Verhandlungsstratege: "Putin ist kriminell, er geht buchstäblich über Leichen"
"Mit Wladimir Putin wird es in der Ukraine keinen Frieden geben", glaubt Matthias Schranner. Der beim FBI ausgebildete Verhandlungsprofi verhandelte lang für die Polizei mit Geiselnehmern. Heute berät der Deutsche die UN, globale Unternehmen und Parteien.
KURIER: Warum wurden die Warnungen der USA, dass Russland in die Ukraine einmarschieren könnte, bei uns in Europa nicht wirklich ernst genommen?
Matthias Schranner: Es gibt immer verschiedene Annahmen – den wahrscheinlichen und den schlimmstmöglichen Fall. Beim wahrscheinlichen Fall geht man von den eigenen Werten, der eigenen Erfahrung aus. Viele Länder sind vom Wahrscheinlichen ausgegangen, also von dem, was sie glaubten, dass Putin macht. Das war der Fehler.
KURIER: Muss man in der aktuellen Lage wieder vom Worst Case ausgehen?
Matthias Schranner: Ja. Man weiß ja von Putin, was er in Georgien, in Tschetschenien, auch in Syrien gemacht hat. Er führt Krieg. Und wenn er mit normalen Mitteln nicht weiterkommt, dann zerstört er Gebäude, so lange, bis alle fliehen und nimmt dann die Stadt ein. Das ist der Worst Case für die nächsten Wochen. Er würde wahrscheinlich auch nicht erlaubte Waffen einsetzen, also Streubomben oder Vakuumbomben.
KURIER: Wie könnte man Moskau zu Verhandlungen bringen?
Matthias Schranner: Die militärischen Aktionen von der Ukraine müssten noch stärker werden. Also man muss Russland zeigen, dass dieser Krieg nicht zu gewinnen ist. Erst dann würden sie an den Verhandlungstisch gehen, und dann gäbe es einen Waffenstillstand. Sobald ein Waffenstillstand da ist, kann man wieder einigermaßen deeskalierend reden. Zurzeit geht das aber nicht. Vereinfacht gesagt: Putin müsste Angst bekommen. Angst, dass er den Krieg nicht gewinnt. Angst, dass ihn die eigenen Leute nicht mehr unterstützen; dass er international isoliert sein wird. Erst wenn er wirklich negative Konsequenzen befürchtet, wird er handeln.
KURIER: Was, wenn Putin sieht, dass sein Ziel nicht so schnell zu erreichen ist?
Matthias Schranner: Die Frage ist, was Putin glaubt. Oft sind solche Menschen wie er so isoliert von Informationen, dass sie nur noch Ja-Sager um sich haben und nur noch auf Leute hören, die die eigene Meinung wiedergeben. Hätte Putin eine Regierung mit Personen, die auch kritisch sind, hätten diese gesagt: Lass den Quatsch. Er hat nur noch Leute um sich herum, die ihn in seiner Denkweise und in seinem Wahn unterstützen.
KURIER: Was würden Sie der Ukraine raten, wenn Sie jetzt ein Verhandler wären?
Matthias Schranner: Man muss alle Möglichkeiten sondieren. Das heißt, dass man nicht sichtbar verhandelt, sondern im Hintergrund, weil die sichtbaren Verhandlungen, die angeblichen Friedensgespräche, zurzeit keinen Sinn machen. Aber die Sondierungen im Hintergrund müssen unbedingt geführt werden. Man muss herausfinden: Könnte man die Oligarchen vielleicht zusammenschließen und gegen Putin einsetzen? Könnte man politisch Andersdenkende zusammenbringen und gegen Putin vorgehen lassen? Die Frage ist nun: Wer könnte Putin stürzen? Das muss innerhalb Russlands geschehen, nicht von außen.
KURIER: Wann könnte dieser Zeitpunkt sein? Man weiß ja nichts über ihn …
Matthias Schranner: Man weiß, wie er bisher vorgegangen ist. Dass er solange Gewalt ausübt, bis er sein Ziel erreicht. Er hat keine Hemmungen, brutalst gegen die Bevölkerung vorzugehen. Das macht es ja so wahnsinnig gefährlich, weil man weiß, dass er keine Grenzen scheut: Und man weiß, dass er sich nicht an Regeln hält. Man weiß, dass er lügt.
KURIER: Angesichts dieser verzweifelten Lage – würden Sie als Verhandler der Ukraine raten, zu kapitulieren?
Matthias Schranner: Nein. Es sieht so aus, als ob die Invasion von Russland nicht wirklich erfolgreich ist. Ich bin der Meinung, dass man diese Möglichkeit jetzt nutzen muss, um Putin auch langfristig zu stoppen. Denn sonst macht er genauso weiter. Entweder Putin gibt auf, oder Putin wird noch stärker, und ich glaube nicht, dass es dazwischen eine Kompromisslösung gibt.
KURIER: Werden die Wirtschaftssanktionen Russland nicht langfristig das Genick brechen?
Matthias Schranner: Das ist ja Putin egal, der wohnt weiter in seinem Schloss. Würde er sich für sein Volk verantwortlich fühlen, hätte er schon lange umschwenken müssen. Für mich ist er kein Präsident Russlands, sondern ein ganz banaler Diktator, ein Kriegsverbrecher. Ich komme von der Polizei, ich weiß, wie Kriminelle denken, sie denken einfach anders. Und Putin ist kriminell. Er sieht nur seinen eigenen Vorteil und er geht buchstäblich über Leichen. Das ist ihm egal, wie viele Kinder da sterben.
KURIER: Braucht man Putin, wenn man einen Frieden ausverhandeln will?
Matthias Schranner: Man bräuchte ihn, aber ich glaube nicht, dass es funktioniert. Ich glaube wirklich, dass er so lange kämpfen wird, bis er alles kaputtgemacht hat oder dass er ausgetauscht wird und dass eine neue Regierung kommt.
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