Asyl und Justiz: Wo ÖVP und FPÖ schon eins sind - und was kommen könnte
Die Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ und Neos ist gescheitert, die ÖVP unter dem neuen Parteichef Christian Stocker nahm diese Woche die Verhandlungen mit der FPÖ von Herbert Kickl auf.
So skeptisch die beiden Parteien einander begegnen - inhaltlich gibt es doch einige Schnittpunkte, und das nicht nur beim Wirtschaftskapitel, das bei den Parteien fast deckungsgleich ist. Was die Justiz und das Migrationsthema betrifft, wurde die ÖVP bei vielen Vorstößen von ihrem bisherigen Koalitionspartner gebremst, bei der FPÖ hätte es dafür durchaus Unterstützung gegeben.
Der KURIER hat einige Punkte herausgearbeitet. Was kommen dürfte - und wo es noch Gesprächsbedarf gibt.
Asyl-Pläne scheitern häufig an der Realität
Asyl und Migration sind seit jeher Kernthemen bei der FPÖ – und die ÖVP stimmt mit den Blauen insofern überein, dass es eine härtere Gangart braucht. Viele Forderungen halten aber der Realität des Rechtsstaats und der Europäischen Union nicht stand – das musste Herbert Kickl schon in seiner Zeit als FPÖ-Innenminister (Dezember 2017 bis Mai 2019) zur Kenntnis nehmen.
Es gab während Türkis-Blau de facto weniger Abschiebungen als in der Ära von ÖVP-Innenminister Gerhard Karner (seit Dezember 2021). 2018 gab es 12.611 Ausreisen, 2023 waren es 12.900. Die Zahl der Asylanträge war in Kickls Amtszeit zwar niedrig, der Trend hat aber schon 2016 begonnen. Erst ab 2021 ist die Zahl wieder gestiegen.
Migrationsströme - also wie viele Flüchtlinge aus welchen Ländern kommen - verändern sich vor allem aufgrund internationaler Entwicklungen. Der Innenminister eines kleinen Landes im Herzen Europas hat nicht so viel Einfluss, wie er gerne vorgibt.
In Erinnerung geblieben ist vielen auch, dass es unter Kickl im Asylamt zwar viele Negativ-Bescheide gab, fast die Hälfte dann aber in zweiter Instanz umgedreht wurde.
Härtere Rhetorik
Auch, dass die FPÖ von einem „kompletten Asylstopp“ spricht, ist ein eher substanzloser Wahlkampfslogan – Österreich kann sich inmitten von Europa nicht abschotten – und wenn, dann wäre es (ähnlich wie Ungarn) rasch isoliert in der europäischen Gemeinschaft.
Womit aber sehr wohl zu rechnen ist, ist erstens eine schärfere Rhetorik und Sprachregelung. Ein Schmankerl aus Kickls Amtszeit: Das „Erstaufnahmezentrum“ in Traiskirchen ließ er 2019 in „Ausreisezentrum“ umbenennen.
Sicherungshaft
Zweitens dürfte die ÖVP mit einigen Maßnahmen, die für Grüne sowie für SPÖ und Neos ein No-go waren, offene Türen einrennen. Im Verhandlungspapier der gescheiterten Ampel ist die Rede von einer „Sicherungshaft (als Weiterentwicklung der Schubhaft) für Asylwerber bei Vorliegen einer tatsächlichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“.
Der Punkt steht auf Rot (blockiert), weil Neos und SPÖ offenbar dagegen waren. Selbiges gilt für einen „Maßnahmenvollzug für radikalisierte Straftäter nach Abbüßen der Haftstrafe auch bei Erstverurteilung“.
Aberkennung von Schutz
Ein Thema, das sich ÖVP-Minister Karner in der zweiten Jahreshälfte verstärkt vorgenommen hat, ist die Aberkennung des Schutzes, etwa bei Straffälligkeit. Nach jetziger Rechtslage muss jemand wegen eines „besonders schweren Verbrechens“ verurteilt worden sein, damit er den Schutzstatus verliert, diese Hürde könnte unter Blau-Türkis gesenkt werden. Der „Ausbau der Möglichkeiten zur Aberkennung“ bzw. die „Erweiterung der Asyl-Ausschlussgründe“ steht im Ampel-Verhandler-Papier ebenfalls auf Rot.
Was Abschiebungen betrifft, wird aber auch Blau-Schwarz vor dem Problem stehen, dass jemand nur dann außer Landes gebracht werden kann, wenn das andere Land ihn nimmt. Im Verhandlerpapier wünschte sich die ÖVP verstärkte Kooperationen mit Drittstaaten.
