Schilling gegen Egger: "Ich verteufle das Auto nicht" - "Najo"
Wie kann Österreich seine Klimaziele erreichen? Klimaaktivistin Lena Schilling fordert konkrete Gesetze, Wirtschaftsbund-Präsident Kurt Egger (ÖVP) glaubt an neue Technologien – und nicht ans „Festkleben“.
KURIER: Wie würden Sie Ihr Gegenüber beschreiben, Frau Schilling?
Lena Schilling: Seit ich auf der Welt bin, ist die ÖVP in der Regierung. Seit mindestens 30 Jahren ist klar, dass wir knietief in einer Klimakrise stecken. Die ÖVP ist also mitverantwortlich, dass die Wirtschaft nicht dementsprechend ausgerichtet ist. Deshalb gibt es jetzt eine junge Generation, die auf die Straße geht und wütend ist – zurecht.
Kurt Egger: Ich bin selbst Familienvater und habe zwei Kinder, die in einem ähnlichen Alter sind wie Sie. Mir ist es also nicht egal, in welcher Umwelt wir aufwachsen.
Schilling: Das freut mich sehr.
Egger: Fakt ist, wir haben unterschiedliche Zugänge. Auf Ihrer Seite gibt es sehr viel Ideologie. Wir sagen eher, dass Technologie, Fortschritt und Innovation der Weg zum Ziel sind. Wir wollen die Menschen auf diesem Weg mitnehmen. Andere kleben sich auf die Straße.
Schilling: Natürlich muss man die Menschen mitnehmen, das haben wir als Fridays for Future auch. Die Politik macht das nicht, sie bringt die nötigen Gesetze nicht zustande. Mit ideologischen Kampfbegriffen wie „Klimakleber“ wirft vor allem Ihre Seite um sich. Wie Sie wissen, gehöre ich nicht zu den Klimaaktivistinnen, die sich auf die Straße kleben. Man muss zwischen den Bewegungen differenzieren.
Wie sehen Sie die Klimaaktivisten, Herr Egger?
Egger: Ich habe Fridays for Future durchaus positiv gesehen, weil sie mit positiven Gedanken etwas in Bewegung gebracht haben. Aber diese Klimakleberei schadet der Bewegung, weil die Menschen einfach angezipft sind, wenn sie täglich im Stau stehen.
Schilling: Menschen kleben sich auf die Straße, weil jahrzehntelang viel zu wenig passiert ist. Wenn wir in 20 Jahren über Klimablockierer reden, werden wir nicht über Leute reden, die sich auf die Straße geklebt haben, sondern über die Politiker, die progressive Klimapolitik verhindert haben.
Aber wie soll man das Verhalten ändern? Muss man zum Beispiel Elektromotoren vorschreiben?
Egger: Das ist ein perfektes Beispiel, wie es nicht funktioniert. Wenn wir als Automobil-Standort vorschreiben, dass E-Mobilität die beste Lösung für die Zukunft ist, ohne anderen Technologien eine Chance zu geben, wandern wir von einer Abhängigkeit in die nächste: Von der fossilen Energie, die ja ach so schlimm ist, zur chinesischen Batterietechnologie.
Schilling: In den letzten 30 Jahren sind die Emissionen im Verkehrssektor am stärksten gestiegen – wegen politischer Entscheidungen. Zwischen 2000 und 2020 wurden über 500 Kilometer an Schienen abgebaut und gleichzeitig über 320 Kilometer Autobahnen und Schnellstraßen zugebaut. Natürlich haben jetzt alle das Gefühl, sie sind abhängig von ihren Autos. Große Überraschung!
Egger: Österreich besteht nicht nur aus urbanen Räumen, das Auto ist in vielen Gegenden unverzichtbar. Ich bin 25 Kilometer von Graz aufgewachsen – ohne Auto undenkbar. Ich halte nichts davon, das Auto nur zu verteufeln. Die Kinder müssen in die Schule, die Eltern zum Arbeitsplatz.
