Vereinsmeierei: Das Land der Präsidenten
I bin’s, dei Präsident. Der mehr als fünfzig Jahre alte Ausspruch des Wiener Polizeipräsidenten Josef Holaubek ist wahrscheinlich jeden Tag in irgendeiner Ecke des Landes zu hören. Österreich ist ein Land der Präsidenten. Denn ganz abgesehen von den öffentlich-rechtlichen Präsidenten wie den Bundes- oder Nationalratspräsidenten, gibt es bei uns ziemlich viele Vereinspräsidenten. Laut Statistik Austria zählte Österreich im Jahr 2018 an die 124.000 Vereine. Zwar hat nicht jeder Verein einen Präsidenten – manche haben auch einen Obmann – aber wo ein Präsident, da auch (mindestens) ein Vize. Die Präsidentendichte ist also hoch. Schließlich liebt man Titel in diesem Land. Warum eigentlich?
Rechtsanwalt Andreas Nödl, Restitutionsspezialist und nebenbei selbst mit „präsidentialer Erfahrung“ ausgestattet – er war Vizepräsident im Vorstand der ehemaligen Theresianums-Schüler – sieht dafür historische Gründe. „In einem Land, wo die Beamtenschaft traditionell weniger verdient hat, ist ein Titel oder ein Orden etwas, das man nach außen trägt, um zu signalisieren, dass man eine gewisse bürgerliche Adelsstufe erreicht hat.“ Darüber hinaus habe es Bequemlichkeitsgründe, jemanden per Titel anzusprechen. „Wenn mich jemand mit Herr Rechtsanwalt anredet, weiß ich, er hat wahrscheinlich meinen Namen vergessen.“
Im öffentlich-rechtlichen Bereich gibt es Organfunktionen, die als Präsidenten bezeichnet werden. Diese haben rechtlich deutlich umschriebene Zuständigkeitsbereiche. Vom Bundespräsidenten bis zu den Nationalratspräsidenten oder z.B. zum Rechnungshofpräsidenten. Dies betrifft nicht nur die Staatsfunktionen, sondern auch den Bereich der Selbstverwaltung: Das Kammerwesen etwa hat durch die Bank Präsidenten und Vizepräsidenten als Leitungsorgane. Dahinter stehen gesetzliche Regelungen mit einem festgelegten Umfang an Befugnissen.
Hat jeder Verein einen Präsidenten?
Das Vereinsgesetz stellt wörtlich auf das Leitungsorgan ab. Mit den Statuten kann bestimmt werden, dass dieses als Vorstand gewählt wird, oder auch als ein Präsident, aber auch als Obmänner und Obfrauen. Ein Kleingartenverein etwa hat nach Vereinsgesetz in der Mitgliederversammlung ein Leitungsorgan zu bestellen, dazu ein Rechnungsprüfungsorgan und ein Streitschlichtungsorgan. Rechte und Pflichten des Leitungsorganes, also des Präsidenten z.B., sind in den Vereinsstatuten ausformuliert.
Was den Titel Präsident von vielen anderen unterscheidet: Er ist nicht durch ein Studium erworben, sondern hängt immer mit einer Funktion zusammen. Präsidenten sind gewählt oder werden ernannt. „Im öffentlich-rechtlichen Bereich gibt es Organfunktionen, die als Präsidenten bezeichnet werden. Diese haben rechtlich deutlich umschriebene Zuständigkeitsbereiche. Vom Bundespräsidenten bis zu den Nationalratspräsidenten oder zum Rechnungshofpräsidenten.“ Das betrifft auch den Bereich der Selbstverwaltung: „Das Kammerwesen hat durch die Bank Präsidenten und Vizepräsidenten als Leitungsorgane. Auch dahinter stehen gesetzliche Regelungen mit einem festgelegten Umfang an Befugnissen.“
Doch kein Präsident
Zu den vielen Präsidenten in Österreich zählen übrigens auch solche, die eigentlich gar keine sind: „Bei Aktiengesellschaften etwa gibt es einen Aufsichtsrat mit einem Vorsitzenden – medial wird dieser oft als Aufsichtsratspräsident bezeichnet, das Gesetz verwendet aber die Worte Vorsitzender des Aufsichtsrates.“ Und dann gibt es Präsidenten, die gar keine sein müssten – weil sie auch andere Bezeichnungen führen könnten: „Das Vereinsgesetz stellt wörtlich auf das Leitungsorgan ab. Mit den Statuten kann bestimmt werden, dass dieses als Vorstand gewählt wird, oder auch als Präsident, aber auch als Obmänner und Obfrauen. Das ist egal.“
Bogenschützen, Mittelalterfans, Brieftaubenzüchter, Wünschelrutengeher. Österreichs Vereinsverzeichnis weiß gar von einer Tiefkühlgemeinschaft. Jede Interessensgemeinschaft hat ihren Verein und jeder hat laut Vereinsgesetz in der Mitgliederversammlung ein Leitungsorgan zu bestellen, dazu ein Rechnungsprüfungsorgan und ein Streitschlichtungsorgan.
Viel Arbeit, wenig Ehr’
Friedrich Wagner, 77, ist seit 15 Jahren Präsident des Ersten Österreichischen Eisenbahn-Modellbau-Klubs. Der studierte Volkswirt hat sein ganzes Berufsleben in Banken verbracht. In der Pension hat er sich dem Präsidentenamt gewidmet. „Wir sind mittlerweile ein sehr kleiner Klub. Wir haben nicht viel Nachwuchs. Unser jüngstes Mitglied ist ein Berufspilot, der ist schon 35. Der Zweitjüngste ist auch schon 58.“ Auch wenn der Klub nicht mehr das ist, was er einmal war: Das Präsidentenamt bedeutet viel Arbeit. Mindestens ein Tag pro Woche geht dabei drauf. Wagner hat Glück, dass seine Lebensgefährtin seinem Hobby mit „wohlwollender Distanz“ gegenübersteht. Der Präsidententitel, sagt Herr Wagner, sei ein historisches Relikt. „Es stammt aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, wo der erste Österreichische Eisenbahn-Modellbau-Klub über das ganze Land verstreut war. Der Klub hatte über 400 Mitglieder. Heute bedeutet mein Amterl Arbeit. Ich muss mit der Hausverwaltung reden, endlos Emails schreiben. Niemand will sich das mehr antun. Die Ehre ist gering und die Arbeit ist viel“. Ob er stolz ist auf sein Amt? „Ja. Ich habe vor einigen Jahren eine Modelleisenbahnschau in Baden organisiert. Und in unserem Spezialgebiet, der Spur Null, habe ich einiges in die Wege geleitet.“
Es gibt übrigens auch Präsidenten, die gar keine sein wollen. Auch wenn der Vorgänger auf den Spitznamen „Präsi“ reagiert, pocht Josef Koppi vom burgenländischen Fußball-Klub Apetlon (1. Klasse) seit einem Jahrzehnt auf die Bezeichnung Obmann. Erhaben über jeden Verdacht, als Angeber dazustehen. „In der Liga ist es auch nicht üblich. Ich bin kein Präsident, sondern Funktionär.“
Kann jeder einen Verein gründen und sich zum Präsidenten küren lassen? „Theoretisch ja, aber allein wird’s nicht gehen, weil es eine Mindestanzahl an Organen braucht“, erklärt Rechtsanwalt Nödl. „Man kann sich selbst Wohnzimmerpräsident betiteln; vielleicht wird man dann, je nach geistiger Verfassung, für geschäftsunfähig erklärt.“