline Edtstadler. "Wenn Bundesministerin Leonore Gewessler morgen im Rat so abstimmt, wie sie es heute in ihrer Pressekonferenz angekündigt hat, begeht sie vorsätzlich einen Verfassungs- und Gesetzesbruch. Das ist in höchstem Maße unverantwortlich und befremdlich, ist sie doch wie alle übrigen Regierungsmitglieder vom Bundespräsidenten auf die Verfassung angelobt." Ideologie dürfe niemals über dem Recht stehen, richtete Edtstadler der grünen Ministerkollegin aus. 

In der schriftlichen Stellungnahme heißt es weiter, dass die Klimaschutzministerin verfassungsrechtlich an die Stellungnahme der Bundesländer gebunden sei. Und auch an das Bundesministeriengesetz, wonach sie das Einvernehmen mit dem Landwirtschaftsministerium herzustellen hat. 

"Sich über die Verfassung und über Gesetze zu stellen, ist eine neue Dimension", sagt Edtstadler. "Das muss und wird rechtliche Konsequenzen haben."

Auf Nachfrage des KURIER im Kanzleramt, was das bedeutet, heißt es: "Wir beraten über die weiteren Schritte." Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) sprach von "Koalitionsbruch".

Keine Angst vor Koalitionsbruch

Gewessler hat offenbar eine andere Rechtsansicht, wie sie in ihrer Pressekonferenz erklärte. Sie habe sich in den vergangenen Tagen mit Juristen beraten, wobei sich verdichtet habe: "Eine Zustimmung ist möglich." 

Wie berichtet, war zuletzt ja fraglich, ob die Grünen-Ministerin zustimmen darf, wenn die ÖVP-Minister, die mit der Materie am Rande ebenfalls befasst sind, dagegen sind und es ein Veto aus den Bundesländern gibt. Dieses Veto sei aber nicht mehr einheitlich, verwies Gewessler auf Wien. Dort gebe es einen Beschluss, dass man das EU-Renaturierungsgesetz nun doch unterstützt. 

"In diesem Moment braucht es Mut und aus diesem Grund werde ich dem Gesetz zustimmen", sagte Gewessler, die weiter dafür kämpfen will, dass es morgen überhaupt zu einer Abstimmung kommt.

Einen Koalitionsbruch fürchtet sie nicht. "Wir haben in den vergangenen Jahren gemeinsam viel weitergebracht. Daran hat sich nichts geändert." Sie verweist auf Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig, der einmal dafür gestimmt habe, die Umweltstandards in der EU-Agrarpolitik abzuschwächen. Gewessler: "Danach haben wir auch weitergearbeitet." 

Wovor sie sich fürchte, seien die Konsequenzen, wenn das Gesetz nicht beschlossen wird. "Wir brauchen die Natur als unsere Lebensgrundlage. Dieses Gesetz wird sicherstellen, dass wir diese auch weiter haben können." 

Reaktionen von Schwarz bis Pink

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sagte am Rande der Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz, es gebe klare Regeln. "Ich gehe davon aus, dass die Ministerin, die Verfassung einhalten wird, auf die sie angelobt ist." 

Eine Zustimmung Gewesslers wäre "das Ziel", aber "juristisch nicht ganz einfach", meinte dagegen Vizekanzler Werner Kogler (Grüne). Er sei davon überzeugt, dass das Klimaschutzministerium noch rechtliche Beratungen einholt, so Kogler in der Presse. "Es ist Neuland. Aus meiner Sicht - und der Sicht verschiedener Juristen - bestehen durchaus Möglichkeiten, diese Blockade der Länder rechtlich zu hinterfragen."

Die FPÖ forderte dagegen Bundeskanzler Nehammer zum "Durchgreifen" gegen das "Renaturierungsdiktat aus Brüssel" auf. Gewessler habe sich über die Länderinteressen hinweggesetzt und "ein EU-ideologisches Wahlkampfmanöver auf dem Rücken unser Land- und Forstwirtschaft gezündet", befand die freiheitliche Salzburger Landeshauptmann-Stellvertreterin Marlene Svazek.

Die SPÖ zeigte sich unterdessen "erfreut über die längst überfällige Einsicht Gewessler", wie es in einer Aussendung von Parteichef Andreas Babler und SPÖ-Umweltsprecherin Julia Herr hieß. Durch das Bekenntnis der SPÖ-geführten Länder Wien und Kärnten zur Renaturierung konnte der Druck auf die Regierung nochmals erhöht werden. 

Offensichtlich könne sich Ministerin Gewessler in Sachen Klimaschutz zwar auf die SPÖ verlassen, nicht aber auf den eigenen Koalitionspartner. „Wenn es um den Schutz unserer Lebensgrundlagen geht, kann man auf die SPÖ vertrauen“, bekräftigen sie. 

Auch die Neos begrüßen die Umsetzung des Gesetzes, teilte Neos-Klimasprecher Michael Bernhard mit. "Die Menschen in Österreich haben null Verständnis für das gegenseitige Blockieren in einer gescheiterten Koalition und das ewige Hickhack zwischen Bund und Ländern. Sie erwarten sich zu Recht, dass Regierende ihrer Verantwortung nachkommen und arbeiten."

