Gewessler: "Wir machen das alles ja nicht aus Jux und Tollerei"
Kaum jemand hat in der Regierung so sehr polarisiert wie Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne). Ob es ihr Nein zum Lobau-Tunnel oder ihr Ja zur EU-Renaturierung war – Gewessler sorgte wegen ihrer Haltung für Schlagzeilen.
KURIER: 2024 wird wohl wieder das heißeste Jahr der Wetteraufzeichnung, mit einem Rekord an Tropennächten und nun wieder Extremregenereignissen. Warum spielt der Klimaschutz keine Rolle in diesem Wahlkampf?
Leonore Gewessler: Weil die Grünen die einzigen sind, die das ernst nehmen, auch im Wahlkampf drüber reden und entsprechend Politik machen. Die 53 Tropennächte in Wien etwa, sind ja kein theoretisches Konstrukt, das spüren die Menschen am eigenen Leib. Und jetzt regnet es innerhalb weniger Tage so viel, wie sonst in einem Monat. Die Klimakrise ist sichtbar und spürbar für die Menschen. Ich weiß, dass Klimaschutz vielen ein großes Anliegen ist.
Denken Sie nicht, dass viele beim Klimaschutz aufgeben, weil Österreichs 0,2 Prozent Treibhausgasausstoß im Vergleich zu den weltweiten Emissionen keinen Unterschied machen? Indien will erst 2070 klimaneutral werden.
Das Argument höre ich nicht von Menschen auf der Straße, das höre ich nur von Lobbyisten, die am Status quo nichts verändern wollen, die mit ihrem fossilen Geschäftsmodell noch Gewinn bis zum Schluss rauspressen wollen.
Der Kanzler lud zum Autogipfel und will das EU-Verbrennerverbot 2035 wieder kippen. Konnten Sie ihn nicht überzeugen?
Wir Grüne machen das alles ja nicht aus Jux und Tollerei, sondern wollen unseren Planeten und unsere Lebensgrundlage erhalten. Und wir wollen auch, dass die Autoindustrie eine Zukunft hat. Mario Draghi, sagt in seiner Analyse des Standorts Europa klar, eine Voraussetzung ist die Energiewende, und wir müssen unsere Dekarbonisierungsstrategie auch umsetzen. Sonst wird Europa wirtschaftlich ins Hintertreffen geraten. Also das muss man nicht mir glauben – aber vielleicht Draghi.
Nehammer sagte dennoch, wir sind ein Autoland.
Und ich habe gekontert, Österreich ist ein Bahnland. Da sind wir weltweit in absoluten Zahlen auf Platz 4, was hervorragend ist.
Auf den Wahlplakaten der Grünen umarmen Kinder Bäume oder es steht: „Wähl, als gäb’s ein Morgen“. Wird so eine Wohlfühlkampagne der Ernsthaftigkeit der Klimakrise gerecht?
Politik hat auch die Aufgabe, zu erklären, warum wir was machen. Was ist mein besseres Morgen und wie schaut das aus. Auf einem Plakat steht genau das in Kurzform.
Dennoch dürften die Grünen ein Drittel bis zur Hälfte der Wähler zu verlieren. Können Sie sich das erklären?
Wir sind auf einer Aufholjagd, das werde ich nicht abstreiten. Deswegen sind wir im ganzen Land unterwegs und werben um jede einzelne Stimme. Jede Stimme ist ein Mandat für Klimaschutz in den Regierungsverhandlungen. Kämpfen können wir, das haben wir bewiesen.
Für die ÖVP sind sie inzwischen das Pendant zu Herbert Kickl…
Es wird Sie nicht überraschen, dass ich das zurückweise.
ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl hat sie wegen Ihrer Zustimmung zum EU-Renaturierungsgesetz als „Staatsgefährderin“ bezeichnet. Können Sie die Tonalität nachvollziehen?
Nein. Am Ende habe ich, wie auch ÖVP-Minister vor mir, nur meine Verantwortung wahrgenommen und im EU-Rat abgestimmt.
