ÖVP gegen SPÖ: "Wir schießen uns in beide Knie" – "Das ist tatsächlich pervers"
Obwohl sich die Lohnabschlüsse bei der AUA weiter verzögern, hat die Sozialpartnerschaft bei den Lohnverhandlungen im Herbst gezeigt: Sie funktioniert, beide Seiten sind kompromissbereit. Liegt hier vielleicht auch die Basis für eine Neuauflage der Großen Koalition?
Ob Arbeitszeitverkürzung oder Lohnnebenkostensenkung: Wirtschaftsbund-Generalsekretär Kurt Egger (ÖVP) und GPA-Vorsitzende Barbara Teiber (SPÖ) sind im KURIER-Doppelinterview fast immer unterschiedlicher Meinung. Worauf sie sich dennoch einigen:
KURIER: Im Vorjahr waren 81 Prozent der ausgeschriebenen Arbeitsplätze Vollzeitstellen. In Umfragen sehen wir, dass die Menschen lieber weniger als mehr arbeiten würden. Was ist die realpolitisch richtige Antwort auf diese unterschiedlichen Interessen?
Teiber: Viele junge Leute wünschen sich tendenziell geringere Arbeitszeiten. In diese Richtung müssen wir uns auch entwickeln, weil die Produktivität seit der letzten Arbeitszeitverkürzung, 1975, immens gestiegen ist. Wir brauchen mehr Arbeitszeitqualität. Insofern sind wir verstört, dass die Industriellenvereinigung eine Arbeitszeitverlängerung auf 41 Stunden bei gleichem Lohn will. Ich hoffe, das sieht die Wirtschaftskammer anders.
Egger: Wir hatten im März 185.000 offene Stellen. Eine Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden würde 200.000 zusätzliche offene Stellen ergeben. Es spricht nichts dagegen, wenn sich einzelne Branchen in ihren Kollektivverträgen auf Arbeitszeitverkürzungen einigen. Aber eine gesetzliche Verkürzung wird nicht funktionieren, wenn man das Sozialsystem aufrechterhalten will. Ein Polizist kann seine Produktivität nicht einfach erhöhen und zwei Kreuzungen gleichzeitig regeln. Deshalb verstehe ich die Forderung der Industriellenvereinigung.
Teiber: Ein Polizist regelt ja nicht nur Kreuzungen, dafür gibt es meistens funktionierende Ampeln. Ganz entscheidend ist, dass wir ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem Menschen bis zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter arbeiten können und nicht in den Vorruhestand geschickt werden.
Egger: Österreichs Wirtschaft besteht zu 99 Prozent aus Klein- und Mittelbetrieben. Die können es sich im Kampf um die Arbeitskräfte gar nicht leisten, die Arbeitsbedingungen nicht zu verbessern. Das passiert ja tagtäglich.
Teiber: Es gibt aber leider auch, und das sehen wir täglich in unserer Rechtsberatung, Arbeitgeber, die ihre Arbeitskräfte ausnutzen und etwa Überstunden nicht bezahlen.
Egger: Schwarze Schafe gibt es auf beiden Seiten.
Laut Eurostat haben in Österreich 2023 EU-weit die meisten Arbeitskräfte gefehlt. Wie genau soll eine Arbeitszeitverkürzung davon betroffenen Branchen helfen?
Teiber: In den meisten anderen europäischen Ländern wird kürzer gearbeitet als in Österreich. Und ja, diesen Arbeitskräftebedarf sehen wir in einzelnen Branchen auch. Gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit seit einem Jahr wieder massiv. Die Politik muss gezielt mehr Geld für Aus- und Weiterbildungen in die Hand nehmen, statt immer nach Arbeitskräften aus dem Ausland schreien.
Egger: Man sollte auch darüber nachdenken, wie man Arbeiten über das Regelpensionsalter hinaus attraktiv macht. Der Ansatz von Harald Mahrer ist, dass diese Personen nur noch den Unfallsversicherungsbeitrag leisten müssen. Gleichzeitig muss man Überstunden für jene attraktiver machen, die mehr Leistung bringen und länger arbeiten wollen als kollektivvertraglich vereinbart. Laut einer Market-Studie kann sich das die Hälfte der Arbeitnehmer vorstellen.