Schilling: Ich verteufle das Auto nicht.
Egger: Najo.
Schilling: Ich glaube, wir spielen nicht dasselbe Spiel. Ich mache das, weil ich tief davon überzeugt bin, dass eine alleinerziehende Mama in Österreich auch ohne Auto von A nach B kommen sollte. Dafür müssen wir die öffentliche Infrastruktur ausbauen.
Egger: Darf ich Ihnen eine Frage stellen? Laut einer neuen Umfrage wollen nur noch neun Prozent der Jungen ihr Verhalten ändern. Warum gelingt es Ihnen nicht, Ihre Altersgruppe davon zu überzeugen, wie wichtig Klimaschutz ist?
Schilling: Ich liebe es ja am meisten, wenn Entscheidungsträger die Jugend fragen: ,Warum löst ihr unsere Probleme nicht’?
Egger: Nein, was ich sage: Wir haben unterschiedliche Zugänge am Lösungsweg. Sie reden immer von Gesetzen, doch es geht nicht nur darum. Wir brauchen Verhaltensänderungen. Wenn es uns gemeinsam gelingt, diese durch Anreizsysteme herbeizuführen, ist allen geholfen.
Schilling: Wollen wir den perfekten Menschen erziehen, der nur richtige Konsumentscheidungen trifft? Ich glaube nicht. Gesetze sind eben der gemeinsame Rahmen, nach dem wir uns richten. Die Grünen versuchen ja, Sie zu diesem Rahmen zu bewegen.
Egger: Aber Gesetze werden mit Mehrheiten beschlossen. Und die Grünen heben gerade nicht ab bei Wahlen oder Umfragen.
Das Klimaschutzgesetz soll den Pfad zu CO2-Einsparungen klar festlegen. Braucht es das oder nicht?
Egger: In der Form, wie es momentan vorliegt: Nein.
Schilling: Ja, wie auch das Erneuerbaren-Wärme-Gesetz.
Sektorziele, wie Klimaneutralität im Verkehr, werden also nicht mehr angestrebt?
Egger: Ich halte nichts davon, Bereiche gegeneinander auszuspielen. Unsere Unternehmen entwickeln sich nicht weiter, weil es ein Regierungsprogramm vorschreibt, sondern weil es ein Vorteil im globalen Wettbewerb ist. Sie exportieren Know-how und machen die Welt besser. Klima kennt keine Grenzen. Mit Festkleben am Asphalt wird die Welt nicht besser.
Schilling: Sie reden immer nur über die, die sich die Hände schmutzig machen, um auf die Klimakrise hinzuweisen. Aber Sie reden nicht über die, die sich die Hände schmutzig machen, um die Klimakrise zu verursachen.
Wenn wir bis 2030 nicht 48 Prozent unserer Emissionen einsparen, drohen EU-Strafzahlungen in Milliardenhöhe. Kann der Markt so schnell regulieren?
Egger: Nicht, wenn in Österreich Genehmigungsverfahren für Kraftwerke zehn Jahre dauern, weil es jedes Mal Umweltschutzdiskussionen gibt.
Schilling: Man muss der Regierung lassen, dass es ein Rekordbudget für erneuerbare Energien gibt. Aber dann stellt sich Johanna Mikl-Leitner hin und sagt, dass es in ihrem Bundesland keine Windräder mehr geben wird. Man hat Anreize geschaffen und noch immer stellen sich Bundesländer dagegen.
Egger: Uns fehlen 100.000 Arbeitskräfte im Bereich der Alternativenergie. Davon werden wir behindert.
Schilling: Warum hat man sich in den letzten Jahrzehnten nicht darum gekümmert, dass es diese Arbeitskräfte gibt?
Egger: Vielleicht kann man sich, statt sich anzukleben, ja einbringen und Solaranlagen montieren.
