„Fortschritt durch Schönheit“ (bis 19. Juni) im Museum für angewandte Kunst (MAK) hat die Wirkung eines 10-Gänge-Menüs. Aber wo bleibt der Digestif?
Um die Materialfülle zu verdauen, rund 1.000 Exponate mehr als nur flüchtig zu erfassen und die vielen neuen und bisher unbekannten Aspekte zum Lebenswerk eines auch von Le Corbusier geschätzten Visionärs im fast drei Kilogramm schweren Begleitbuch zu entdecken?
Sehr hilfreich ist dabei die klar und übersichtlich aufgebaute Doku „Josef Hoffmann. Auf der Suche nach Schönheit“ von Rudolf Klingohr: Sie zeichnet schon beim Saaleingang ein vielschichtiges Porträt des Gestalters, der keine Grenzen kannte. Dem kein Material fremd war.
Ob Pavillon oder Zigarettendose – egal, was Josef Hoffmann entwirft, es ist alles Architektur, bemerkte schon der Kunsthistoriker Dagobert Frey. Und für den Katalog-Herausgeber Christoph Thun-Hohenstein ist Hoffmann ein erstaunlich „unbekannter Bekannter“, mit dessen Kreationen wir bis heute leben, ohne dass wir uns des Urhebers bewusst wären.
Der Titel der Ausstellung „Fortschritt durch Schönheit“ spielt an auf die Lust an der Ästhetik eines fanatischen Gestalters schöner Dinge und die Reform und Erneuerungsbewegung der Wiener Kunstszene um 1900.
Ob Möbel oder Teppiche, Schmuck oder Mode, Lampen oder Besteck: Faszinierend sind Vielfalt und Qualität an Design-Ideen. Dass es nicht nur den für seine strengen, klaren, geometrischen Entwürfe weltberühmten Hoffmann gibt, der in den letzten 30 Jahren groß gefeiert wurde, sondern auch seine Formfindungen der 1910er und 1920er-Jahre spannend sind.
Wie schon in der MAK-Schau „Wege der Moderne“ 2014 vorgeführt, ist auch hier ersichtlich: Bei Adolf Loos liegt die Kunst über der Gestaltung des Alltags, für Hoffmann liegt die Kunst auch in dessen Gestaltung.
Hoffmann ist nie stehen geblieben, hat über sechs Jahrzehnte nie aufgehört zu zeichnen und zu entwerfen. Er hat sich immer neu inspirieren lassen und sein Formenrepertoire ständig angereichert. Etwa mit organischen, floralen Motiven. Er befasste sich mit Klassik und Barock – und auch mit der neuen Sachlichkeit. Er arbeite intuitiv, verriet er in einem RAVAG-Interview:
„Es gibt zwei Arten von Künstlern: die einen, die eine Sache vernunftmäßig aufbauen und systematisch entwickeln, und die anderen, denen etwas einfällt – ich bin mehr für die Einfallenden.“
Und was ist der alles bestimmende Faktor in Hoffmanns Werk?
„Der Glauben an die Rettung der Welt durch das Schöne“, erklärt Kurator Christian Witt-Dörring. „Obwohl sein Leben fünf verschiedene Regime durchläuft, von der Monarchie über die Erste Republik, den Ständestaat und den Nationalsozialismus bis zur Zweiten Republik, bleibt er seinem Credo treu. Obwohl er sich stilistisch kontinuierlich neu erfindet, bleibt er sich inhaltlich stets treu.“
Die Schau räumt zudem auf mit dem Klischee des Palastbaumeisters und Villenarchitekten und zeigt Hoffmann auch als Sozialarchitekten, der u. a. für das Rote Wien der Zwischenkriegszeit drei Wohnhausanlagen und Arbeitersiedlungen in Tschechien errichtet hat.
„Es gibt noch viel sagen und zu tun zu Hoffmanns Werk,“ sagt Kurator Rainald Franz. Und die Erfahrung des Besuchers ist einmal mehr: Es gibt keine endgültigen Wahrheiten. Ein Kunstwerk verändert sich, was ein sicherer Qualitätsbeweis ist, mit einem je nach Zeit und Betrachtung, während man sich selbst permanent verändert.
Und bleibt letztlich doch von zeitloser Relevanz.
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