Drohung aus USA? Warum die Russland-Exporte der Türkei zurückgehen
Goldener Sandstrand, türkisblaues Wasser – auf dem russische Oligarchen mit ihren Hundert Millionen Dollar teuren Yachten schippern, um den westlichen Sanktionen zu entgehen. Antalya im Süden der Türkei, seit jeher Hochburg russischer Touristen, seit Kriegsbeginn umso mehr.
Im Stadtviertel Konyaalti stehen sogar drei bunte Matroschka-Puppen, ein beliebtesten Foto-Motiv. Das Straßenbild prägen Schilder vor Lokalen und Restaurants in kyrillischer Schrift, "wir sprechen Russisch", steht darauf zu lesen.
Doch nicht nur der türkische Tourismus profitiert von der Ausgrenzung russischer Staatsbürger im Westen (2022 kauften dreimal so viele Russen Immobilien im Land wie 2021). Die Türkei hat den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine scharf verurteilt, liefert Kampfdrohnen an Kiew, hat sich aber an den Sanktionen gegen Moskau nie beteiligt – und damit in den vergangenen zwei Jahren als Zwischenhändler für sanktionierte Güter und Waren gute Geschäfte gemacht: 2022 sind die bilateralen Exporte nach Russland um 61 Prozent gestiegen. Dazu gelangen Waren über den türkischen Landweg nach Georgien, Armenien und dann nach Russland.
Doch aktuelle Zahlen zeigen: Der bilaterale Export nach Russland geht zurück. Dahinter steckt aber nicht das 13. Sanktionspaket der EU, sondern die Drohung aus Washington, gegen Finanzunternehmen, die mit Russland Geschäfte machen, künftig Sanktionen zu verhängen.
Drohung aus den USA
"Die türkischen Banken fürchten sich vor diesen sekundären Sanktionen, deswegen waren sie schon in den vergangenen Monaten vorsichtiger, was Überweisungen aus Russland angeht", erklärt die Wirtschaftswissenschafterin Meryem Gökten vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Türkische Banken würden seitdem Überweisungen genauer überprüfen und hätten fast alle Beziehungen zu russischen Kreditinstituten beendet. Dadurch sind etwa Zahlungen aus Russland an die Händler ausgeblieben – die daraufhin die Warenlieferungen aussetzten: Im Vergleich zum Vorjahresmonat sind die bilateralen Exporte im Jänner 2024 um ein Drittel zurückgegangen. Betroffen sind vor allem Güter aus dem Chemiebereich, Maschinen und Elektrik- und Elektrogeräte – deren Halbleiter auch für militärische Hardware genutzt werden können.
Dass US-Präsident Joe Biden also Unternehmen, die Russland bei der Umgehung von Sanktionen unterstützen, drohte, vom US-Finanzsystem auszuschließen, zeigt Wirkung. "Das US-Bankensystem ist nach wie vor wichtiger für die türkische Wirtschaft als das russische, die USA nach Deutschland der wichtigste bilaterale Exportpartner. Den will man nicht verschrecken", so Gökten.
Armenien, Kasachstan, Usbekistan, Kirgisistan und die Türkei sollen 2022 fünfzigmal mehr Güter nach Russland exportiert haben, die kritisch für die russische Wirtschaft oder wichtig für die Militärindustrie sind, als sie 2019 an allgemeinen Gütern in alle Zielländer exportiert haben, sagt eine Studie des Münchner Ifo-Instituts. 51 Prozent der Güter, die wichtig für die russische Wirtschaft oder Militärindustrie seien, sollen aus der Volksrepublik China kommen.
Wahrscheinlich sei, dass der Handel mit Russland in den kommenden Monaten weiter zurückgeht. Die türkische Regierung setzt damit auch ein politisches Zeichen Richtung Westen, war die Beziehung zwischen Präsident Recep Tayyip Erdoğan und Biden doch stets eher unterkühlt.
Schwenk Richtung Westen?
Zuletzt sorgte die Zusage amerikanischer F-16-Kampfjets im Gegenzug für ein Ende der türkischen Blockade von Schwedens NATO-Beitritt für eine Annäherung. Die Türkei ist um ein ausgewogenes Verhältnis zu ihren westlichen Verbündeten bemüht, wird aber die Balance zu Russland halten. Ankara ist etwa extrem von russischer Energie abhängig. Seit Monaten gibt es Gerüchte über einen Besuch Wladimir Putins in Ankara; der russische Außenminister Sergei Lawrow könnte am Wochenende am Diplomatischen Forum in Antalya teilnehmen.
Gebeutelte Wirtschaft
Der Stopp des regen Handels mit Russland bedeutet für die bereits stark angeschlagenen türkischen Wirtschaft – die Lira liegt auf einem Rekordtief, die horrende Inflation bei über 60 Prozent – jedoch einen Dämpfer. Auslandsinvestoren sind abgeschreckt: Die Direktinvestitionen gingen 2023 um fast ein Drittel zurück. Dass sich die Lage bis Ende des Jahres wirklich verbessert, wie Erdoğan bei einer Wahlkampfveranstaltung am Dienstag versprach, ist unwahrscheinlich. Auch weil andere Nationen derzeit kaum die Produktivität der Türkei ankurbeln. "Deutschland zum Beispiel ist der wichtigste bilaterale Handelspartner der Türkei. Stockt dort die Nachfrage, wie es im Moment der Fall ist, steht auch die türkische Wirtschaft still", so Gökten.
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