Thomas Url, Experte bei Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO, relativiert. „Man muss leider sagen, dass es der ganzen umgebenden Region ökonomisch nicht viel besser geht“.
Url bezieht das auf die europäischen Länder wie Griechenland, Bulgarien und Rumänien.
Gegenüber dem KURIER teilt der WIFO-Experte die Ansicht politischer Analysten, wonach die wirtschaftliche Lage des Landes bei der Wahl eine sehr große Rolle gespielt habe.
Preise explodieren
Seit Jahren verteuern die steigenden Preise den täglichen Bedarf. Breite Bevölkerungsschichten haben Schwierigkeiten, das Nötigste einzukaufen.
Der Preis für ein Kilo Zwiebeln in der Hauptstadt Ankara hat sich in den vergangenen 18 Monaten verfünffacht, berichtet aktuell der ZDF.
„Das schafft eine große Unzufriedenheit“, so Url. Zudem würden die Menschen erkennen, dass das große Potenzial, das die Türkei hat, nicht ausgeschöpft werde.
Einst wollte Präsident Recep Tayyip Erdoğan die Türkei unter die „Top Ten" der weltgrößten Wirtschaftsnationen bringen.
Laut dem Internationalen Währungsfonds IWF lag man 2021 aber nur auf Platz 20.
Auch das versprochene Pro-Kopf-Einkommen von 25.000 Dollar jährlich wurde nicht erreicht – es liegt bei 9.300 Dollar (8.500 Euro).
➤ Mehr dazu: "Der Türkei steht eine politische Folter bevor"
43 Prozent Inflation
Die Währung Lira ist auf Talfahrt und hat in den beiden vergangenen Jahren gegenüber dem Euro die Hälfte ihres Wertes verloren.
Die Inflation liegt aktuell bei 43 Prozent. Im Oktober 2022 erreichte sie mit über 80 Prozent ihren Höhepunkt.
Analysten der US-Bank JPMorgan sagen, dass die türkische Währung nach der Wahl noch stärker fallen könnte - auf den Kurs von 30 türkischen Lira für einen Dollar. Im Moment zahlt man 20 Lira für einen Dollar.
„Das fehlende Vertrauen in die türkische Lira haben die Währung und den Wirtschaftsstandort weiter geschwächt. Dazu kommen falsche politische Entscheidungen", sagt Url.
Verschärft wurde die Situation durch das Erdbeben im Süden der Türkei im Februar, bei dem mehr als 50.000 Menschen ums Leben kamen. Einen strukturierten wirtschaftlichen Wiederaufbau in der Region kann Url „zumindest von außen betrachtet“ nicht erkennen.
Falsche Richtung
Erdoğan hat versucht, mit neuen Schulden und Zinssenkungen die Krise zu bekämpfen.
Zinssenkungen gegen die hohe Inflation? Eigentlich wären deutliche Zinserhöhungen erforderlich, um die Wirtschaft abzukühlen und die Inflation einzudämmen.
Die türkische Zentralbank hat auf Befehl von Erdogan seit September 2021 den Leitzins jedoch um zehn Prozentpunkte gesenkt.
In diesem Zusammenhang hat der Autokrat drei Zentralbankchefs in dieser Zeit gefeuert, die seinem skurrilen ökonomischen Treiben offenbar Einhalt gebieten wollten.
Das Problem der Inflation wurde so wie schon gesagt nicht gelöst.
Tatsächlich haben, wie das bei sinkenden Zinsen der Fall ist, die Unternehmen mehr investiert.
Die damit verbundene erhöhte Kreditvergabe, die in steigende Nachfrage und somit steigenden Preise mündet, führte dann eben zu einer anhaltenden Inflationsspirale.
Füllhorn
Die Inflationsspirale wird auch durch eine Politik des Füllhorns befeuert. Die Bevölkerung erhielt zuletzt –aus wahltaktischen Gründen - Energiehilfen in Milliardenhöhe.
Im Jänner wurden die Mindestlöhne um 55 Prozent erhöht und die Gehälter der Beamten um 30 Prozent.
Darüber hinaus hat sich laut IWF die Staatsverschuldung der Türkei in den vergangenen fünf Jahren mehr als vervierfacht - auf zuletzt rund 250 Milliarden Dollar.
In fünf Jahren könnte die Staatsverschuldung laut IWF Schulden bei 1,2 Billionen Dollar liegen, wenn sich nichts ändert.
Was aber dagegen tun? Die größte Herausforderung für die türkische Wirtschaft besteht laut Url darin, das Vertrauen in die Lira wiederherzustellen.Wegen des hohen Leistungsbilanzdefizits und der hohen Auslandsverschuldung sei das freilich nicht so einfach.
"Zinsen anheben"
Letztlich sieht der WIFO-Experte keinen anderen Ausweg als eine starke Anhebung der Leitzinsen bei gleichzeitiger Abwertung der Lira.
Dabei müsse aber die Regierung der Zentralbank wieder Unabhängigkeit gewähren.
Paul McNamara, ein auf Schwellenländer spezialisierter Investmentdirektor beim Londoner Fondshaus GAM hat dazu in der Financial Times auch eine Meinung.
In der Türkei würde es „eine ganze Reihe von Kennwerten geben, die nicht stimmen“. Das wieder gerade zu biegen, werde „grotesk schwierig“ werden.
Sieht also nicht nach rascher Gesundung aus.
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