Teiber: Wir haben anscheinend sehr unterschiedliche Wahrnehmungen, was sich real in den Betrieben abspielt. Gerade jene, die überlange Arbeitszeiten haben, wünschen sich eine Reduzierung. Und bei unseren Beratungen in der GPA sehen wir, dass in den letzten Monaten der Anteil der über 50-Jährigen, die aus ihren Unternehmen gegangen werden sollen, steigt.
Die ÖVP will die Lohnnebenkosten bis 2030 um jährlich 0,5 Prozentpunkte senken. Das soll vier Milliarden Euro kosten. Wollen Sie keine Leistungen streichen, müssen diese aus dem Budget bezahlt werden. Was soll das bringen?
Egger: Die österreichische Wirtschaft hat einen Exportanteil von 60 Prozent. Die Herausforderung am internationalen Markt ist aktuell, wettbewerbsfähig zu bleiben. Besonders die Lohnstückkosten, die das Verhältnis von Arbeitskosten zu produzierter Einheit messen, sind ein entscheidender Faktor. Deshalb wollen wir die Lohnnebenkosten bei den Arbeitgebern senken, etwa bei artfremden Bereichen wie der Kommunalsteuer oder dem Familienlastenausgleichsfonds (FLAF, Anm.), die dann aus dem Budget finanziert werden. Es geht nicht um Kürzungen der Sozialleistungen, wie es oft von der SPÖ unterstellt wird.
Teiber: Ich möchte mich wirklich bei Herrn Egger bedanken. Er hat offen ausgesprochen, dass es um eine Kürzung für die Arbeitgeber geht. Das ist wenigstens ehrlich. Es regt mich maßlos auf, wie die Wirtschaftskammer hier versucht, Leute für dumm zu verkaufen. Es hat in den letzten Jahren zahllose Lohnnebenkostenkürzungen gegeben. Und von all diesen Milliarden, die sich die Wirtschaft erspart hat, ist noch kein Cent bei Beschäftigten angekommen.
Bei welchen Lohnnebenkosten wäre die Gewerkschaft gesprächsbereit?
Teiber: Unter Umständen beim FLAF. Obwohl die Beiträge der Arbeitgeber seit den 1960ern ohnehin von 6 auf 3,7 Prozent gesunken sind. Klar ist: Über den FLAF werden wichtige Leistungen wie die Familienbeihilfe oder der Mutter-Kind-Pass finanziert. Es braucht also ein konkretes Modell, wie das alternativ finanziert werden kann, denn das Budgetdefizit ist schon groß genug. Die SPÖ schlägt hier eine Millionärssteuer vor.
Österreich hat mit 43,2 Prozent des BIP die vierthöchste Abgabenquote in der EU. Gefährden die Lohnnebenkosten in ihrer jetzigen Form unsere Wettbewerbsfähigkeit?
Egger: Mit so hohen Abgaben bist du nicht wettbewerbsfähig. Finanzieren kann man unseren Senkungspfad unter anderem mit gezielteren Förderungen oder einer Reduktion der Zuwanderung ins Sozialsystem. Eigentumssteuern funktionieren nicht, die machen unser Land auch nicht attraktiver. Und die Millionärssteuern, von denen Sie träumen, werden auch nicht den Ertrag abwerfen, den Sie sich vorstellen.
Teiber: Wir brauchen einen starken Industriestandort, der unser Sozialsystem finanziert. Aber die Lohnnebenkosten sind nicht das große Thema. Aktuell wandern Betriebe ab, weil woanders einfach die Energie günstiger und billiger ist. Wir brauchen also einen Plan, wie wir unsere Wirtschaft transformieren können – auch in Richtung Klimaneutralität.
Also die aktuellen Förderungen reichen nicht, sondern es braucht aus Ihrer Sicht den 20-Milliarden-Transformationsfonds, den Andreas Babler vorschlägt?
Teiber: Unternehmen bei der Energiewende zu unterstützen, sich aber auch an ihnen zu beteiligen und eine Gegenleistung zu verlangen, wenn sie erfolgreich sind, ist intelligent und logisch. Der Steuerzahler soll ja nicht der Dumme sein. Mit einer Verstaatlichung hat das übrigens nichts zu tun.
Egger: Ich glaube, Österreichs Unternehmer brauchen weder ein rotes noch ein grünes Parteiprogramm, um Innovationen voranzutreiben. Es ist der ureigenste Zugang des Unternehmers, den Betrieb weiterzuentwickeln. Dafür sind keine staatlichen Beteiligungen nötig.
Teiber: Er kann das Unternehmen aber auch ans Ausland verkaufen. Das haben wir schon bei zahlreichen Start-ups gesehen, die wir um Millionen gefördert haben.