EU-Asylpakt
Spannend wird, wie die ÖVP die FPÖ dazu bringt, sich zur Umsetzung des Asyl- und Migrationspakts der EU zu bekennen. Im EU-Parlament hat der blaue Abgeordnete Harald Vilimsky heftigst dagegen gewettert. Österreich hat nicht allen zehn Maßnahmenpaketen zugestimmt, Innenminister Karner sprach jedenfalls von einem „Schritt in die richtige Richtung“.
Justiz in Blau-Schwarz
Wenn sich die grüne Justizministerin Alma Zadić und ihr ÖVP-Gegenüber, Verfassungsministerin Karoline Edtstadler, in der Koalition nicht einig geworden sind, gab es oftmals eine Vorahnung, die sich jetzt bewahrheiten könnte: Wenn es die grüne Ministerin nicht macht, dann kommt es gar nicht mehr – oder ein Blauer macht’s auf seine Weise.
In die erste Kategorie dürfte das heftig diskutierte Projekt Bundes- bzw. Generalstaatsanwaltschaft – sprich: einer neuen, unabhängigen Weisungsspitze bei Strafverfahren – fallen.
Bundesstaatsanwalt
Die FPÖ lehnt die Idee, die Aufsicht über Vorhaben der Staatsanwaltschaften aus dem Justizministerium herauszulösen, ab. Sie ist überzeugt: Unabhängig ist nur ein Richter; ein Staatsanwalt aber ist weisungsgebunden – und Weisungen gibt nun einmal ein Minister.
In den gescheiterten Koalitionsverhandlungen mit SPÖ und Neos beharrte die ÖVP zwar immer noch auf dem Konzept Einzelspitze, hat aber insgesamt kein gesteigertes Interesse an dem Projekt, das seit jeher eher eine grüne bzw. rote Forderung war.
Ministerin Edtstadler willigte zwar ein, wollte den Bundesstaatsanwalt aber nur innerhalb eines Pakets, zu dem auch der Ausbau der Beschuldigtenrechte gehört. Beschlossen wurde u. a. die Ausweitung des Kostenersatzes bei Freispruch und Einstellung.
Zitierverbot
Offengeblieben ist aus diesem „Paket“ das Zitierverbot aus Strafakten in Medien. Die FPÖ meinte, dies diene nur zum „Selbstschutz“, da ja gegen einige Türkise ermittelt werde. Inhaltlich bzw. medienpolitisch äußerte sie sich nicht – und lässt damit Raum für Verhandlungen. Andere Parteien sind gegen ein Zitierverbot.
Bundestrojaner
Alleine dagestanden ist die ÖVP zuletzt auch mit ihrem Entwurf zur Messenger-Überwachung. Innenminister Gerhard Karner appellierte an FPÖ-Chef und Ex-Innenminister Herbert Kickl, der damals bei Türkis-Blau 2018 auch beim Bundestrojaner mitgestimmt hat. Die Maßnahme wurde vom Verfassungsgerichtshof gekippt, und Kickl gab sich geläutert: Zwar sei klar, dass die Polizei ein Instrumentarium brauche, inzwischen sei er der Überzeugung, dass es diese Form der „Massenüberwachung“ nicht sein könne, wie er im Nationalratswahlkampf erklärte.
Auch das wirkt nicht so, als hätte sich die FPÖ einzementiert – die ÖVP könnte mit einem neuen Modell überzeugen. Die blaue Personalvertretung in der Exekutive dürfte hier ebenfalls Druck machen.
Korruptionsbekämpfung
Schlechte Aussichten gibt es für die WKStA. Im Verhandlungspapier der gescheiterten Dreierkoalition ist zu lesen, dass SPÖ und Neos eine „Stärkung“ und eine „Erhöhung der Ressourcen“ wollten. Da diese Punkte auf Rot (blockiert) stehen, ist davon auszugehen, dass die ÖVP dagegen war. Bekanntlich ist die FPÖ auch kein Fan der Korruptionsjäger – und hätte wohl kein Problem damit, wenn die Behörde nach Wunsch der ÖVP zurechtgestutzt würde.
Strafmündigkeit
Noch ein Punkt, bei dem ÖVP und FPÖ eines Geistes sind, ist die Strafmündigkeit: Bei den Grünen ist die ÖVP mit ihrer Forderung, diese von 14 auf zwölf Jahre herabzusetzen, abgeblitzt.
++ Anmerkung: In einer früheren Version dieses Artikels ist bei der Angabe der Asylzahlen leider ein Fehler passiert. Der Artikel wurde am Sonntag, 10 Uhr, korrigiert und um weitere Zahlen ergänzt. ++
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