Justiz für IS-Heimkehrer nicht gerüstet

Strafvollzug: Die ersten kommen schon wieder frei, nur ein einziger wurde für Präventionsarbeit eingesetzt.

Der Zulauf zum "Islamischen Staat" (IS) scheint ungebrochen. Erst am Freitag musste sich ein 29-jähriger IS-Heimkehrer im Wiener Landesgericht als Fahrzeug-Lieferant für den Dschihad ("Heiliger Krieg") verantworten. Er soll in Wien einen Audi A6 Avant und einen BMW X6 ergaunert und sie nach Syrien transferiert haben.

"Die Rückkehrer werden uns in Europa noch lang beschäftigen", sagt der deutsche Terror-Experte Peter Neumann. 280 Dschihadisten (darunter 87 Heimkehrer) werden von den Behörden in Österreich überwacht. Mit 193 Ermittlungsverfahren und 41 Anklagen gegen Terrorverdächtige, von denen 34 nicht rechtskräftig verurteilt wurden, ist heuer bereits das Niveau des gesamten Vorjahres erreicht. 54 sitzen derzeit im Gefängnis. Und was passiert dort mit ihnen? Sie werden auf Justizanstalten aufgeteilt, um sich nicht untereinander verständigen bzw. Mithäftlinge radikalisieren können. Und schon allein das funktioniert nicht so gut.

262 Anrufe

Die gebürtige Tschetschenin und zuletzt in Baden bei Wien wohnhafte Zulihan J. alias Milana B. telefonierte mit ihrem Lebensgefährten Adam A. gezählte 262 Mal, als dieser bereits in Haft saß (wo der Besitz von Handys für Insassen verboten ist). Auch Whatsapp-Kontaktversuche gab es. Als die 36-Jährige Ende Oktober selbst im Gefangenenhaus Wr. Neustadt in U-Haft genommen wurde, brach der Kontakt zu ihrem im benachbarten Zellentrakt einsitzenden Lebensgefährten keineswegs ab. Belehrungen der Justizwache fruchteten nicht, die Frau soll jetzt in ein anderes Gefängnis verlegt werden. Sie steht im Verdacht, ein Selbstmordattentat in Österreich geplant bzw. versucht zu haben, den aus Belgien eingereisten Adam A. dazu zu überreden.

Justiz für IS-Heimkehrer nicht gerüstet
Prozess, Dschihadismus, Dschihadist, Landesgericht Krems, 30-Jähriger Tscheschene
Verteidiger des Paares ist der Wiener Anwalt Wolfgang Blaschitz. Auch den Tschetschenen Magomed Z. aus Krems vertrat er vor Gericht. Der 30-jährige IS-Heimkehrer wurde im Juli 2015 zu fünf Jahren verurteilt. Das Oberlandesgericht erließ ihm ein Jahr, nun wird er gegen die Auflage vorzeitig bedingt entlassen, nach Tschetschenien heimzukehren und sich hier nicht mehr blicken zu lassen.

IS-Heimkehrer Oliver N. könnte ebenfalls demnächst frei sein. Seine zweieinhalb Jahre Haft hat der Wiener bald zu zwei Drittel abgesessen. Oliver N. hatte sich mit 16 Jahren freiwillig zum Kampf in Syrien gemeldet. Wenn ihn eine Bombe trifft, komme er ins Paradies, ließ er sich von den IS-Ideologen einreden. Die traf ihn tatsächlich, er verlor seine Milz und eine Niere. Nach seiner Heimkehr wollte er in Schulen vor den Verlockungen der IS-Propaganda warnen. Der Extremismus-Forscher Moussa Al-Hassan Diaw, der mit dem Verein Derad im Auftrag der Justiz ein Deradikalisierungsprogramm in Haftanstalten durchführt, hält N. für das ideale Vorbild. Doch niemand griff den Ansatz zur Präventionsarbeit auf. Oliver N. plant, ein Buch zu schreiben, kontrollierbar ist das freilich jetzt nicht mehr.

Neuland

Der Linzer Richter Walter Eichinger betrat als erster und bisher einziger dieses Neuland. Er hat mit verurteilten Alkolenkern gute Erfahrungen gemacht, indem er sie in Schulen als mahnende Beispiele auftreten ließ.

Ein 18-jähriger Tschetschene hatte von Linz nach Syrien in den IS ziehen wollen. In Istanbul warf er die Nerven weg und ließ sich von seinen Eltern abholen. Eichinger verurteilte ihn zu 15 Monaten teilbedingt. Das Absitzen der fünf Monate unbedingt konnte sich der junge Mann ersparen, wenn er vor Schülern erzählt, was ihn zum IS gelockt und dann doch abgeschreckt hat. Das Projekt (siehe am Ende des Artikels) wurde erfolgreich abgeschlossen, Nachahmer lassen auf sich warten.

Deradikaliserung

Nach drei Tagen in einer Wohngemeinschaft mit anderen radikalisierten Jugendlichen in Istanbul, von wo aus er nach Syrien weiterreisen sollte, wusste der 18-Jährige aus Linz: „Das ist kein Computerspiel mehr, da geht’s um Mord.“ Den ganzen Tag sei der Fernseher mit IS-Propaganda gelaufen. Unter anderem ein Film, in dem man sah, wie zwei Männer aus einem fahrenden Auto in eine Menschenmenge schießen.

Der Lehrling hatte sich dem IS anschließen wollen, um seine Religion als „guter Moslem“ ausleben zu können, wie er sagt. In vier Präventions-Workshops bei Jugend am Werk in Wien erzählte er – betreut von Neustart-Sozialarbeiter Boro Lovric – vor Berufsschülern seine Geschichte. Moderiert wurden die Auftritte von Extremismus-Forscher Moussa Al-Hassan Diaw vom Deradikalisierungsverein Derad. Die Zuhörer interessierte, wie die Eltern mit der Radikaliserung des 18-Jährigen umgegangen sind. „Und manche fanden es toll, dass er selbst rechtzeitig die Reißleine gezogen hat“, sagt Lovric.

Anklagen und Urteile

In den Jahren 2012 bis 2014 hielt sich die Zahl der Verfahren mit 31 bis 72, einer bis neun Anklagen und jeweils einer Verurteilung noch in Grenzen.

2015 gab es bereits 200 Verfahren wegen Mitgliedschaft an einer terroristischen Vereinigung, 49 Anklagen und 28 rechtskräftige Verurteilungen.

Heuer gibt es bis jetzt 193 Fälle, 41 Anklagen und 34 nicht rechtskräftige Verurteilungen.

Kommentare