Faktencheck: 277.000 Euro pro Flüchtling?

Nach der gestrigen TV-Diskussion zwischen Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen auf Puls 4 blieben ein paar Antworten auf offene Fragen aus. Wir reichen sie nach.

Wer kommt nach Österreich und wieviel kostet das die österreichischen Steuerzahler? "277.000 Euro pro Person" - mehr wollte Norbert Hofer beim TV-Duell mit Alexander Van der Bellen auf Puls 4 gar nicht mehr sagen. 277.000 Euro - so viel würde ein Flüchtling die Steuerzahler kosten. Eine Nachfrage ging im Eifer des Gefechts des ersten TV-Duells zum dritten Wahlgang unter. Eine Klärung blieb also, wie auch bei manchen anderen Fragestellungen, aus. kurier.at hat sich die Zahlen, Daten, Fakten näher angesehen.

277.000 Euro pro Flüchtling - aber auf 45 Jahre

Die Zahl stimmt, belegt ist sie jedenfalls - in der Fiskalrats-Studie "Langfristeffekte der Flüchtlingszuwanderung". Was Hofer nicht dazu gesagt hat: Dass es sich dabei um eine Hochrechnung der Ausgaben für einen Flüchtling auf 45 Jahre handelt. Dieselbe Studie (hier nachzulesen) benennt die jährlichen Kosten mit 16.200 Euro für das Jahr 2016. In dieser Zahl sind auch bereits "exogene Kosten" wie Bildungs- und Gesundheitsausgaben einberechnet. Dementsprechend sinkt dieser Betrag, bereits unter Berücksichtigung der (vielfach mangelnden) Qualifizierung der Flüchtlinge in den Folgejahren. Für 2020 geht die Studie von 10.200 Euro pro Flüchtling und Jahr aus, gegen Ende des Simulationshorizonts wird für 2060 ein "jährlicher Nettoertrag von rund 300 Euro" errechnet.

Das Finanzministerium selbst rechnet bereits jetzt mit deutlich geringeren Zahlen. Für 2016 wurden 10.724 Euro pro Flüchtling veranschlagt. Der größte Teil davon - 7.665 Euro – entfällt demnach auf Unterkunft und Verpflegung. Die Gesundheitsversorgung kostet 1.343 Euro jährlich. Das Taschengeld macht 480 Euro pro Jahr aus, für Kleidung sind 150 Euro vorgesehen.

Übrigens: Ein Bundespräsident, wenn er denn so lange im Amt bleiben dürfte, würde nach einer reinen Gehaltsrechnung rund 15,6 Millionen Euro kosten.

Sind 75 Prozent der Flüchtlinge "junge Männer"?

Beim Thema Flüchtlinge blieb die Diskussion hitzig. Van der Bellen erklärte, dass den Menschen mit ihren Kindern oft nichts anderes übrig bleibe, als die Flucht zu ergreifen. Norbert Hofer widersprach: "Dreiviertel jener, die zu uns kommen, sind junge Männer."

"Nein", entgegnete Van der Bellen. "Doch", sagt Hofer. "Nein", wiederholte sich Van der Bellen.

Hofer: "Dann müssen Sie die Zahlen nachlesen. Wenn Sie im Innenministerium nachfragen, bekommen Sie diese Zahlen."

Der KURIER fragte am Tag danach für den Faktencheck im Innenministerium nach. Sprecher Karl-Heinz Grundböck lässt unmissverständlich wissen: "Das Innenministerium kann die genannte Zahl nicht nachvollziehen." Der Anteil aller männlichen Flüchtlinge ab 18 Jahren sei vielmehr von 2015 auf 2016 von 57 Prozent auf 42 Prozent zurückgegangen. Insgesamt seien rund zwei Drittel aller Flüchtlinge männlich. Gestiegen sei nur der Anteil an erwachsenen Frauen von 12 auf 17 Prozent.

FPÖ und Hofer sind für den "Öxit"?

Ein zentrales Thema in Van der Bellens Wahlkampf ist die Warnung vor einem "Öxit", wie vom Kandidaten selbst, aber auch von einer Initiative rund um Hans Peter Haselsteiner plakatiert wird. Bei der TV-Debatte sagte Van der Bellen, die FPÖ habe im Jänner 2016 "im Parlament einen Antrag eingebracht auf Vorbereitung einer Volksabstimmung über den Austritt aus der Union".

Dies ist zum Teil richtig. Die FPÖ brachte am 27. Jänner einen solchen Antrag ein, gefordert wurde aber eine Volksbefragung und keine Volksabstimmung. Eine Volksbefragung hat im Gegensatz zur Volksabstimmung lediglich empfehlenden Charakter und ist nicht bindend. Die Bundeswahlbehörde hat das Ergebnis einer Volksbefragung laut Verfassungsgesetz dem Nationalrat sowie der Bundesregierung vorzulegen. Der Antrag wurde übrigens im Parlament abgelehnt.

Angesprochen wurde auch ein Zeitungsinterview (Österreich, 26. Juni), In diesem sagte Hofer, er wäre dann für ein Ausstiegsreferendum, wenn sich die EU "zu einer zentralistischen Union" entwickle. Für die "notwendigen Weichenstellungen", um diesem Umstand entgegenzuwirken, gab Hofer der EU einen kurzen Zeithorizont von einem Jahr. Am 8. Juli sagte Hofer dann gegenüber derPresse, dass er nicht an einen EU-Austritt denke. Für ihn sei es lediglich die Ultima Ratio, über einen Verbleib in der EU abstimmen zu lassen, und zwar im Fall eines EU-Beitritts der Türkei und bei gravierenden Änderungen von EU-Verträgen, wie Hofer gestern wiederholte.

