Die Sanktionen gegen Russland seien nur "mit einer Gehirnhälfte" gedacht, befindet der Wirtschaftskammer-Präsident im Frühjahr. Vor dem Energieministerrat der EU am 24. November plädiert Harald Mahrer im KURIER-Interview "zwingend" für eine österreichische Lösung zur Überbrückung. Warum sich Österreich an Deutschland in Energielenkungsfragen ein Beispiel nehmen muss, warum er andernfalls den Exodus der Industrie aus Europa befürchtet und er die Debatte um eine 30-Stunden-Woche für ein Problem der saturierten westlichen Welt hält.
KURIER: Schädigt die Steuer auf Zufallsgewinne den Wirtschaftsstandort Österreich?
Harald Mahrer: Wir reden über echte Zufallsgewinne und - in einer ordnungspolitisch schwierigen Situation - kann und soll die Politik ganz bewusst eingreifen, da der Markt nicht funktioniert. Die öffentlichen Hände in ganz Europa müssen das Geld aber wieder an die Bevölkerung und Unternehmen zurückgeben.
Wie notwendig sind die Unterstützungen für die Betriebe?
Sehr! Es gibt eine Reihe europäischer Unternehmen, die Produktionslinien zurückfahren oder einstellen müssen, weil es sich kaufmännisch nicht mehr ausgeht. Es droht uns entweder Arbeitslosigkeit auf einem höheren Niveau oder - und das ist viel dramatischer - die Deindustrialisierung. Das ist ein sehr ernstes Szenario, da heimische Betriebe verglichen mit Südostasien oder den USA immer schon mit hohen Umweltauflagen und hohen Energiekosten produziert haben. Es geht von der metallverarbeitenden Industrie bis hin zum kleinen Bäcker, die Energiesprünge mit dem Faktor 6, 8 oder 10 nicht in ihrer Kostenstruktur unterbringen können.
Und nicht zur Gänze an ihre Kunden weitergeben können.
Entscheidend ist, ob sie die Preise überhaupt weitergeben können. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die Montanwerke Brixlegg, Spezialisten im Kupferrecycling. Zirka 35 Prozent der Kosten gehen auf Energie zurück. Wenn diesen Betrieben nicht geholfen wird, dann führt das zu einem Exodus der Industrie in Europa zu Gunsten von Ländern mit weit geringeren Umweltauflagen, die zudem zu günstigeren Preisen produzieren können wie Mexiko, Indonesien und Co.
Den Energiekostenzuschuss für energieintensive Betriebe gibt es bereits.
Er gilt nur bis zum 30. September und: Er gleicht einem Pflaster für einen Schwerverletzten, der aus mehreren offenen Wunden blutet. Selbst, wenn es am Donnerstag beim EU-Rat der Energieminister zu einer Einigung kommen sollte, wird es Monate dauern bis diese wirkt. Bis es soweit ist, brauchen wir zwingend eine österreichische Lösung zur Überbrückung.
Was und wie stellen Sie sich das vor?
Das maximale Ausnützen des EU-Beihilfenrahmens. Warum? Weil die Deutschen ihre Unterstützungsleistungen durchziehen werden und wir so eng mit der deutschen Wirtschaft verbunden sind. Die österreichische Politik kann es sich gar nicht leisten, nichts zu tun. Die Deutschen haben ihren Pfad verlassen und z.B. den geplanten CO₂-Preis für 2024 und 2025 verringert. Das muss die Regierung hier sofort machen, wenn sie will, dass Österreich wettbewerbsfähig bleibt.
Wie soll jemals ein ökologischer Lenkungseffekt eintreten, wenn der Pfad jetzt schon verlassen wird?
Es soll sich natürlich ein Lenkungseffekt einstellen, aber ich muss mich immer an meinen wichtigsten Mitbewerbern orientieren. Es geht schließlich um die ökonomische Leistungsbasis, das Fundament aus dem heraus wir den Sozialstaat finanzieren. Ich kann ja nicht den Ast abschneiden, auf dem ich sitze. Zudem: Wir zählen nachweislich zu den Ländern mit den höchsten Energieabgaben.
Was wäre ein realistischer CO₂-Pfad?
Wir bekennen uns zu den Zielen, aber wir haben immer gesagt, wir hätten gerne einen Plan. Es geht um Verfahrensbeschleunigung und um die Frage, wie ich Geld effizient einsetze. Ich brauche dieses Elfenbeinturmdenken nicht, wie: „Ich bin eh für Windräder, aber ich will keine sehen.“ Das geht nicht. Jeder muss bei der Energiewende mitanpacken und seinen Beitrag leisten, statt sich an Bilder zu kleben.
Ist die Klimaschutzministerin auf dem richtigen Pfad?
