Einer, der einmal ganz nah dran war am Machtapparat, ein "Whistleblower" – so sieht ihn nicht nur das Ausland. In Umfragen wird Magyar, der sich mit einer bisher unbekannten Klein-Partei zusammengetan hat, bereits bei 24 Prozent Zustimmung gesehen, und ist damit beliebteste Oppositionspartei (Orbáns Fidesz-Partei kommt in derselben Umfrage auf 46 Prozent Zustimmung, minus fünf Prozentpunkte).
Wie der junge Orbán
Ein Polit-Neuling, ohne großen Parteikorps im Rücken, der lautstark das herrschende System anklagt und schnell an Popularität gewinnt, ein Hoffnungsschimmer für viele von der Regierung enttäuschte Ungarn. Nicht wenige erinnert das an wen – und zwar an den jungen Viktor Orbán, der 1989 mit wilden Haaren und ohne Krawatte als Studentenführer einer liberal-demokratischen Bewegung den Kommunismus anklagte.
Den Vergleich mit dem jungen Orbán nehme Magyar "gern" an, sagt er im Interview mit dem Tagesspiegel. Er sehe Orbán sogar als "demokratischen Helden" und "epochalen Politiker" – der nur durch die finanzpolitischen "Daumenschrauben", die Brüssel Ungarn anlegte, "in die falsche Gasse abgebogen ist", sagt Magyar im Interview.
Nicht nur im Auftritt ähneln sich Orbán und sein momentan größter Widersacher: Was die EU angeht, sind beide für mehr nationalstaatliche Souveränität und die Rückkehr zu einer reinen Wirtschaftsgemeinschaft; beide üben Kritik an Waffenlieferungen an die Ukraine und dem beschleunigten Beitrittsprozess.
Mit diesem national-konservativen Kurs dürfte Magyar neben Oppositionswählern auch viele enttäuschte Orbán-Wähler ansprechen, glaubt Balázs Böcskei, politischer Analyst und Strategie-Direktor des IDEA Instituts, "wobei derzeit die meisten Wähler noch aus dem Oppositions- oder Nicht-Wähler-Lager kommen". "Wie Fidesz – nur ohne Korruption", so wird Magyar häufig analysiert. Und genau das wird als Grund für seine Popularität gesehen.
Konservativ, aber gegen Korruption
Denn mit seinem Anprangern der Vetternwirtschaft der Regierung katalysiert Magyar eine Wut, die in vielen Teilen der Bevölkerung und auch unter Fidesz-Wählern vorherrscht: Wenn Magyar erzählt, wie Jahr für Jahr dieselbe Firma eine Ausschreibung für öffentliche Kommunikation gewonnen hat, obwohl sie drei- bis sechsmal so teuer gewesen sei wie andere, buht die Menge. Ähnliche Beispiele gibt es unzählige, von Orbáns Schwiegersohn, der dutzende Gemeinden mit neuer Straßenbeleuchtung ausstattete und dafür EU-Fördergelder erhielt, bis zum viel zu großen Fußballstadion in Orbáns Heimatdorf Felcsút, für das ein befreundeter Baumeister kassierte.
Gleichzeitig unterscheidet er sich mit seinem konservativen Kurs von den mehrheitlich liberalen Oppositionsparteien. Damit kommt er auch bei der ländlichen Bevölkerung an, zuletzt tourte er durch Ostungarn und verschaffte sich auch dort Gehör und Zustimmung – etwas, das den etablierten Oppositionspolitikern stets verwehrt blieb.
Böcskei zum KURIER: "Inhaltlich hat er der ungarischen Mainstream-Politik bisher nichts Neues hinzugefügt. Doch anhand seiner Person können Oppositionswähler Kritik an der Opposition und der Regierungspartei üben. Das gibt ihm die emotionale Glaubwürdigkeit, die er braucht."
Magyar fordert, dass Ungarn der Europäischen Staatsanwaltschaft beitritt, verspricht, die politischen Institutionen von Parteisoldaten zu säubern und eine Umsetzung der von der EU geforderten rechtsstaatlichen Bedingungen, um die eingefrorenen Euro-Milliarden ins Land zu holen.
Und Orbán? Der kommentiert die steigenden Popularitätswerte des Polit-Neulings nicht, Fidesz-nahe Medien berichten hingegen über Gewaltvorwürfe in der Ehe mit Varga, die Magyar als Verleumdungskampagne sieht. Die parlamentarischen Oppositionsparteien halten sich mit Kritik ihm gegenüber Magyar eher zurück. Der aufsteigende Politiker verliert selbst kein gutes Wort über sie, sieht sie als Mittäter im System Orbán.
Kandidatur für EU-Wahl
Magyars Plan: Orbáns Fidesz-Partei bei der EU-Wahl am 9. Juni Stimmen wegnehmen. Seine Klein-Partei TISZA, zu deren Vize-Vorsitzender er gewählt worden ist und die er als "ideologiefrei, weder rechts noch links" beschreibt, hatte als erste aller Parteien die 20.000 notwenigen Unterschriften für eine Kandidatur zusammen. Zuletzt hat er angekündet, auch bei den Lokalwahlen, die zeitgleich in Ungarn stattfinden, antreten zu wollen.
Böcskei zufolge sei Magyar kein Risiko für Orbáns Fidesz, "solange die Regierungspartei bei der EU-Wahl ein Ergebnis von über 40 Prozent erzielen kann. Dann könnte sie ihre Position trotz der durch die Wirtschafts- und Begnadigungsfälle verursachten Krise vorerst stabilisieren."
Im EU-Parlament würde sich seine Partei, das hatte Magyar bereits verkündet, dann der EVP anschließen, der Europäischen Volkspartei. Das hat Orbáns Fidesz einst auch getan – und wurde wenig später wegen des Abbaus der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn aus der Fraktion geworfen.
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