Die ÖVP hat Sie nach ihrer Zustimmung zur Renaturierung wegen Amtsmissbrauchs angezeigt. Die WKStA hat die Anzeige nun zurückgelegt. Ist der Fall für Sie aus juristischer Sicht erledigt?
Die Zustimmung zum EU-Renaturierungsgesetz war ein Sieg für die Natur. Sie war richtig und keineswegs ein Rechtsbruch, wie von mancher Seite behauptet. Ich hoffe, dass nun wieder die Natur ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit rücken kann.
War die Zustimmung zur Renaturierung die größte Tat Ihrer Amtszeit?
In diesem speziellen Moment in Brüssel, als klar war, dass Österreich jetzt zustimmt und es sich ausgeht, hast du die Erleichterung von ganz vielen Ministern und Ministerinnen greifen können. Es berührt mich enorm, wie viel positives Feedback es auf diese Entscheidung gibt. Ich würde diese Legislaturperiode aber breiter sehen. Auch die Entscheidungen rund um das Asfinag-Bauprogramm waren keine einfachen, auch das Plastikpfand mussten wir durchkämpfen.
Wann war klar, dass Sie an besagtem Montag zustimmen werden?
Es hat in der Woche davor mit dem Regierungsbeschluss in Wien Bewegung gegeben. Ich habe mich noch am Samstag vor der Entscheidung intensiv mit Juristen ausgetauscht. Am Ende war die juristische Einschätzung klar: Ja, es ist möglich, rechtskonform zuzustimmen.
Wir stehen nun am Ende der Legislaturperiode. Was ist aus Ihrer Sicht gelungen und was ist nicht gelungen?
Wir sehen, dass grüne Klimaschutzpolitik wirkt. Dass wir den klimapolitischen Stillstand von ÖVP und SPÖ, von der FPÖ rede ich gar nicht, beendet haben. Wir haben seit zwei Jahren sinkende Emissionen, wir sind auf dem Pfad zur Klimaneutralität 2040, wenn wir so weitermachen. Viele haben gesagt, das sei nicht möglich und nur eine grüne Träumerei. Wir haben gezeigt: Es geht. Auch deswegen bewerbe ich mich um eine Verlängerung.
Gerade bei der Photovoltaik sind einige Bürger sauer. Sie können ihre Anlage nicht ans Netz anschließen, weil die Landesnetze nicht ausreichen. Hat das nicht geklappt?
Von den Dingen, die im Regierungsprogramm stehen, haben wir viel abgearbeitet. Sogar Dinge, die nicht im Programm waren, wie das Einwegpfand, das 2025 kommt. Offen geblieben ist etwa ein verbindliches Ziel beim Bodenschutz. Die Bundesländer blockieren das bis jetzt, was mir unverständlich ist. Auf Asphalt wachsen keine Erdäpfel.
Zurück zu den Netzen…
Ja, eine weitere Frage ist der beschleunigte Ausbau der Netze. Es geht auch um ein neues Betriebssystem für den Strommarkt. Oder die Frage, wie wir die Industrie bis dahin unterstützen. Deswegen haben wir ein Energiewendepaket 2.0 vorgelegt, das auch die Landesnetzbetreiber verpflichtet und jederzeit beschlossen werden kann.
Das Finanzministerium (BMF) sagte, dass der Erfolg zu teuer erkauft war mit sehr hohen Förderungen, die standortschädlich seien.
Das hat mich schon sehr verwundert. Denn wenn man sich die Zahlen anschaut, geben diese unserer gemeinsam beschlossen Politik recht. Wir fördern den Umstieg auf Erneuerbare Heizsysteme, und wir sehen, das wirkt. Besser fürs Klima, besser für die Lebensqualität, besser für das Geldbörsel. Die Emissionen im Gebäudebereich sinken um 20 Prozent. Und gerade bei den erneuerbaren Heizsystemen haben wir in Österreich Firmen, die Weltmarktführer sind. Wenn wir uns schon Förderungen anschauen sollten, dann die klimaschädlichen. Da gibt es im Finanzministerium schon eine Liste, die angegangen werden sollte
Das BMF kritisiert zudem, dass beim Transformationsfonds für die Industrie, in dem drei Milliarden Euro sind, bisher nur 160 Millionen beantragt wurden. Können Sie das verstehen?
