Ein Orbán-Kritiker mischt die EU- und Lokalwahlen in Ungarn auf
Péter Magyar punktet mit Korruptionskritik und einem ähnlich konservativen Kurs wie Ministerpräsident Viktor Orbán. Und schielt bereits auf die Parlamentswahlen 2026.
"Die Wähler können entscheiden, ob Ungarn ein Familienunternehmen bleibt, in dem die Familie des Ministerpräsidenten einen großen Teil des Vermögens besitzt, oder ob wir ein neues Land aufbauen", polterte Péter Magyar in der ersten TV-Debatte im ungarischen Fernsehen seit 18 Jahren. Wobei Debatte eigentlich der falsche Ausdruck ist: Die Themenblöcke (Sicherheit, Migration, Landwirtschaft) waren streng vorgegeben; jeder Kandidat bekam acht Minuten Redezeit. Kritiker sprachen eher von einer Reihe von Monologen als von einer Diskussion, in denen die Opposition die Korruption der Regierung anprangerte; der Fidesz-EU-Spitzenkandidat wiederum unterstellte der Opposition "Kriegstreiberei".
Doch allein die Tatsache, dass das staatliche Fernsehen zum ersten Mal seit 2006 überhaupt eine Debatte abhielt, zeige Kritikern zufolge, wie sehr die Regierung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán unter Druck stehe.
Dafür verantwortlich ist Péter Magyar, der Ex-Mann der wegen einer Pädophilen-Begnadigung zurückgetretenen Fidesz-EU-Spitzenkandidatin und Ex-Justizministerin Judit Varga.
Politanalysten sehen ihn aktuell als gefährlichsten Kontrahenten Orbáns. Der Regierung wirft er Machtmissbrauch und Korruption vor, während er in anderen Fragen – etwa zu Migration oder der EU – einen ähnlich konservativ-nationalistischen Kurs verfolgt. Damit punktet er bei Oppositions- und enttäuschten Nicht-Wählern.
Protest-Kampf
Magyar mobilisiert seit Wochen Zehntausende Ungarn zum Protest gegen die Regierung – sowohl in liberaleren Großstädten wie Budapest als auch im konservativen und Fidesz-treuen Osten des Landes. Orbán antwortete am Wochenende mit einem "Friedensmarsch" in Budapest, an dem Zehntausende Regierungsanhänger teilnahmen. Der Premier hielt dabei seine Wahlkampfrede zur bevorstehenden EU-Wahl. Die drehte sich vorrangig um Russlands Krieg in der Ukraine: Orbán warnte vor einem Krieg in Europa, in den "die Linke" rennen würde. Einzig und allein "die Rechte", also Orbáns Fidesz-Regierung, könne Europa aus dem Krieg heraushalten.
Am Sonntag finden in Ungarn neben der EU-Wahl auch Lokalwahlen statt – es sind die ersten Wahlen seit Orbáns Wiederwahl als Ministerpräsident vor zwei Jahren. Umfragen sehen Magyars Partei TISZA, deren Vizevorsitzender er ist, bei der EU-Wahl mit bis zu 26 Prozent zur stärksten Oppositionspartei aufsteigen; sie könnte bis zu vier Mandate der insgesamt 21, die Ungarn im EU-Parlament zustehen, holen. Orbáns Fidesz liegt je nach Umfrageinstitut zwischen 40 und 48 Prozent – 2019 holte man 52 Prozent der Stimmen und 13 Mandate.
Magyar hat bereits angekündigt, dass die TISZA-Partei der christdemokratischen Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) beitreten wolle – die Orbáns Fidesz 2021 aufgrund eines drohenden Ausschlusses wegen mutmaßlicher Verstöße gegen EU-Grundwerte verlassen hatte. Die Fidesz-Parlamentarier waren zuletzt fraktionslos, dürften sich nach der Wahl aber der rechten Parteienfamilie Europäische Konservative und Reformer (EKR) anschließen. Magyar selbst ist zwar TISZA-EU-Spitzenkandidat, will aber auf sein Mandat verzichten und die Partei in Ungarn bis zur Parlamentswahl 2026 aufbauen.
Auch bei den Lokalwahlen mischt Magyar mit: Seine Partei, die in mehreren Gemeinden und Budapester Wahlkreisen antritt, dürfte in der Hauptstadt das Stadtparlament aufmischen und Umfragen zufolge dort sogar vor der Partei des grün-liberalen Bürgermeisters Gergely Karácsony landen. Karácsony dürfte zwar Bürgermeister bleiben – aufgrund einer Wahlreform wird das Bürgermeisteramt und das Stadtparlament erstmals getrennt gewählt, und für einen Bürgermeisterkandidaten reichte es bei Magyars TISZA nicht –; die Partei dürfte aber künftig im Stadtparlament kräftig vertreten sein.
Dass Magyar den Oppositionsparteien Stimmen wegnimmt, stößt Karácsony und den traditionellen Oppositionspolitiker böse auf – dort wird er als Günstling jenes Systems gesehen, das er heute kritisiert.
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