Debatte um muslimische Pflegekräfte

Zur Sprache kam auch die Debatte zu Norbert Hofers Aussage über islamische Pflegekräfte. Bei einer Rede zum Martinstag hatte Hofer in Tirol gesagt: "Kennt ihr einen Moslem, der im Pflegebereich arbeitet, der bereit ist, unseren Senioren vielleicht die Windel zu wechseln? Ich kenne das nicht." Ein KURIER-Faktencheck hat ergeben, dass es sehr wohl Pflegekräfte mit muslimischem Hintergrund gibt.

Beim TV-Duell bezeichnete sich Hofer selbst als "Freund einer faktenbasierten Diskussion" und zitierte daher beim Thema Pflegekräfte aus einer Diplomarbeit aus dem Jahr 2009. Bei strenggläubigen Muslimen bestehe unter anderem das Problem, dass der Händedruck bei gegengeschlechtlichen Personen Unbehagen auslösen könne, und dass auch Küchengeräte nicht mit Schweinefleisch in Berührung geraten dürfen. Der Titel der Arbeit lautet: "Probleme im Krankenhaus- und Pflegealltag mit islamischen Patienten". Wer auf Puls4 genau hingehört hat, dem fiel also auf: Es ging hier gar nicht um Pflegekräfte, sondern um muslimische Patienten. Wer in die Diplomarbeit hineinliest, was Norbert Hofer empfiehlt, dem fällt auch auf, dass es darin nicht nur um Problematisierung, sondern durchaus um Lösungsmöglichkeiten geht. So wird darin etwa ein "multikulturelles Seniorenzentrum" in Deutschland vorgestellt.

Amokfahrt in Graz und "Allahu akbar"

Hofer sprach über die Gefahr des Islamismus in Österreich und sagte unter anderem: „Wenn die Religion trotzdem in den Alltag hineinspielt, wenn auch bei uns Menschen schreien 'Gott ist groß' und dann Menschen töten mit einem Fahrzeug, dann betrifft uns das alle."

Die Aussage Hofers legt nahe, dass die Amokfahrt in Graz, bei der im Vorjahr drei Menschen getötet worden sind, einen islamistischen Hintergrund habe. Rund um dem Prozess in Graz ergab allerdings keines von sieben Gutachten einen solchen Hintergrund. Auch konnte kein Bekenntnis von Alen R. zum Islam eindeutig festgestellt werden. Eine angebliche Zeugin, die vom Täter den Kampfruf "Allahu akbar" gehört haben will, konnte nicht identifiziert werden.

Ausgerechnet am letzten Tag des Prozesses gegen Alen R. kam es allerdings zu einem Zwischenfall, bei dem ein 21-Jähriger in Wien-Favoriten gezielt versucht haben soll, zumindest einen Fußgänger mit seinem Auto niederzufahren. Aus dem offenen Autofenster soll er laut Polizei mehrmals "Allahu akbar" gerufen haben. Verletzt wurde niemand. Also wurde bei einem Vorfall, wie ihn Norbert Hofer im TV-Duell skizziert hat, in Österreich bisher niemand getötet.

200 IS-Kämpfer aus Österreich?

Hofer sagte außerdem: "Wir haben in Österreich etwa 200 Personen, die für den Islamischen Staat in den Kampf gezogen sind." 2015 gab es 200 Verfahren wegen Mitgliedschaft an einer terroristischen Vereinigung, 49 Anklagen und 28 rechtskräftige Verurteilungen. Dieses Jahr gab es bisher 193 Verfahren, 41 Anklagen und 34 nicht rechtskräftige Verurteilungen. Zieht man diese Angaben heran, ist Hofers Zahl nur nach den Verfahren korrekt, aber nicht nach den tatsächlichen Verurteilungen.

Laut Innenministerium gelten in Österreich 287 Personen als mögliche Dschihad-Kämpfer und stehen deshalb unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden. Diese Zahlen gingen aus einer parlamentarischen Anfragebeantwortung hervor (mit Stichtag 1. Juli 2016). Von den 287 Personen dürften 44 bei Kampfhandlungen in Syrien ums Leben gekommen sein, 87 Personen sind aus dem Konfliktgebiet Syrien/Irak wieder nach Österreich zurückgekehrt, 50 konnten an der Ausreise aus Österreich gehindert werden. Wieviele Personen tatsächlich in den Dschihad gezogen sind, geht aus diesen Zahlen nicht hervor.

[Update 15.00 Uhr: IS-Kämpfer]

[Korrektur: Hofer sagte wörtlich: "Dreiviertel jener, die zu uns kommen, sind junge Männer" - Die von Kurier.at präsentierten Zahlen bezogen sich zunächst auf alle Männer. Hier waren 72,3 Prozent aller Antragsteller 2015 männlich. Aktuell ist der Anteil rückläufig. Von den 2.599 Asylanträgen im vergangenen Oktober, wurden 60,8 Prozent von Männern gestellt. Der Anteil aller männlichen Flüchtlinge ab 18 Jahren liegt bei 42 Prozent].

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