Ich glaube, dass sie sich redlich bemüht. Was ich mir von ihr aber wünschen würde, ist einfach eine Einschätzung und Kommunikation, die realistisch und glaubwürdig ist. Eigentlich wäre es die Aufgabe der Regierung, mit der Opposition und den Sozialpartnern eine gemeinsame Ambition zu erzeugen. Aber die haben wir nicht, obwohl das für ein Land wie Österreich, das bei der Energiewende eine Vorbildrolle einnehmen könnte, extrem wichtig wäre.
Vergangene Regierungen haben vielleicht auch nicht den größten Beitrag geleistet.
Ich wünsche mir einen sachlicheren Diskurs. Wir haben uns in den 1970ern entschieden, auf billiges Gas zu setzen und uns dann gegen Atomkraft entschieden. Wenn wir jetzt noch wesentlich mehr CO₂ -Ausstoß verhindern möchten, gibt es nicht viele Möglichkeiten. Wie soll der steigende Strombedarf ohne Fossile gedeckt werden? Wer sagt ehrlich, dass es im Winter nur machbar ist mit den Atomkraftwerken unserer Nachbarn? Das will niemand wahrhaben. Wir sind super-doppelbödig in Österreich. Wir stellen uns sogar dagegen, dass unsere Nachbarn Atomkraft ausbauen.
Keine Partei ist in Österreich für Atomkraft.
Sie haben mich gefragt, ob die Klimaziele realistisch erreichbar sind. Wir können nur einen Teil des Stromes produzieren, einen Teil müssen wir zukaufen. Das heißt, ich brauche ein sachliches Anerkenntnis dafür, dass wir auch Energie zukaufen werden, die vielleicht nicht mit dem grünen Label versehen ist, das wir uns wünschen.
Themenwechsel: Können Sie der Kritik, die Anti-Teuerungshilfen seien mit der Gießkanne verteilt worden, etwas abgewinnen?
Wenn ich zwischen Geschwindigkeit und Treffsicherheit entscheiden muss, dann werde ich immer eine Güterabwägung machen müssen und Reibungsverluste haben. Ich verstehe, wenn die Spitzenpolitik in Krisenzeiten das Tempo vorzieht. Ich glaube, man muss die CO₂ -Bepreisung korrespondierend mit dem Klimabonus und der Härtefall-Regelung trennen von dem Krieg in der Ukraine und davon, dass Chinas Wirtschaft – das wird gerne vergessen – bereits vor Kriegsbeginn auf Gaskraftwerke statt Kohle gesetzt hat. Das hat die Energiekrise zusätzlich befeuert.
Und wer soll die 40-Milliarden-Hilfen gegen die Teuerung bezahlen?
Über die sprudelnden Steuereinnahmen. Wenn man die Kirche im Dorf lässt und sich mit den Zahlen genau beschäftigt, dann ist es im europäischen Vergleich ein sehr kraftvolles Paket – aber kein budgetär unverkraftbares.
Wir haben es zudem mit einer veritablen Arbeitsmarktkrise zu tun.
Es gibt kurz-, mittel- und langfristige Möglichkeiten dagegen. Den Druck kurzfristig zu nehmen ist nur durch mehr Mitarbeiter möglich. Der sehr eigenwillige Ruf nach einer Verkürzung der Arbeitszeit, der geht sich schon rein rechnerisch nicht aus.
Wie wollen Sie kurzfristig Menschen in Jobs motivieren?
Indem ich die Anzahl der steuerfreien Überstunden erhöhe. Eine weitere Möglichkeit ist es, Ältere zu überzeugen, im Job zu bleiben. 2021 gingen 110.000 Menschen in Pension, ein Teil davon vor dem Regelpensionsantrittsalter. Wir wissen, dass rund 20 Prozent nach dem Pensionsantrittsalter weiterarbeiten würden, wenn es ökonomisch interessant wäre.
Praktisch heißt das für Pensionisten was?
Eine Möglichkeit wäre, dass für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer keine Pensionsversicherungsbeiträge zu zahlen sind. Wir würden auch gerne sehen, dass diese Gruppe schon einen Teil der Pension brutto für netto bekommt. Das ist ein echter Anreiz für rund 20.000 Menschen pro Altersjahrgang und substanziell.
Was ist mit tausenden Menschen, die auf ihren Asylbescheid warten und immer mehr werden?
Wir haben eine ungeheure Zahl an Menschen mit positivem Asylbescheid, die nicht im Arbeitsmarkt integriert sind. Ich fände es eigenwillig, Menschen in den Arbeitsprozess zu holen, von denen ich gar nicht weiß, ob sie bleiben können. Das wesentlich größere Potenzial sehe ich in gezielter Zuwanderung. Wir haben smarte Projekte in spezifischen Ländern für spezifische Branchen, um Menschen direkt vor Ort anzuwerben und auszubilden, ehe sie nach Österreich kommen. Wir loten derzeit in Vietnam und auf den Philippinen das Potenzial aus.