Wir haben den Fonds in jährlichen Tranchen aufgelegt. Die Tranche für 2023 wurde komplett ausgeschöpft. Es ist gut, dass der Fonds längerfristig und vorhersehbar ist, gerade im Industriebereich fallen große Projekte ja nicht vom Himmel, die werden lange vorbereitet und geplant.
Müssen die Bürger befürchten, dass all diese Förderungen zum Umstieg auf Wärmepumpen oder für PV-Anlagen von der nächsten Regierung gestrichen werden?
Genau das ist die Richtungsentscheidung bei der Wahl in zwei Wochen. Geht es mit den Grünen in eine gute Zukunft, oder mit den Freiheitlichen, die den Klimawandel leugnen, in eine Richtung, wo solche Förderungen abgeräumt werden.
Sie denken, die FPÖ würde diese Förderungen abstellen?
Wenn man das FPÖ-Programm liest, muss man davon ausgehen, dass sie nur darauf wartet. Die FPÖ sagt ja klar, dass sie den Klimabonus abschaffen und weiter russisches Gas kaufen will. Natürlich besteht die Gefahr, dass Kickl und Konsorten alles bis zum Klimaticket wieder abräumen. Klimaschutz gibt es nur mit den Grünen.
Auch Experten haben vorgeschlagen, den Klimabonus für einen gewissen Zeitraum auszusetzen oder ihn sozial zu staffeln. Besteht da nicht zumindest Reformbedarf?
Der Klimabonus ist ein Vorzeigemodell, das in ganz Europa für Aufmerksamkeit gesorgt hat. Ganz viele Länder erkundigen sich, wie wir das machen. Denn es bekommt nicht nur CO2 einen Preis, Klimaschutz lohnt sich auch finanziell. Wenn man wenig CO2 verbraucht, bleibt einem mehr im Börsel. Der Budgetdienst des Parlaments sagt übrigens, dass der Klimabonus jetzt schon sozial gerecht ist, da den Haushalten mit den niedrigsten Einkommen mehr bleibt.
US-Popstar Taylor Swift hat den 1.200-fachen CO2-Verbrauch einer durchschnittlichen Person. Finden Sie es gut, dass sie ein Vorbild für so viele junge Menschen ist?
Vorbild kann man aus ganz vielen unterschiedlichen Gründen sein. Zum Beispiel, wenn man eine starke Frau in einem stark männlich geprägten Musikbusiness ist. Dass Wohlhabende einen stärkeren ökologischen Fußabdruck haben, stimmt. Deswegen braucht es auch Instrumente wie der CO2-Besteuerung. Und die betrifft natürlich auch Taylor Swift.
Flugbenzin wird auf EU-Ebene weiterhin nicht besteuert.
Das haben die EU-Finanzminister leider nicht zustande gebracht. Ich finde es nicht mehr zeitgemäß.
Ich (Bernhard Gaul, Anm.) muss am Wochenende mit Frau und Kind nach München. Wir fahren mit dem Auto, weil es deutlich billiger ist. Warum konnte das eine grüne Verkehrsministerin nicht ändern?
Wir haben mit dem Klimaticket einen der größten Kostensprünge nach unten gemacht im öffentlichen Verkehr. Das gilt aber nur in Österreich. Die EU-Kommission hat in den letzten fünf Jahren zu wenig geliefert, um den europaweiten Zugverkehr zu verbessern.
Bei den Europawahlen war die Bahninfrastruktur kaum ein Thema.
Die Grünen haben sogar viel über die Bahn geredet und zum Beispiel einen Europa-Tarif vorgeschlagen, bei dem man zwischen den Hauptstädten nur 10 Cent pro Kilometer zahlt.
Um den Klimaplan einzuhalten, müssen klimaschädliche Förderungen abgeschafft werden. Die ÖVP schließt eine Abschaffung des Dieselprivilegs und des Pendlerpauschales aus. Aber kann sich das ohne diese Brocken überhaupt ausgehen?
