Ich stehe weiter dazu, dass wir das Anspruchsdenken an den „Nanny-Staat“ zurückbauen müssen, denn die Erwartungen an den Staat sind zu weit gegangen. Bei der Treffsicherheit der Maßnahmen kann man immer diskutieren, ob wir bei mancher Hilfe zu sehr in die Breite gegangen sind.
Warum sagt die Politik nicht einfach: "2024 wird ein verdammt schweres Jahr“, nachdem Wifo-Chef Felbermayr bei 2023 schon von einem Jahr zum Vergessen spricht?
2023 ist ein schwieriges Jahr, 2024 wird etwas besser mit einem prognostizierten Wachstum von 1,2 Prozent. Aber natürlich ist da Luft nach oben.
Mit welcher Inflationsrate rechnen Sie für 2024? Höhere Preise bringen dem Finanzressort ja auch etwas.
Es überrascht mich immer, wenn ich lese: Der Finanzminister verdient an der Teuerung. Nein, tut er nicht und will er auch nicht. Der Staat verdient nichts an der Inflation. Im Gegenteil. Wir geben es weiter, indem wir die Menschen entlasten. Zudem haben auch wir höhere Kosten, die uns durch die Zinsentwicklung entstehen.
Wie viel Mehrkosten hat der Staat durch die gestiegenen Zinsen?
Der Bund muss alleine von Jänner bis Mai 4,4 Milliarden Euro für Finanzierungen bezahlen. Das ist ein Anstieg von 1,5 Milliarden Euro bzw. 50 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die großen Treiber sind also: Zinskosten, die Abschaffung der Kalten Progression, der Finanzausgleich und die demografische Entwicklung hinsichtlich des Arbeitsmarktes und Pensionssystems.
Welcher Bereich wird besondere Berücksichtigung im Budget 2024 finden? Klima?
Einen besonderen Fokus wird es im Bereich Wissenschaft und Forschung geben. Klimaschutz ist immer ein großes Thema. Bis 2027 stellen wir über 5 Milliarden Euro bereit.
Dass Türkis-Grün an der Budgeterstellung scheitert, weil Klimaministerin Leonore Gewessler nicht erhält, was sie will, ist also eine Mär?
An der Budgeterstellung wird die Koalition nicht scheitern. Es ist genügend Geld da. Nun müssen die Maßnahmen und Mittel nur noch auf den Boden gebracht werden.
Braucht man dazu das Klimaschutzgesetz oder reicht es - wie Grünen-Kritiker sagen - die vorhandenen Gesetze zu realisieren?
Ich finde, dass wir in den letzten Jahren viele Klimaschutzgesetze umgesetzt haben und viel passiert ist. An den vorhandenen Gesetzen und Mitteln mangelt es in Österreich nicht.
Gibt es ein Ressort, das mit weniger Mitteln auskommen wird müssen?
Es wird überall Steigerungen geben, aber es wird sicher nicht so viele Steigerungen geben, wie sich das vielleicht jedes Regierungsmitglied wünscht. Man muss als Finanzminister auch Wünsche abwehren, relativieren und hinterfragen.
Kommt in der Budgetrede das Wort Nulldefizit überhaupt vor?
Das Nulldefizit besteht als Ziel immer und darf nicht aus den Augen verloren werden. Wenn man aber seriös und realistisch ist, dann weiß man, dass es in den kommenden zwei, drei Jahren nicht dazu kommen wird können.
Noch einmal zurück zur demographischen Entwicklung: In das Pensionssystem fließen Milliarden – es wird aber so nicht mehr lange aufrechtzuerhalten sein.
Wir müssen das faktische an das gesetzliche Pensionsalter heranführen. Das brauchen wir für den Arbeitsmarkt und, um die Pensionsbeitragsentwicklungen in den Griff zu bekommen. Von 100.000 Menschen, die jährlich in Pension gehen, können sich bis zu 40.000 vorstellen, länger zu arbeiten. Genau hier Anreize zu schaffen, das wird unsere Aufgabe noch in dieser Legislaturperiode sein. Eine Pensionsreform muss in der kommenden Legislaturperiode besprochen werden.
Weil das Pensionssystem in den kommenden fünf Jahren andernfalls kippt?
Nein, das Pensionssystem wird nicht kippen, aber die Finanzierbarkeit muss möglichst früh angegangen werden.
Finanzminister Brunner könnte mit der Reform des Pensionssystem anfangen!
Der hat schon damit angefangen, indem er die Kalte Progression abgeschafft, Entlastungen eingeführt hat und Anreize für Arbeiten im Alter schaffen will.
Mehr lesen: KV-Verhandlungen - Kommt es jetzt zum Streik?
