Putins Rache: Harter Schlag vor hartem Winter
Ein Knall unterbricht die Musik aus dem Autoradio, wenige Meter hinter der nächsten Ampel explodiert eine Rakete, wenig später eine zweite, mitten auf der Straße. Eine Rauchsäule steigt auf, Menschen fliehen. Auch das Fahrzeug, dessen Kamera den russischen Raketenangriff filmt, dreht ab.
Raketeneinschlag in der Großstadt Dnipro
Videoaufnahmen wie diese aus der Stadt Dnipro gab es Montagfrüh in zahlreichen ukrainischen Städten – mit mindestens 86 Raketen übte der Kreml Vergeltung für die Explosion auf der Brücke von Kertsch, die Russland und die Krim verbindet. In zahlreichen Städten fiel der Strom aus, auch die Wasserversorgung brach teilweise zusammen. Vorerst war von elf Toten und 64 Verletzten die Rede – die Opferzahl dürfte noch steigen.
Was sollte der russische Angriff bezwecken?
Es trat das ein, was Militärexperten nach dem Anschlag auf die Brücke von Kertsch vermutet hatten: Großflächig angelegte Angriffe auf die ukrainische Energie-Infrastruktur sowie die Zivilbevölkerung. 14 Städte wurden bombardiert, einige Stromkraft– (allerdings kein AKW) und Umspannwerke getroffen. Außerdem bombardierte Russland die Zentrale des ukrainischen Geheimdienstes (SBU) sowie das Gebäude der EU-Beratermission für die Ukraine.
Der russische Präsident Wladimir Putin drohte Kiew mit noch härterem Vorgehen. „Für den Fall einer Fortsetzung der Versuche, auf unserem Gebiet Terroranschläge auszuführen, werden unsere Antworten hart ausfallen – und in ihrem Ausmaß dem Niveau der Bedrohung für die Russische Föderation entsprechen“, sagte er.
Wie steht es um die ukrainische Energieversorgung?
Bereits vor den Bombardements am Montag waren laut ukrainischer Regierung rund 50.000 Gebäude sowie 350 zentrale Heizungsanlagen seit Kriegsbeginn beschädigt worden.
Für die kommende Heizsaison hat die Kiew einen Vorrat von 19 Milliarden Kubikmeter Gas als Ziel gesetzt, doch Mitte Oktober werden in den Speichern nur etwas mehr als 14 Milliarden Kubikmeter Gas sein. Einen Sicherheitspuffer für einen kalten Winter gibt es nicht. In puncto Kohleversorgung herrschen in der Ukraine seit dem Krieg im Donbass 2014 Engpässe, weswegen man sich auf den Betrieb der verfügbaren Atomkraftwerke konzentrierte. Problem: Russland hält das AKW Saporischschja besetzt. Dieses ist für rund ein Viertel der ukrainischen Stromversorgung verantwortlich. In einem nächsten russischen Vergeltungsschlag könnten weitere Umspannwerke getroffen werden. Ohne diese essenzielle Infrastruktur könnte die Energieversorgung für einige Teile des Landes auch für längere Zeit zusammenbrechen.
Wie reagierten die russischen Hardliner auf das Bombardement?
„So, jetzt bin ich zu 100 Prozent zufrieden mit der Durchführung der militärischen Spezialoperation“, jubelte der tschetschenische Führer, Ramsan Kadyrow, der noch vor wenigen Tagen Putins Günstlinge in der Armee harsch kritisiert hatte. Auch in den einflussreichen, radikalen Militärblogs fanden die Raketenangriffe Anklang: „Nun müssen solche Aktionen wiederholt werden, um eine anhaltende Panik in der Bevölkerung zu erzeugen, die Moral der ukrainischen Streitkräfte zu senken und den Sieg auf dem Schlachtfeld zu erringen“, hieß es dort.
Was hat es mit den gemeinsamen belarussisch-russischen Truppen auf sich?
Russland und Belarus kündigten die Stationierung gemeinsamer Truppenverbände an der ukrainischen Grenze im Norden an, seit Samstag soll die Aufstellung gemeinsamer Truppen begonnen haben. Staatschef Alexander Lukaschenko warf Kiew vor, einen Angriff auf Belarus zu planen.
Die meisten Militärexperten in der Ukraine und in den USA halten es allerdings für unwahrscheinlich, dass Weißrussland in nächster Zeit eine groß angelegte Bodeninvasion starten wird. Das belarussische Militär ist mit einer Stärke von 60.000 Mann relativ klein und auf dem Schlachtfeld unerprobt und kann den Ausgang des Krieges wahrscheinlich nicht wesentlich beeinflussen. Außerdem ist der Krieg innerhalb der militärischen Führung äußerst unpopulär. Lukaschenko könnte eine Revolte im Offizierskorps riskieren, sollte er eine Invasion anordnen.
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