Ungarn 2024: Es lief schon mal besser für Viktor Orbán

Ungarn 2024: Es lief schon mal besser für Viktor Orbán
Erst der Novák-Skandal, dann ein neuer, ernstzunehmender politischer Herausforderer, viel Kritik um die Ratspräsidentschaft und sein Land in der Wirtschaftskrise: 2024 lief nicht alles rund für Orbán.

Ungarn blickt auf ein außergewöhnlich ereignisreiches Jahr zurück, das für Regierungschef Viktor Orbán wohl in großen Teilen ein "annus horribilis" gewesen ist. 

Zu den Brennpunkt-Themen gehörten der Rücktritt der Staatspräsidentin Katalin Novák aufgrund einer Begnadigungsaffäre im Februar, die Wirtschaftskrise, das Auftauchen von Péter Magyar als ernsthafter politischer Rivale von Orbán sowie die viel kritisierte ungarische EU-Präsidentschaft.

Novák-Skandal - schwerer Schlag gegen Machtapparat

2024 ist das Jahr, in dem Orbán und seine Fidesz-Partei durch den Novák-Skandal stark belastet wurden, was sich im Rückgang ihrer Popularität zeigte. Die Staatspräsidentin hatte im April 2023 einen Mann begnadigt, der wegen Beihilfe zu sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen verurteilt worden war. Der Mann, der Vizedirektor eines Kinderheims, hatte die jugendlichen Einwohner des Heims zu Falschaussagen genötigt, um die Missbrauchstaten des Direktors zu vertuschen. 

Die Begnadigung wurde im Februar aufgrund eines Medienberichtes öffentlich bekannt und sorgte für riesige Empörung in der Bevölkerung. Novák und die die Begnadigung gegenzeichnende damalige Justizministerin Judit Varga mussten sich daraufhin auf Geheiß Orbáns aus der Politik zurückziehen. Varga, die bereits 2023 ihr Ministeramt zurückgelegt hatte, hätte eigentlich Fidesz-Spitzenkandidatin für die EU-Wahl 2024 werden sollen. Der Verlust der beiden seit Jahren auch auf internationaler Ebene aufgebauten Spitzenpolitikerinnen war ein herber Schlag für die mit Nachwuchsproblemen kämpfende Fidesz.

Neuer politischer Herausforderer

Doch die Probleme waren durch Nováks Rücktritt nicht aus der Welt geschafft: Just in diesem Moment trat Vargas Ex-Ehemann Petér Magyar in die Öffentlichkeit. Der Jurist hatte als Ehemann der Justizministerin jahrelang als kleiner, weitgehend unbekannter Funktionär im Fidesz-Umfeld agiert. 

In einem Videointerview und mehreren Facebook-Postings geißelte er nun heftig Orbán und sein Umfeld. Bald trat er auch in die Politik ein und übernahm die inaktive Provinzpartei "Respekt und Freiheit" (TISZA - auf Ungarisch gleichnamig mit dem Fluss Theiß), die er zu einem Wahlerfolg bei der Europawahl im Juni führte.

Magyar und seine Partei TISZA sorgten dafür, dass die Macht von Orbán nach 14 Jahren erstmals gefährdet wurde, meint der Politologe Gergely Rajnai von der Corvinus-Universität Budapest gegenüber der APA. Der Erfolg von Magyar zeige sich auch im Ausgang der Europawahlen, wo TISZA aus dem Stand sieben Mandate erzielte, während Fidesz mit elf Mandaten ihr bisher schlechtestes Ergebnis verzeichnete. 

Weitere Oppositionsparteien blieben weit zurück. "Damit entstand gewissermaßen ein Zwei-Parteien-Kampf zwischen der erst im April gegründeten TISZA und der rechtsnationalen Fidesz", befindet Rajnai. TISZA bringt Fidesz laut Umfragen in Bedrängnis und konnte zum Schaden anderer Oppositionsparteien erstarken.

Ungarn 2024: Es lief schon mal besser für Viktor Orbán

"Fidesz gelangte in die Defensive"

Der Begnadigungsskandal um Novák ist einer der Gründe für den Erfolg von Magyar, meint der Politologe Zoltán Kiszelly vom regierungsnahen Institut Századvég im APA-Gespräch. Denn von ihrem Rücktritt konnte Magyar profitieren. "Fidesz gelangte in die Defensive, wobei Magyar diese Lücke ausnutzte." Laut Kiszelly konnte Fidesz von den Wahlen 2022 an bis Anfang 2024 den Takt angeben. Dann sei die "Glücksserie" durch den Novák-Skandal unterbrochen worden. Im Sommer habe Fidesz erneut die Themenführerschaft übernehmen können, durch Orbáns "Friedensinitiative" und die Wiederwahl von Donald Trump zum US-Präsidenten, so der regierungsnahe Analyst.

Magyar wird von Fidesz-Vertretern regelmäßig als "aggressiv" und gar als "ein Fall für den Psychiater" bezeichnet. Doch scheinen alle Angriffe gegen den 43-Jährigen eher kontraproduktiv zu sein und seine Popularität noch zu stärken. Im Europaparlament trat die TISZA-Partei der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) bei, während Fidesz gemeinsam mit anderen rechtspopulistischen Parteien, darunter auch die FPÖ, letztlich eine neue Fraktion namens "Patrioten für Europa" bildete. Aktuell erklärte Orbán, es sei nur eine Frage der Zeit, bis die "Patrioten" die Mehrheit in Brüssel stellen würden.

