Ein neues Kleid für die Wiener Werkstätte: Einstiger Sitz wurde saniert
Das Haus in der Neustiftgasse 32–34 hat eine bewegte Geschichte: Einst war es Heimat von Wiens wohl legendärstem Kunsthandwerker-Kollektiv. Nun wurde die Fassade kunstfertig restauriert.
Bequem, aber nicht gar so sachlich wie die Modelle aus Deutschland: Diese Eigenschaften zeichneten die Reformkleider aus, die Berühmtheiten der Wiener Werkstätte wie Koloman Moser oder Josef Hoffmann designten.
Gefertigt wurden die Stücke in der Neustiftgasse 32-34, wo das bekannte Künstler- und Kunsthandwerker-Kollektiv einst seinen Sitz hatte. Eben dieser hat nun selbst ein neues Kleid bekommen.
Nach Jahrzehnten eines schmucklosen Daseins ist die Fassade des Gebäudes restauriert worden. Und zwar – wie es für die Wiener Werkstätte charakteristisch ist –, in feiner Handarbeit.
Geheimniskrämerei
„Ein derartiger Aufwand wird sonst fast nur bei öffentlichen Gebäuden betrieben. Bei privaten Eigentümern erlebt man das wirklich selten“, sagt Projektleiter Markus Janka von der Restaurierungswerkstatt Zottmann.
Wie dieses Engagement zu erklären ist? Abgesehen vom wohl ausreichend verfügbaren Kleingeld mit der engen Verbundenheit der Familie des Eigentümers mit der Adresse. Seinem Ur-Ur-Opa ist es zu verdanken, dass die Wiener Werkstätte in Neubau eine Heimat fand – und Platz für ihre revolutionäre Neuinterpretation des Kunstgewerbes.
Eines vorweg: Namentlich genannt werden möchte der jetzige Eigentümer nicht. Dem KURIER hat er aber die spannende Geschichte des Hauses, die er derzeit aufarbeiten lässt, verraten.
Errichtet wurde das Gebäude demnach 1903 von besagtem Ur-Ur-Großvater, seines Zeichens Sohn eines südsteirischen Lederfabrikanten. Er kam damals nach Wien, weil er in der Kellermanngasse 1–3 einen Ledergroßhandel gekauft hatte. Auch das Nachbarhaus in der Neustiftgasse 32–34, ein Biedermeier-Gebäude, erstand er – und riss es gänzlich ab.
Übrig blieb nur die Statue eines türkischen Reiters. Sie ging als Geschenk an das Wien Museum. An dem neuen Wohn- und Geschäftsgebäude, das an dieser Stelle errichtet wurde, brachte man eine Nachbildung an. Und eine Tafel zur Historie der Statue – wobei der damalige Hauseigentümer kreativ wurde.
Er gab darauf an, dass der osmanische Feldherr Kara Mustapha während der Zweiten Türkenbelagerung an dieser Adresse sein Zelt aufgebaut habe. (Tatsächlich stand es auf der Schmelz.) „Mein Ur-Ur-Großvater dachte wohl, die Geschichte macht sich gut“, so sein Nachfolger.
In Otto Wagners Nähe
Richtig ist hingegen, dass während der Arbeiten an dem Haus in der Neustiftgasse dessen damaliger Eigentümer den Architekten Josef Hoffmann kennenlernte. Hoffmann hatte zu dieser Zeit mit dem Designer Koloman Moser und dem Textilfabrikanten Fritz Waerndorfer bereits die Wiener Werkstätte gegründet.
Das Kollektiv
1903 wurde die Wiener Werkstätte als Gegenentwurf zum damaligen Kunstgewerbe gegründet. Die Mitglieder schufen Keramik, Textilien und Raumausstattungen – und entwickelten dabei den floralen Jugendstil weiter zu einer eigenen, geometrischen Strömung
Reformkleidung
Dabei handelt es sich um eine Stilrichtung mit großzügigen Schnitten, die ab 1850 propagiert wurde, um Frauen vom Korsett zu befreien.
Tipp
Das MAK zeigt bis Juni die Ausstellung „Josef Hoffmann – Fortschritt durch Schönheit“ über den Mitbegründer des Kollektivs.
Ihren ersten Sitz hatte die Gruppe in der Heumühlgasse im 4. Bezirk in einer kleinen Wohnung. Als der Besitzer des in Bau befindlichen Hauses in der Neustiftgasse dies hörte, errichtete er im Hinterhof kurzerhand Produktionsstätten für das Kollektiv.
Praktischer Nebeneffekt: Man befand sich ganz in der Nähe von Vordenker Otto Wagner, der in der nahen Döblergasse ein Wohnhaus baute und eng mit der Gruppe verbunden war. Sie werkte dort bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1932.
Nachbarhaus als Vorbild
Bevor Restaurator Janka an der Fassade des Gebäudes an der Nummer 32–34 werken konnte, nahm er sich die ganz ähnlich aussehende in der Kellermanngasse 1–3 vor. An ersterer waren in den 1960ern nämlich die Zierelemente abgeschlagen worden, Janka brauchte eine Vorlage.
Unter Hinzuziehung von Original-Plänen und Fotos baute er mehrere hundert Teile nach. Insgesamt hat die Rekonstruktion der Fassade bisher ein Jahr gedauert.
Ein letzter Schritt ist noch ausständig: „Die Sockelzone muss noch verputzt werden. Dafür brauchen wir wärmeres Wetter“, sagt Janka.
Sind diese Arbeiten finalisiert, entspricht die Fassade dem Erscheinungsbild von 1903. Wie damals haben auch heute Künstler Ateliers im Hof. Die restlichen Flächen dienen als Büros und Wohnungen.
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