Mikl-Leitner will für "Naturparadies" garantieren

In den ÖVP-geführten Bundesländern war es am Sonntag verhältnismäßig ruhig.  Vorarlbergs Regierungschef Wallner sah in einer Aussendung einen "klaren Koalitionsbruch auf Bundesebene und einen schweren Vertrauensbruch gegenüber den Bundesländern". Die rechtliche Lage sei eindeutig, und daran habe sich Ministerin Gewessler zu halten. Einen Gesetzesbruch Gewesslers fände er "sehr befremdlich und unverantwortlich", so Wallner. Gewessler wolle "aus ideologischen Gründen mit der Brechstange für ein Gesetz stimmen, das eine Flut an Überregulierungen und Doppelgleisigkeiten für unser Land bringen wird", meinte auch Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP). "Eine so weitläufige politische Entscheidung ohne Abstimmung mit den Bundesländern und innerhalb der Bundesregierung zu treffen ist nicht nur verantwortungslos, sondern demokratiepolitisch gefährlich." Der schwarze Bauernbund ortete einen "Anschlag auf den ländlichen Raum".

In Niederösterreich, wo Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner derzeit den Vorsitz der Landeshauptleutekonferenz hat, war man bemüht, eine positive Botschaft für den Naturschutz auszusenden und beim EU-Renaturierungsgesetz die hohen Kosten hervorzustreichen. 

In einer Aussendung wird aufgezählt, dass das Land seit dem Jahrhundert-Hochwasser 2002 rund 1,6 Milliarden Euro investiert habe, dass ein Drittel der Landesfläche als Naturschutzgebiet ausgewiesen sei, es zwei Nationalparks, ein Wildnisgebiet und einen Biosphärenpark gebe. Mikl-Leitner: "Ich garantiere, dass Niederösterreich auch weiterhin dieses Naturparadies bleibt. Dazu braucht es kein 154-Milliarden-Belastungspaket aus Brüssel." 

Karas: "Kompromiss ist zustimmungsreif"

In der ORF-"Pressestunde" am Sonntag sprach sich auch Othmar Karas, erster Vizepräsident des EU-Parlaments (ÖVP), für das Gesetz aus. "Es ist Teil der Erfüllung unserer Klimaziele und eine Antwort auf das, was wir gerade sehen: auf Umweltkatastrophen, Murenabgänge und auf eine Situation in unserer Natur, die vieles nicht mehr auffangen kann." 

Er betont, dass es sich bei dem vorliegenden Gesetz um einen lange verhandelten Kompromiss handelt. Er selbst habe dem ersten Vorschlag der Kommission nicht zustimmt, weil er "überbordend bürokratisch" gewesen sei und den Bauern das Gefühl gegeben worden sei, dass man über sie "drüberfahren" würde. Deshalb habe das EU-Parlament mehr als 136 Änderungen vorgeschlagen. Der Kompromiss sei nun "zustimmungsreif", betont Karas. 

Auf Nachfrage, ob Gewessler im Umweltminister-Rat zustimmen soll, wiederholt er, dass er auf Zustimmung hofft. "Ob die Frau Bundesministerin zustimmen kann, das ist eine Frage der innerösterreichischen Kompetenz. Wie sie mit diesen offenen Fragen umgeht, das kann ich ihr nicht abnehmen", sagt er mit Hinweis auf die Uneinigkeit zwischen Grünen und ÖVP in der Koalition und den ÖVP-Landeshauptleuten.

82 Prozent für Zustimmung

Laut einer Umfrage des Market-Instituts (1.000 Online-Interviews) im Auftrag des WWF sprechen sich 82 Prozent der Bevölkerung für eine Zustimmung Österreichs zum EU-Renaturierungsgesetz aus. Der WWF sieht darin einen "klaren Auftrag an die Politik". 

"Inhaltlich spricht schon längst alles für eine Zustimmung Österreichs, weil wir damit unsere gemeinsamen Lebensgrundlagen in Europa sichern", sagte WWF-Programmleiterin Hanna Simons im Vorfeld der Abstimmung im EU-Umweltrat am Montag. 

Haltung der Landeshauptleute "nicht gerechtfertigt"

Eine Zustimmung Österreichs zum EU-Gesetz wird laut der Market-Umfrage überparteilich stark unterstützt - am stärksten bei Sympathisanten der Grünen, der SPÖ und der Neos mit jeweils klar über 90 Prozent (99 bzw. 97 und 96 Prozent antworten hier mit "auf jeden Fall" bzw. "eher doch"). 

Aber auch deklarierte Unterstützerinnen und Unterstützer von ÖVP und FPÖ würden es laut dieser Umfrage mit Mehrheit begrüßen, wenn Österreich für das EU-Gesetz stimmt (gesamt 72 bzw. 61 Prozent antworten mit "auf jeden Fall" bzw. "eher doch"). 

Zugleich halten es mehr als zwei Drittel für "nicht gerechtfertigt", dass mehrere Landeshauptleute ein Ja zum Gesetz verhindern wollen.

"Intakte Natur wiederherstellen"

Der WWF wertete die Umfrage-Ergebnisse auch als deutlichen Arbeitsauftrag an die heimische Politik: Über 80 Prozent der Befragten fordern, dass sie mehr unternimmt, um zerstörte Natur wiederherzustellen - also zum Beispiel Böden entsiegeln oder Flüsse und Moore renaturieren. 90 Prozent stimmen der von Market zur Auswahl gestellten Aussage zu, dass "eine intakte Natur den Schutz vor Katastrophen verbessert und damit auch eine Frage der Sicherheit des Landes" sei. 

Fast genauso viele (88 Prozent) halten es für "besonders wichtig, dass unsere Natur konsequent geschützt und wiederhergestellt wird". Dass es dafür verbindliche Ziele in Österreich und Europa geben soll, bejahen ebenfalls über 80 Prozent.

Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restauration Law) sieht vor, dass künftig mehr Wälder aufgeforstet, Moore wiedervernässt und Flüsse in ihren natürlichen Zustand versetzt werden. Nach langen Verhandlungen wurde es in einer abgeschwächten Form, die viele der früheren Kritikpunkte wie eine mögliche Gefährdung der Ernährungssicherheit berücksichtigte, im EU-Parlament beschlossen.

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