Nein, wir reden auch von LKW-Fahrern, Datenspezialisten und Kräften für den Tourismus. Ablaufen könnten diese Academies mittels PPP-Modellen, also öffentlich und privat. Entscheidend sind auch Unternehmen in den Regionen, die Lehrlinge ausbilden und künftig Zusatzausbildungen für Erwachsene anbieten könnten z.B. in Kooperation mit dem Wifi International.
Wir brauchen die Busfahrer und Pfleger aber jetzt. Warum soll das alles ein Asylsuchender oder --berechtigter nicht können?
Ich hätte in den letzten Jahren nicht gesehen, dass viele Asylberechtigte in den Arbeitsmarkt integriert wurden. Man muss es weiter versuchen, doch es wird uns beim eigentlichen Problem nicht helfen. Der gesamte europäische Arbeitsmarkt ist ausgesaugt. Wir brauchen Menschen, die arbeiten und lernen wollen. Ich bin für Systeme, die Anreize schaffen und funktionieren. Zwang funktioniert nicht.
Gleichzeitig wollen viele Menschen nur mehr 30 Stunden in der Woche arbeiten.
Das wird sich nicht ausgehen. Das ist nicht nur ein österreichischer Trend, sondern ein Problem der durchaus saturierten westlichen Welt, die aber nur zwölf Prozent der Weltbevölkerung stellt. Die anderen 88 Prozent sind anders strukturiert. In Asien, Afrika oder Südamerika tendieren die Leute eher dazu, sich etwas aufzubauen. Dadurch kommen auch unsere Wirtschaftssysteme unter Druck. Das ist ein „Clash of Cultures”, ein Aufeinanderprallen unterschiedlicher entwickelter Kulturen. Und ich mache mir große Sorgen, dass unsere westliche Kultur in dem Bereich eine ist, die nicht besonders zukunftsfähig ist.
Haben drei Krisenjahre, mit milliardenschweren Hilfspaketen, nicht genau solche Trends verstärkt?
Bei einer extrem hohen Inflation, die ganz stark vom Energiepreis getrieben ist, kann und soll der Staat unterstützend eingreifen und stabilisieren. Das hat aber nichts mit einer dauerhaften Alimentierung zu tun. Ich bin der größte Gegner der Droge Staat. Also ich will nicht, dass die Menschen in Österreich am Tropf der Republik hängen oder von Sozialleistungen abhängig sind. Im Übrigen hat mir noch niemand erklärt, wie eine Dauer-Alimentierung wie ein bedingungsloses Grundeinkommen bezahlt werden soll. Das geht auf Kosten unserer Wettbewerbsfähigkeit.
Bilden die bisher abgeschlossenen KV-Verhandlungen ab, wie es um Wirtschaft und Staat bestellt ist oder muss man noch nachbessern?
Die bisherigen Abschlüsse sind sicher extrem hoch, hoffentlich nicht zu hoch. Das ist für die jeweiligen Branchen eine große Herausforderung. Man muss ja immer sowohl auf das Element der Kaufkraftsicherung achten und gleichzeitig schauen, dass die Betriebe weiterhin investieren können. Ich denke an den Metallbereich, der sehr energieintensiv ist, wo Arbeitnehmervertreter und Arbeitgebervertreter intensiv nach weiteren Energie Unterstützungsleistungen rufen, weil man sonst nicht vernünftig in das nächste Jahr hineinkommt.
Die Volkspartei ist seit Monaten in der Kritik. Was kann sie tun, um Vertrauen und Wähler zu gewinnen?
Ich glaube, der wichtigste Punkt ist, dass wir unsere Zukunftskompetenz wieder zentral in den Fokus stellen. Die hatten wir immer, die haben wir und die werden wir auch in Zukunft weiter haben.
Sie waren Staatssekretär, sind jetzt Präsident - Schließen Sie eine Rückkehr in die Politik aus?
Ja. Alles hat seine Zeit und man muss wissen, wo man mit seiner Energie am meisten für die Zukunft des Landes beitragen kann.
2023 soll wirtschaftlich besonders bescheiden werden. Wie bescheiden?
Die Wirtschaftsforscher in Deutschland gehen von einer Schrumpfung der Wirtschaft aus. Das ist nicht besonders angenehm für Österreich, da wir stark von Deutschland abhängig sind. Umso wichtiger ist es, dass wir Stabilisierungsmaßnahmen im Energiebereich vornehmen. Wenn die Regierung das nicht verschläft, könnten wir mit ein paar Schrammen durch das Jahr 2023 kommen.
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