150 Jahre im Cottage: Der Schrebergarten-Verein der Wohlhabenden
Der Cottage-Verein, der einst das gleichnamige Viertel gründete, feiert demnächst seinen 150 Geburtstag. Seine Aufgaben haben sich in dieser Zeit stark gewandelt. So auch das Grätzel selbst.
Ein paar Tage dauerte es, bis sich die revolutionäre Neuigkeit verbreitete. „Neustens hat sich nun ein Wiener Cottage-Verein gebildet, welcher nach dem Muster ähnlicher sehr gut prosperierender Unternehmungen in Deutschland, England, Frankreich und Belgien für seine Mitglieder billige und gesunde Häuser nach dem englischen Cottage-Principe erbaut und mit kleinen Gärten ausstattet, welche dann gegen successive Bezahlung des Kostenpreises in das Eigentum des betreffenden Mitgliedes übergehen“, berichtete die Neue freie Presse am 26. März 1872.
Gegründet worden war besagter Verein bereits einige Tage zuvor, am 14. März. Damit wurde der Grundstein für eines der berühmtesten Grätzel Wiens gelegt, das sogenannte Cottage-Viertel. Der Stadtteil hat – wie auch der bald 150 Jahre alte Verein – einen erstaunlichen Wandel durchgemacht.
Hier, im Grenzgebiet von Währing und Döbling, leben auf einer Fläche von 85 Hektar mit 640 Liegenschaften fast 6.000 Menschen.
Die Straßen sind mit Villen gesäumt, die von Berühmtheiten wie Felix Salten oder Arik Brauer bewohnt wurden. Es ist grün und ruhig.
Das verleiht dem Viertel einen gewissen Ruf: Es gilt als eine der nobelsten Gegenden Wiens.
Statistiken zu den hiesigen Immobilienpreisen gibt es zwar nicht, aber eine grobe Schätzung von RE/MAX. Im Neubau zahle man hier bis zu 11.000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche, heißt es auf KURIER-Anfrage.
Radikaler Gegenentwurf
Diese Entwicklung sei „entgegen der ursprünglichen Intention“, sagt Thomas Feiger. Er lebt seit 40 Jahren im Döblinger Teil des Grätzels und ist Präsident des Cottage-Vereins.
Wie von der Neuen Freien Presse erläutert, stand bei der Vereinsgründung (die übrigens von Heinrich Ferstel vorangetrieben wurde) die Leistbarkeit im Vordergrund.
Erklärtes Ziel war es, mit Einfamilienhäusern – den Cottages – die damalige Wohnungsnot zu bekämpfen. Und zwar mit einem Gegenentwurf zu den dicht belegten Zinshäusern innerhalb des Gürtels.
Wie sich das preislich ausging? Der Verein kaufte in großem Stil billigen Grund: „Die Gegend lag damals brach, vieles war eine Schottergrube. Eine Verkehrsanbindung in die Stadt fehlte“, sagt Feiger.
Hinzu kam, dass der Verein die ersten 50 Häuser selbst baute, was die Kosten weiter reduzierte. Später konnten Grundstücke auch gekauft und selbst bebaut werden.
Strenge Regeln
Nach und nach sprach sich herum, wie gut es sich in der Siedlung im Grünen lebt: „Im Lauf der Jahrzehnte wurden den Gründungsmitgliedern die Häuser für teures Geld abgekauft.“
Dass das Cottage so naturnah ist, ist der Verdienst des Vereins. Auf seine Initiative gehen etwa der Türkenschanzpark und die Alleen zurück.
Und er verpflichtete die Bewohner von Beginn an, nur nach gewissen Regeln zu bauen: So waren höchstens zweistöckige Häuser erlaubt, die zu Vierecken gruppiert wurden und deren Gärten im Inneren einen Grün-Komplex bildeten.
Wächter über das Viertel
Diese Vorschriften wurden ins Grundbuch eingetragen, sie sind nach wie vor in Kraft. Der Verein wacht heute darüber, dass sie bei Um- oder Neubauten eingehalten werden. Kurzum: Er achtet also – ähnlich wie ein Schrebergartenverein – darauf, dass in der Siedlung alles seine Ordnung hat.
Pro Jahr hat Feiger zwei bis drei Fälle auf dem Tisch, bei denen das nicht der Fall ist. Tätig wird er von sich aus oder weil sich Nachbarn beschweren.
Probleme gebe es vor allem dann, wenn Immobilienentwickler an Liegenschaften kommen. „Die versuchen, spekulativ das meiste herauszuholen – und noch mehr.“
Moderne Themen
Neben dem Schutz der historischen Bausubstanz hat es sich der Verein zur Aufgabe gemacht, „die Lebensqualität zu erhalten“, wie es Feiger formuliert.
Auch damit knüpft man an die Geschichte an: Der Verein initiierte einst soziale Treffpunkte wie eine Sportanlage in der Hasenauerstraße, wo man Eislaufen konnte.
Heute organisiert der Verein Sommer- und Weihnachtsfeste, handelt für die Mitglieder Rabatte bei Gartenpflegern heraus und nimmt sich zeitgenössischer Probleme an: etwa des Parkens.
Dass in Döbling im Jahr 2019 das Parkpickerl eingeführt wurde, heftet sich Feiger auf seine Fahnen. „Wir haben uns sehr dafür eingesetzt.“
Geburtstagsprogramm
Für das heurige Jubiläumsjahr hat man sich viele Projekte vorgenommen. In Kooperation mit den Bezirksvorstehungen will der Verein die einst so zahlreich vorhandenen Bankerln in die Alleen zurückbringen.
Gründung
Am 14. März 1872 wurde durch eine Initiative rund um den berühmten Architekten Heinrich Ferstel (u. a. Votivkirche, Hauptgebäude der Uni Wien) der Cottage-Verein ins Leben gerufen.
Aussprache
Vereinspräsident Thomas Feiger spricht den Namen wie das englische Wort „Cottage“ aus, gängig ist aber auch „Kotäsch“.
Zum Geburtstag
Geplant sind eine Foto-Ausstellung am Zaun des Türkenschanzparks (Ende Juni), zwei Bücher und ein Festakt in der BOKU.
Zudem sollen die Vereinsstatuten geändert werden: Nicht nur Eigentümer, sondern alle Bewohner des Grätzels sollen künftig ordentliche Mitglieder werden können.
Bis sich diese revolutionäre Neuigkeit verbreitet hat, werden diesmal wohl nicht Tage vergehen. Sondern bloß Stunden.
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