Schilling: Bei unserem nächsten Gespräch trink ich jedes Mal, wenn Sie „ankleben“ sagen, einen Schnaps.
Ist zu viel blockiert worden auf Länderebene? Auch von der ÖVP?
Schilling: Der Franz Hörl…
Egger: Der Franz ist ein gutes Stichwort. Er überlegt, wie er in Gerlos Windkraftanlagen installieren kann. Sein größtes Problem ist der Transport der Anlage über die Straße hinauf. Wenn es die Möglichkeit gibt, ist er sofort dabei, davon bin ich überzeugt.
Schilling: Woher kommt Ihre Überzeugung?
Egger: Ich versuche, praktische Lösungen zu liefern. Wenn es wegen ewig langer Umweltverträglichkeitsprüfungen zehn Jahre dauert, bis da ein Windrad steht, dann kann man die Wirtschaft nicht verantwortlich machen, und die ÖVP auch nicht. Wir haben ein riesiges Investitionspaket in erneuerbare Energien, wir haben eine ökosoziale Steuerreform ...
Schilling: Die Sie immer wieder aussetzen wollen.
Egger: Wir wollen gar nichts aussetzen.
Schließen Sie aus, dass die CO2-Steuer wieder abgeschafft wird in einer möglichen anderen Regierungskonstellation?
Egger: Zuerst wird einmal gewählt, dann gibt es Mehrheiten und dann wird ein Regierungsprogramm verhandelt.
Wie weit würden Sie für Klimaziele gehen, Frau Schilling? Wären Sie für Klima-Lockdowns oder höhere Parkgebühren für SUVs?
Schilling: Nein. Ich vertrete, dass die Klimafrage eine soziale Frage ist. Die ärmsten Haushalte sind am stärksten betroffen von der Klimakrise – gerade von der Energiekrise, von hohen Heizkosten und schlecht gedämmten Wohnungen. Darum: Raus aus den Fossilen, damit wir nicht mehr so abhängig sind und die Menschen nicht mehr so hohe Preise zahlen müssen.
Herr Egger, würden Sie Klimaaktivisten, die sich festkleben, bestrafen?
Egger: Freiheiten wie das Demonstrationsrecht müssen gegeben sein. Aber wenn es darum geht, Tote riskieren zu müssen, wie ein Klimaaktivist in Dresden das kürzlich gesagt hat, dann werden Grenzen überschritten. Und das gehört auch bestraft.
Schilling: Es gibt diese Bedrohungslage kaum, weil zum Beispiel immer eine Rettungsgasse freigelassen wird. Historisch gesehen wurden die größten Errungenschaften unserer Gesellschaft durch zivilen Ungehorsam erstritten. Beim Kampf um das Frauenwahlrecht zum Beispiel haben die Frauen Bilder zerschnitten. Das finden wir nicht gut, aber dass es das Frauenwahlrecht gibt, finden wir hoffentlich beide gut.
Haben Sie nach dreieinhalb Jahren Koalition mehr Verständnis für die Klimaschutz-Positionen der Grünen, Herr Egger?
Egger: Zu Beginn der Regierungsverhandlungen war das schon sehr gewöhnungsbedürftig. Aber durch viele Gespräche bekommt man natürlich auch ein Verständnis für die andere Seite. Aus meiner Sicht funktioniert es mit den Grünen viel besser, als es oft dargestellt wird.
Und Sie Frau Schilling? Finden Sie, dass unter Türkis-Grün genug weitergeht?
Schilling: Es sind tatsächlich ein paar gute Dinge passiert, aber nicht annähernd genug. Wenn wir weiter diesen Kurs fahren, können wir in fünf bis zehn Jahren wieder hier sitzen und sagen, dass wir die Klimaziele verfehlt haben. Das möchte ich nicht. Ich möchte, dass wir einen Kurs finden, der auch für die nächsten Generationen ein politisches Feld hinterlässt, auf dem man arbeiten kann.
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