Egger: Ich bin abseits der Verstaatlichungsfantasien bei Ihnen. Man muss aber auch überlegen, welche Unterstützungen bei der Transformation dem Standort im internationalen Vergleich helfen. Es ist doch der helle Wahnsinn, dass die Bundesbeschaffungsagentur für die Landesregierung in Oberösterreich chinesische E-Autos beschafft. Da schießen wir uns in beide Knie, wir waren Marktführer in Europa bei dieser Technologie.
Teiber: Das ist tatsächlich pervers. Die großen Player im weltweiten Wettbewerb, China und Amerika, schauen stärker darauf, Förderungen mit der regionalen Wertschöpfung zu verknüpfen. In Europa laufen auch die Vergabeverfahren für neue Projekte noch viel zu langsam. Hier sehen wir die Dinge sicher ähnlich, um noch ein paar Gemeinsamkeiten anzusprechen.
Egger: Wir haben mehr gemeinsam als manche glauben.
Was Österreichs Unternehmen auch unter Druck setzt, sind die hohen Lohnabschlüsse. Hätte man im Nachhinein betrachtet stärker auf Preiseingriffe statt Einmalzahlungen setzen sollen?
Teiber: Es kann niemand von der Gewerkschaft verlangen, dass wir bei Teuerungsraten von bis zu zehn Prozent nicht versuchen, die Kaufkraft der Beschäftigten zu erhalten. Mir ist bis heute unverständlich, warum die Wirtschaftskammer nicht mit uns gemeinsam Preiseingriffe bei den Mieten und der Energie gefordert hat, um die Inflation zu senken.
Egger: Man ist am Ende so eines Prozesses immer ein wenig gescheiter als davor. Die Regierung hat sich damals entschieden, auch auf Raten des einen oder anderen Wirtschaftsforschers, die Kaufkraft zu erhalten. Nur haben die Wirtschaftsforscher dann auch ihre Meinung geändert.
Teiber: Das Wifo.
Egger: Ja. Und jetzt schlägst du als Politik einen Weg ein und dann sagt der, der dir zu diesem Weg geraten hat, dass mehr Preiseingriffe klüger gewesen wären.
Herr Egger, was fänden Sie schlimmer: Eine Koalition mit der SPÖ samt Erbschafts- und Vermögenssteuer oder eine Koalition mit Herbert Kickl?
Egger: Eine Koalition mit Herbert Kickl halte ich für ausgeschlossen, ebenso Erbschafts- und Vermögenssteuern.
Frau Teiber, sollte Andreas Babler an der Vermögens- und Erbschaftssteuer als Koalitionsbedingung festhalten?
Teiber: Was ich aus Gewerkschaftssicht keinesfalls möchte, ist Schwarz-Blau. Wir haben zweimal gesehen, wie das zum Nachteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgeht. Und ja, auch ich trete dafür ein, dass die Superreichen einen größeren Beitrag zum Allgemeinwohl leisten sollen. Nach der Wahl muss man jedenfalls schauen, dass dieses Land regierbar bleibt. Es gibt so viele Herausforderungen, da braucht man eine stabile Regierung.
Egger: Was die Zeit nach der Wahl angeht, teile ich die Meinung von Frau Teiber. Ich will nur ergänzen: Wenn du Unternehmer fragst, welche Regierungsform sie gerne hätten, dann fallen die Begriffe verlässlich, planbar und sozialpartnerschaftlich.
- Barbara Teiber (SPÖ) ist seit 2018 Bundesvorsitzende der Gewerkschaft GPA, die etwa für Angestellte in der Privatwirtschaft, im grafischen Gewerbe oder Journalisten zuständig ist. Die 46-jährige Wienerin, auch Vizepräsidentin der Arbeiterkammer Wien, wird im Herbst wohl erstmals in den Nationalrat einziehen. Auf der Wahlliste der Wiener SPÖ wurde sie auf Platz drei gereiht.
- Der 49-jährige Grazer Kurt Egger ist seit 2019 Generalsekretär des Wirtschaftsbunds Österreich – eine der sechs ÖVP-Teilorganisationen. Seine politischen Wurzeln liegen in der Jungen Volkspartei. Der Magister für Marketing und Management kam nach dem Mandatsverzicht von Karl Schmidhofer 2021 erstmals in den Nationalrat und ist ÖVP-Bereichssprecher für Medien.
Kommentare