Mit welchen Gefühlen beobachten Sie derzeit die Metaller-Lohnverhandlungen zwischen zweistelligen Forderungen und einem Arbeitgeber-Angebot von 2,6 Prozent?
Ich könnte es mir jetzt leicht machen, weil es die Sozialpartner zu verhandeln haben. Aber: Die Politik hat Rahmenbedingungen zu schaffen und hat Angebote gemacht. Die Abschaffung der Kalten Progression sollte Niederschlag finden in den Gehaltsverhandlungen. Wir haben für das Jahr 2023 eine Steuer- und SV-befreite Prämie eingeführt. Das wurde aber in den KV-Verhandlungen nicht entsprechend eingesetzt. Wenn die Bereitschaft besteht, das diesmal in den Verhandlungen zu berücksichtigen, können wir das auch für das nächste Jahr vorsehen.
Sind derartige Lohnforderungen angesichts der Rezession legitim?
Ich habe Verständnis für einen hohen Lohnabschluss, der hohe Haushaltseinkommen und hohe Kaufkraft mit sich bringt – das treibt aber auch die Inflation. Dafür muss man kein Nobelpreisträger sein, das sagt einem der Hausverstand.
Verstehen Sie die Kritik am Finanzausgleich, dass die Mittel erhöht wurden, aber die Regeln und Sanktionen noch nicht festgelegt sind, für die Sie sich nun rühmen.
Wir schaffen einen Paradigmenwechsel! Erstmals gibt es Ziele und Reformen, die erreicht werden müssen. Beim letzten Finanzausgleich vor sieben Jahren hat man 300 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt – ohne Reformzielen. Diesmal haben wir besonders auf das Kompetenzzusammenspiel von Bund, Ländern und Gemeinden geachtet und mit dem Zukunftsfonds versucht, neue Wege zu bestreiten. Diesmal reden wir von 2,4 Milliarden und nicht 300 Millionen, die besonders Pflege, Gesundheit, Kinderbetreuung und Klima zugutekommen sollen.
Was sind jetzt die Ziele und Sanktionen?
Wir haben uns auf die Mittel geeinigt und jetzt sind die Ziele dran. Alle – Bund, Länder und Gemeinden - haben den Druck aus der Bevölkerung, die Ziele zu erreichen, damit sie übrige Mittel anderweitig verwenden können. Wir werden uns noch heuer auf Ziele einigen – bis zur Beschlussfassung.
Kanzler Karl Nehammer lud NGOs wegen des Burger-Videos ein. Haben wir ein Armutsproblem?
Wenn man sich die Fakten ansieht, dann wird klar, dass diese Regierung viel getan hat – von den Valorisierungen der Sozialleistungen angefangen bis zu den Unterstützungsmaßnahmen für Alleinerziehende. Die Sozialquote – also der Anteil der Sozialausgaben am BIP – war noch nie so hoch wie jetzt.
Ist die Diskussion obsolet?
Die Diskussion ist nie obsolet, aber sogar der Budgetdienst des Parlaments sagt, dass wir die untersten Einkommen am stärksten entlastet haben. Trotz Inflation haben wir die Kaufkraft erhöht.
Eine andere Diskussion, die immer geführt wird, ist die um die kommende Wahl und die des Personals. Gehören Sie einer nächsten Regierung an?
Das werde ich allein nicht entscheiden.
Es gibt Gerüchte, wonach Sie in die Privatwirtschaft wechseln wollen.
Interessant, welche Gerüchte es gibt. Finanzminister ist einer der spannendsten Jobs in dieser Republik. Sollte es die Konstellation zulassen, würde ich gerne wieder Finanzminister sein.
Ist Kanzler auch ein spannender Job?
Wir haben mit Karl Nehammer einen sehr guten Kanzler, den ich zu 100 Prozent unterstütze. Ich gehe davon aus und werde alles daransetzen, dass der nächste Kanzler der gleiche sein wird wie der jetzige.
Manchen gehen davon aus, dass Sie die ÖVP führen werden.
Wir haben einen ÖVP-Obmann und Kanzler, der einen hervorragenden Job macht – und ich bin sehr gerne der Finanzminister an seiner Seite. +
In einer türkis-blauen Regierung ein Ministeramt zu bekleiden ist vorstellbar?
Einen Bundeskanzler Herbert Kickl kann ich mir ebenso wenig vorstellen wie einen Bundeskanzler Andreas Babler.
Warum sind die Personalentscheidungen dieser Regierung so zäh?
In meinem Bereich konnte das FMSG genauso wie der OeNB-Generalrat besetzt und damit erledigt werden. Ich bin zuversichtlich, dass sich die Koalition auch in den anderen Bereichen rasch einigt.
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