"Stunde der Wahrheit": Pressestimmen zu blau-schwarzer Koalition
Zusammenfassung
- Österreichs mögliche Regierungskoalition aus FPÖ und ÖVP sorgt international für Besorgnis über einen Rechtsruck und mögliche russische Einflüsse.
- Die FPÖ unter Herbert Kickl wird als Bedrohung für die EU angesehen, mit Kritik an ihrer euroskeptischen und prorussischen Haltung.
- Medien betonen die Herausforderungen für Österreichs politische Stabilität und die Beziehung zur Europäischen Union.
Internationale Medien kommentieren die Regierungsbildung in Österreich und die Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP wie folgt:
"Irish Times" (Dublin):
"Anders als in Deutschland, wo keine Partei bereit ist, mit der AfD eine Regierungskoalition auf Bundesebene einzugehen, haben österreichischen Parteien die FPÖ bereits fünfmal an der nationalen Regierung beteiligt. Bisher allerdings nur als relativ schwachen Juniorpartner. Die Mitteilung der Mitte-Rechts-Partei ÖVP, möglicherweise unter FPÖ-Chef Herbert Kickl mitzuregieren, hat sowohl Wien als auch die anderen EU-Hauptstädte schockiert.
Die Aussicht, dass die Gruppe unangenehmer Regierungschefs im Europäischen Rat um ein weiteres Mitglied verstärkt werden könnte, ist in Brüssel mit Bestürzung zur Kenntnis genommen worden. Unverhohlene Feindseligkeit der FPÖ gegenüber der EU und deren Migrationspolitik sowie die Ablehnung der Hilfe für die Ukraine und der EU-Klimapolitik wird andere rechtsextreme Politiker wie Italiens Giorgia Meloni und Ungarns Viktor Orbán stärken und die Funktionsfähigkeit der Union noch weiter einschränken.
In Deutschland ist die AfD zwar von der Regierung ausgeschlossen, liegt aber in den Umfragen mit einer Rekordzustimmung von rund 20 Prozent auf Platz zwei. (...) Auch wenn sie nicht Teil der nächsten Bundesregierung sein wird, ist die wachsende Unterstützung für diese Partei ein weiteres Zeichen für den Aufstieg des Rechtspopulismus, der erhebliche Folgen für die EU und für Europa hat."
"Forbes" (USA):
"Diese Entwicklung verdient aus vier Gründen Aufmerksamkeit. Österreich könnte das erste entwickelte, 'bisher unauffällige' europäische Land werden, in dem eine umstrittene rechtsextreme Partei an der Spitze der Regierung steht. Zweitens könnte die FPÖ kontroverse politische Maßnahmen wie Massenabschiebungen einleiten. Drittens besteht die Gefahr, dass sie sich mit anderen pro-russischen/rechtsnationalen Regierungen (vor allem Ungarn und der Slowakei) abstimmt, um die EU zu untergraben und einen kontroverseren Ton anzuschlagen. Schließlich könnte Österreich zu einem Einfallstor für russische Einmischung in Europa werden.
Große EU-Länder und die Europäische Kommission werden dies als Rückschritt betrachten. Österreich wird wahrscheinlich nicht mit Geldstrafen wie Ungarn konfrontiert werden, aber die sicherheitspolitische Zusammenarbeit wird sich verschlechtern."
"Bloomberg" (New York):
"Aber wie anstößig man die Geschichte und die Ideen der FPÖ auch finden mag, wenn die laufenden Koalitionsgespräche erfolgreich verlaufen und Kickl Bundeskanzler wird, gibt es weniger Anlass zu existenzieller Sorge als zu der Frage, was liberalere Parteien falsch gemacht haben und wie man die unabhängigen Institutionen bewahren kann, die freie Gesellschaften von unfreien unterscheiden. Das ist weltweit eine wachsende Herausforderung, denn der öffentliche Glaube an den einzigartigen Wert der Demokratie schwindet."