Oppositionsparteien bangen um Fünf-Prozent-Hürde

Nach aktuellen Umfragen würde derzeit außer TISZA lediglich die rechtsextreme Partei "Mi Hazánk" (Unsere Heimat) die Fünf-Prozent-Hürde ins Parlament überspringen können. Zugleich scheint die Orbán-Behauptung, dass nur er Ungarn größer machen kann, seine politische Gemeinschaft teils weniger zu beeindrucken. 

Im Schatten der Ängste um eine Wahlniederlage änderte das Parlament mit den Stimmen der Fidesz-Partei die Wahlordnung. In dem Sinne wurden Wahlkreise in und um die als Oppositionshochburg geltende Hauptstadt Budapest neu gezeichnet, wovon die Orbán-Partei profitiert.

Ratspräsidentschaft und "Friedensmissionen"

Die ungarische EU-Präsidentschaft geht in diesem Monat zu Ende. Premier Orbán feierte die zurückliegenden sechs Monate als großen Triumph, während seine Kritiker von einem Fiasko sprachen. Dabei begann die Ratspräsidentschaft mit einer Provokation. Denn Orbán sorgte mit seiner selbst ernannten "Friedensmission" für Kritik und Boykott, als er ohne Absprache mit Brüssel zu dem von der EU sanktionierten russischen Präsidenten Wladimir Putin und später zum republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump sowie zum chinesischen Präsidenten Xi Jinping reiste.

"Ungarn ist isoliert in der EU, vor allem im Europäischen Parlament, weswegen der Ratsvorsitz unter schwierigen Bedingungen stattfand", sagte Kiszelly im APA-Gespräch. Hoffnungen würden auf die im Jänner beginnende polnische Präsidentschaft gesetzt, weswegen die ungarische praktisch eine "Minimal-Präsidentschaft" war. Doch diese habe Orbán durch seine "Friedensmissionen" aufgewertet, meint Kiszelly.

EU-Kommission boykottierte Budapest

Als Antwort auf die Alleingänge von Orbán entsandte die EU-Kommission zu informellen Ratstreffen in Ungarn während der Präsidentschaft zumeist keine Kommissarinnen und Kommissare nach Budapest, sondern nur Beamte. Beim informellen EU-Gipfel im November war Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen allerdings anwesend. 

Bei seinem Auftritt im Europaparlament wurde Orbán für seine Alleingänge und für Grundrechtsverstöße scharf angegriffen. Auch wurden 2024 die blockierten EU-Gelder für Ungarn nicht ausgezahlt. Es sind rund 20 Milliarden Euro, die wegen Verstößen gegen Rechtsstaatlichkeit eingefroren wurden. Diese Gelder will Brüssel erst dann freigeben, wenn Ungarn weitere Reformen umsetzt.

Dabei läuft Orbán die Zeit davon, denn Ende 2024 entfällt eine Milliarde Euro für Ungarn, die ebenso wegen schwerer Verstöße gegen europäische Rechtsstaatsprinzipien zurückgehalten werden. Dabei steht Orbán unter Druck, er braucht angesichts der leeren Kassen die Milliarden. Bei Nichterhalt droht er mit einem Veto gegen den kommenden EU-Haushalt, was die Kommission als Erpressung wertet. Es sei bereits eine Anwaltskanzlei beauftragt worden, um "Brüssel anzuzeigen", hatte Orbán aktuell erklärt. 

"Die Institutionen der EU stehen seit langem im Konflikt mit Ungarn, und diese Konflikte haben sich während der Ratspräsidentschaft weiter verschärft", erklärt der Analyst Rajnai.

Trump-Unterstützer Orbán setzt auf Hilfe des neuen US-Präsidenten

Nach dem Wahlsieg von Trump setzt Orbán große Hoffnungen auf den neuen US-Präsidenten. Der ungarische Premier erhofft sich Wirtschaftshilfe und zugleich eine Stärkung seiner politischen Positionen. Laut Kiszelly könnte Ungarn politisch profitieren, da der Druck seitens der USA geringer werde. Indem die ungarische Opposition weniger Finanzhilfen aus den USA erhalten dürfte, helfe Trump Orbán bei den Parlamentswahlen 2026, betont der Politologe.

Wirtschaftlich gesehen werde es wohl durch Trump keine Vergünstigungen für Ungarn geben, vermutet Rajnai. Zugleich hoffe die ungarische Regierung, dass die in Ungarn gebauten E-Autos und andere Produkte nicht durch US-Zölle belegt werden, was für Ungarn als EU-Mitgliedsstaat praktisch unwahrscheinlich sei, so der Analyst.

Schwere Wirtschaftskrise

2024 war in Ungarn auch das Jahr einer schweren Wirtschaftskrise, geprägt von einem starken Einbruch der Industrieproduktion, von Rekordinflation, hohen Preisen, niedrigem Lohnniveau und Armut. Laut Umfrage des Institutes Publicus bedeutet das Weihnachtsfest nur für ein Drittel der Bevölkerung keine finanzielle Belastung. 2023 waren es noch 41 Prozent. 

Hinsichtlich der Verantwortung will die Fidesz-Regierung ihren Anhängern laut Rajnai weismachen, dass nicht sie schuld sei an den Wirtschaftsproblemen, sondern der Ukraine-Krieg, die schlechte Führung in der EU und das Fehlen der eingefrorenen Milliarden.

(von H. Ferenczi/APA)

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