Ich halte nichts davon, den Menschen Sand in die Augen zu streuen. Man soll redlich sein in der Politik. Wir müssen bei den klimaschädlichen Subventionen zwei Millionen Tonnen CO2 einsparen. Und das wird uns nicht gelingen, ohne dass wir das Dieselprivileg angehen. 30 Prozent der Lkw am Brenner fahren einen Umweg, weil sie wegen des Dieselprivilegs in Österreich billiger tanken können. Das belastet Klima und Menschen – und wir subventionieren es mit Steuergeld.
Ihren Klimaplan-Entwurf hat Europaministerin Karoline Edtstadler Ende 2023 zurückgezogen. Was hat sich im finalen Klimaplan im Vergleich zum damaligen Entwurf noch geändert?
Er enthält weiterhin alle Maßnahmen, die auch im Entwurf waren. Der alte Plan hatte noch eine Lücke bei der CO2-Reduktion, die jetzt auch mit zusätzlichen Maßnahmen wie der Abschaffung klimaschädlicher Subventionen geschlossen wurde.
Also hat Ministerin Edtstadler nur Theaterdonner abgezogen?
Das müssen Sie Karo Edtstadler fragen.
Bürgermeister Michael Ludwig hat nun ein Klimaschutzgesetz für Wien angekündigt. Warum ist das Ihnen im Bund nicht gelungen?
Es ist spannend, dass Wien in seinem Klimaschutzgesetz das größte Thema, den Verkehr, nicht angeht und weiterhin vierspurige Autobahnen durchs Naturschutzgebiet bauen will… Auf Bundesebene haben wir viele substanzielle Gesetze beschlossen, die Emissionen reduzieren. Beim Klimaschutzgesetz geht es darum, die gemeinsame Verantwortung festzulegen. Bei jenen, die es blockieren, liegt die Vermutung nahe, dass sie sich aus dieser Verantwortung stehlen zu wollen.
Wie optimistisch sind Sie, dass das Erneuerbare-Gase-Gesetz vor der Wahl noch durchgeht, nachdem Andreas Babler die Zustimmung der SPÖ verkündet hat?
Das ist ein wichtiges Energiewendegesetz. Wir müssen raus aus fossilem Gas und alles, was wir mit erneuerbarem Biogas ersetzen können, ist wunderbar. Ich habe mich also gefreut über die Aussage von Andreas Babler. Jetzt wird es drauf ankommen, ob seinen Worten auch Taten folgen.
Derzeit fehlt die Anlagen für jene Biogas-Mengen, die Gasversorger dann verpflichtend ins Netz einspeisen müssen. Gegner warnen vor hohen Kosten, die dann auf die Kunden abgewälzt werden. Stimmt das?
Wir haben das Biogasgesetz so gestrickt, dass wir die erneuerbare Gasindustrie schrittweise, mit ansteigenden Quoten, aufbauen. Wie bei allen anderen Technologien, wird auch der Biogas-Preis mit der Zeit günstiger. Größere Produktion generiert ja immer auch Skaleneffekte. Sollte es dennoch Mehrkosten für Konsumentinnen und Konsumenten geben, werden wir sie abfedern. Auch das steht im Gesetz.
Auch die Industrie hält Biogas für viel zu teuer.
Dänemark hat schon einen sehr hohen Biogasanteil hat und eine sehr erfolgreiche Wirtschaft. Klimaschutz und Wirtschaften sind wirklich kein Gegensatz. Im Gegenteil: Die Wettbewerbsfähigkeit der Zukunft liegt in grünen Produkten.
Leonore Gewessler (*1977) wuchs in St. Marein bei Graz auf. Die Umweltaktivistin war Geschäftsführerin von Global 2000 und ist seit 2020 Ministerin für Klima und Energie.
Geglückte Reformen: Ökostrom-Ausbaugesetz (EAG), Klimaticket, Klimabonus, 1- Million-Dächer-PV-Programm, Einwegpfand (ab 2025), EU-Renaturierungsgesetz.
Ausständige Reformen: Elektrizitätswirtschaftsgesetz (Betriebssystem für Strommarkt); Grüngasgesetz, Ökostrom-Beschleunigungsgesetz.
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