The Economist" (London):
"Als eher zufällig an die Parteispitze gekommener Politiker hätte Kickl eher die Macht hinter dem Thron sein sollen als die Person, die darauf sitzt. Klein, bebrillt und langweilig, hat er sein Philosophiestudium und seinen Militärdienst nicht abgeschlossen. Statt in einem Wirtshaus ein Bier nach dem anderen hinunterzukippen und Schnitzel zu verzehren, trinkt der spindeldürre Herr Kickl lieber Wasser. (...)
Er hat die ÖVP gemahnt, 'keine Spielchen, keine Tricks, keine Sabotage und keine Obstruktionspolitik' zu betreiben. Außerdem ist (ÖVP-Chef Christian) Stocker ein gewiefter Verhandlungsführer, der bei den Grundsätzen der Außen- und Sicherheitspolitik seiner Partei nicht leicht nachgeben wird. (...) Trotzdem wird die FPÖ laut Umfragen bei vorgezogenen Neuwahlen noch besser abschneiden. (...) Das sollten die ÖVP-Verhandler im Hinterkopf behalten."
„Neue Zürcher Zeitung“:
"Nun ist also wahrscheinlich, was (fast) alle politischen Akteure verhindern wollten: dass Herbert Kickl bald die Geschicke des Landes führt. Für Österreich wären Rechtsnationalisten in der Regierungsverantwortung zwar keine Zäsur mehr. Anders als etwa in Deutschland gibt es in dem Land keinen Reflex, Brandmauern gegen rechts zu errichten. Einen FPÖ-Kanzler gab es allerdings noch nie.
Gerade Kickl empfiehlt sich bis dato nicht für politische Experimente. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die an Regierungskoalitionen beteiligt waren, gilt der 56-Jährige als knallharter Ideologe. Er macht kein Geheimnis daraus, dass er die illiberalen Ideen von Viktor Orbán als Inspiration sieht und sein Land weg von der EU und ihren "Zwängen" führen will, mehr Nähe zu Russland wäre in seinen Augen kein Problem. (...)
Für Österreich sind das keine guten Aussichten. Aber noch ist Kickl nicht im Kanzleramt. Will er bald dorthin, braucht er einen Partner – und muss zwangsläufig Kompromisse machen. Inhaltliche Überschneidungen zwischen den beiden Parteien – etwa in der Sicherheits- und Migrationspolitik – gibt es zwar schon lange. Doch Kickl hat sich in vielen Positionen radikalisiert. Die Verantwortung, ihn zu zügeln, liegt nun bei der ÖVP.
„Neue Zürcher Zeitung“ (Teil 2):
"Die FPÖ propagiert eine "Festung Österreich" und flirtet auch immer wieder offen mit einem "Öxit". Ohnehin schreibt sie in ihrem Wahlprogramm, sämtliche internationalen Verträge seien zu überprüfen. Für Österreichs Wirtschaft wäre all das gefährlich. Das exportorientierte Land ist laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung einer der größten Profiteure des Binnenmarkts.
Die ÖVP wird einen antieuropäischen Kurs schon aus diesem Grund nicht mittragen können. Sie versteht sich als Europapartei und stellt seit dem Beitritt zur Europäischen Union alle österreichischen EU-Kommissare. Eine Infragestellung dieser Haltung bedeutete wohl eine Spaltung der Konservativen. (...)
Es müsse nun geklärt werden, ob Österreich weiterhin ein konstruktiver und verlässlicher Partner der EU sein wolle und ob es sich an der freien Welt orientiere oder an Diktaturen, sagte der designierte ÖVP-Chef Stocker. Allein, dass sich diese Fragen stellen, zeigt, auf welchen Partner sich seine Partei möglicherweise einlässt."
"ABC" (Madrid):
"Jetzt ist die Stunde der Wahrheit gekommen. (...) Die politische Brandmauer ist in Österreich eingestürzt. Ausgerechnet ihre Hauptbefürworter - die Parteien des Mitte-Links-Spektrums - tragen dafür die Verantwortung. Nun stellt sich die Frage, ob es in Österreich die extreme Rechte stärkt oder schwächt, sie von den Institutionen fernzuhalten. Gleichzeitig gilt es herauszufinden, ob die wahre Gefahr für die liberale Demokratie in der politischen Ausrichtung der Regierenden liegt - oder vielmehr im Umgang mit den bestehenden Regeln sowie in der Unabhängigkeit der anderen Institutionen."
