Raab: "Macht Sinn, dort hinzugehen, wo Arbeit ist"
KURIER: Das Kopftuchverbot wurde vom VfGH gekippt. Was macht Sie so sicher, dass der Straftatbestand des „religiös motivierten Extremismus“ vor dem Verfassungsgerichtshof hält?
Susanne Raab: Ich bin guter Dinge, was die Verfassungskonformität betrifft, weil viele Experten – insbesondere aus dem Justizbereich – mitgearbeitet haben. Alle Rückmeldungen, die wir im Zuge der Begutachtung erhalten werden, werden wir gewissenhaft ansehen und gegebenenfalls einarbeiten.
Wie viel Gefahr geht konkret und aktuell vom politischen Islam aus?
Der Verfassungsschutz-Bericht besagt, dass im Bereich des Extremismus die größte Gefahr derzeit vom politischen Islam ausgeht.
Von wem geht noch Gefahr aus?
Vor allem vom Rechtsextremismus und Linksextremismus. Ich bin froh, dass wir jetzt mehr Möglichkeiten haben, damit Behörden und Polizei gegen Extremisten vorgehen können. Dazu gehört die elektronische Überwachung, das Verbot der Auslandsfinanzierung und das Imame-Verzeichnis.
Wie kann man sich das Imame-Verzeichnis in der Praxis vorstellen?
Uns geht es primär darum, dass wir Transparenz darüber haben, welcher Iman in welcher Moschee predigt.
Das war bis dato nicht der Fall?
Nein. Auch die Islamische Glaubensgemeinschaft hat Interesse daran, welcher Imam in einer ihrer Einrichtungen tätig ist. Daher werden wir das Verzeichnis erstellen. Wir stehen vor dem Problem, dass es Hassprediger auch im deutschsprachigen Raum gibt, die Österreich besuchen, hier in einer Einrichtung predigen und dann wieder nach Deutschland oder in die Schweiz zurückkehren. Sollten im Internet Videos von einem Hassprediger auftauchen, wir etwa im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz Kenntnis darüber bekommen, dass der Hassprediger auch in Österreich war, dann haben wir künftig mehr Handhabe. Es muss im Interesse jeder Religionsgemeinschaft sein, zu wissen, wenn jemand in ihrem Namen Hass verbreitet.
Welche Handhabe haben Sie dann?
Wir können gegen die Einrichtungen vorgehen, die Hassprediger nach Österreich holen.
Bei den Massentests werden insbesondere Junge und Migranten nicht erreicht, heißt es. Wäre das nicht ein Fall für die von Ihrem Vorgänger Sebastian Kurz eingeführten Integrationsbotschafter?
Klar ist: Wir brauchen Multiplikatoren, Menschen aus Communities, die auf die kostenlosen Tests aufmerksam machen. Wir müssen im Integrationsbereich alles tun, um auch die Menschen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, keinerlei österreichische Medien konsumieren, zu informieren. Dafür gibt es bereits umfassende Informationskampagnen in diversen Landessprachen und vermehrt Social-Media-Aufrufe von Integrationsbotschaftern und Menschen, die gut vernetzt sind. Wir bauen das stetig aus.
Kirche und Zivilgesellschaft plädieren für die Aufnahme von Kindern aus Moria. Sie bleiben dezidiert beim Nein?
Jeder, der die Bilder sieht, ist erschüttert. Ich möchte nicht, dass auch nur ein Kind auf der Welt so leben muss. Unser Zugang ist aber die Hilfe vor Ort. Deshalb haben wir unter anderem auch mehr als 50 Tonnen Hilfsgüter nach Moria gebracht.
Die immer noch nicht bei den Flüchtlingen sind.
Wir haben als erstes Land in der EU Hilfsgüter nach Moria gebracht. Natürlich sind wir bei der Hilfe auch auf die griechischen Behörden vor Ort angewiesen. Die Tagesbetreuungsstätte mit SOS-Kinderdorf, die wir nun dort unterstützen, soll den Kindern ein menschenwürdiges Leben und bestmögliche Betreuung bieten. Und ich bitte Sie, nicht außer Acht zu lassen, dass wir allein heuer 5.000 minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge in Österreich aufgenommen haben.
Welche Perspektive haben diese Minderjährige in Zeiten der Pandemie?
Die Herausforderungen sind größer geworden, weil die Grundvoraussetzung für Integration – dass nämlich Menschen zusammenkommen – fehlt. In den Grundversorgungszentren gibt es weiter eine umfassende Betreuung wie beispielsweise Programme für einen strukturierten Tagesablauf. Menschen, die bereits einen positiven Asylbescheid haben, können derzeit Deutschkurse auch digital absolvieren. Dazu kommt das Engagement der vielen Ehrenamtlichen und der Zivilgesellschaft, für das man sich gar nicht oft genug bedanken kann.
Ist aufgrund der Pandemie und angesichts der früheren Migrationsbewegungen im Frühjahr mit einem Steigen oder Stagnieren der Asylantragszahlen zu rechnen?
Durch die Pandemie und die europaweiten Reisebeschränkungen sind die Migrationsbewegungen insgesamt stark rückläufig. Wir wissen allerdings aus den Jahren 2015 und folgenden, dass die Bewegungen sehr volatil sind.
In Anbetracht der eklatant hohen Arbeitslosenzahlen wird immer wieder von neuen Zumutbarkeitsregeln gesprochen. Vorstellbar, dass es für spezielle Gruppen spezielle Regeln gibt?
In Zeiten der Rekordarbeitslosigkeit müssen wir alles tun, damit Menschen wieder vermittelt werden. Daher haben wir uns mit dem Koalitionspartner im Regierungsprogramm darauf verständigt, einen neuen Kriterienkatalog zu erstellen. Für Menschen mit einem aufrechten Asylbescheid, die erst kurz in Österreich, noch nicht verwurzelt und ohne Job sind, macht es Sinn, dort hinzugehen, wo Arbeit ist.
Die Pandemie bringt für alle Altersgruppen und Gesellschaftsschichten Einschränkungen mit sich, die sich auf die Psyche auswirken. Werden Anlaufstellen mehr in Anspruch genommen?
Wir haben eine Rekordarbeitslosigkeit, die Einschränkung betreffend sozialer Kontakte – das schlägt sich auch in den Zahlen bei unseren Beratungsstellen nieder. Allein der Beratungsbedarf bei der Frauen-Hotline ist um rund 40 Prozent gestiegen. Was die häusliche Gewalt betrifft, so sind wir weiterhin auf einem hohen Niveau. Im April lag die Zahl der Betretungsverbote bei 1.081, im November lagen wir bei 878, im Dezember bisher 766. Doch jeder Fall ist einer zu viel.
Apropos Frauen. Arbeitsministerin Aschbacher und Sie haben die Petition „Aktion Leben“, die eine Statistik über Abtreibungen in Österreich möchte, mit einer befürwortenden Stellungnahme bedacht. Warum?
Weil es grundsätzlich zu begrüßen ist, wenn man einen Überblick über die Zahlen hat, um möglicherweise auch als Staat Hilfestellung zu geben. Wir haben aber auch betont, dass eine solche Statistik nicht im Regierungsprogramm vorgesehen ist. Die Kritik, wir wollten damit die Fristenregelung infrage stellen, geht völlig ins Leere.
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