"La Repubblica" (Rom):
"Niemand darf sich der Illusion hingeben, dass Kickl leicht gezähmt werden kann. Er hat die Wahlen im September mit dem Versprechen gewonnen, zum "Volkskanzler" aufzurücken, wie es einst Adolf Hitler getan hatte. Kickl hat versprochen, Österreich zu orbanisieren und die EU abzubauen. Dabei hat er gegen die Corona-Impfstoffe gewettet, Russland verteidigt und Flüchtlinge diffamiert".
"Il Fatto Quotidiano" (Rom):
"Kickl ist bereit, zum ersten rechtsextremen Bundeskanzler Österreichs aufzurücken. Er vertritt den radikalsten Flügel seiner Partei, der inzwischen in der FPÖ die Mehrheit hat. Sein Ziel ist die Normalisierung der Beziehungen zu Putin, angefangen von der Abschaffung der Russland-Sanktionen".
"Corriere della Sera" (Mailand):
"Auch in Österreich ist die Brandmauer gefallen, die die traditionelle Politik jahrelang um die Parteien der neuen euroskeptischen, ausländerfeindlichen und prorussischen Rechten aufgebaut hatte. Eine ähnliche Wende hatte es bereits in den Niederlanden im Oktober 2023 gegeben".
"Il Giornale" (Mailand):
"Nicht nur die Gespenster der Vergangenheit werfen einen Schatten auf Kickl. Während seiner Jahre als Innenminister wurde er verdächtigt, die österreichischen Geheimdienste für die Infiltrierung durch russische Spione geöffnet zu haben. Sollten diese Gerüchte bestätigt werden, würde sich mit der FPÖ in der Regierung ein Loch in der Sicherheit Europas öffnen".
"La Stampa" (Turin):
"Braune Donau: Österreich segelt in Richtung einer Regierung mit dem Ultrarechten Kickl. Eine mögliche Regierung Kickls könnte die europäische Agenda in mindestens drei Sektoren beeinflussen: Gemeinsame Verteidigung, Ukraine-Politik und Zukunft der EU. Die FPÖ ist nämlich gegen Russland-Sanktionen und gegen die wirtschaftliche Unterstützung der Ukraine. Gegenüber der EU teilt sie die Euroskepsis der deutschen AfD".
"de Volkskrant" (Amsterdam):
"Herbert Kickl hatte einst für den FPÖ-Vorsitzenden Jörg Haider und die Partei antiislamische und ausländerfeindliche Losungen wie "Daham statt Islam" oder "Mehr Mut für Wiener Blut - Zu viel Fremdes tut niemandem gut" entwickelt. Seine Slogans erwiesen sich als wirkungsvoll. Im Parlament entpuppte sich Kickl als aggressiver Provokateur mit einer populistischen Agenda. (...) Die FPÖ warb für die Kanzlerschaft Kickls mit dem Begriff "Volkskanzler". Eine Bezeichnung, mit der sich in den 1930er-Jahren Adolf Hitler beschrieben hatte. Dass über dieses seinerzeit von Joseph Goebbels geprägte "Nazi-Wort" ein kleiner Mediensturm entbrannte, kam der FPÖ gelegen. Je mehr Aufmerksamkeit in den Medien, desto besser, meint Kickl. (...)
Für Aufsehen sorgte er auch mit seiner Aussage, dass "das Recht der Politik folgen sollte und nicht die Politik dem Recht". Er will, dass die Medien weniger kritisch gegenüber seiner FPÖ sind, die er selbst mit einer weiteren Anspielung auf den Nationalsozialismus als "soziale Heimatpartei" bezeichnet."
"Népszava" (Budapest):
"Es ist kein besonders vielversprechendes Zukunftsbild, dass Österreich einen Bundeskanzler bekommt, der offen pro-russische Ansichten vertritt. Und Donald Trump ist noch nicht einmal in sein Amt eingeführt worden. Vielleicht ist es besser, gar nicht erst darüber nachzudenken, was die Zukunft bringt."
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