Haben sich die Abrüstungsverträge überlebt?
Das Problem hat damit begonnen, dass Präsident Trump den INF-Vertrag (Verzicht auf atomare Mittelstreckenraketen, Anm.) aufgekündigt hat. Das hat – und das ist fast schon eine Gesetzmäßigkeit – dazu geführt, dass Russland neue Systeme entwickelt hat. Die Frage ist nun, wie wir Verhandlungen wieder in Gang bringen können. Solange der Konflikt in der Ukraine andauert, ist das außerordentlich schwierig. Die Glaubwürdigkeit Russlands als Partner ist nicht gegeben.
Sie haben die Außenpolitik des deutschen Kanzlers Helmut Kohl wesentlich mitgestaltet. Als er 1982 Kanzler wurde, ahnte niemand, dass der Kalte Krieg binnen eines Jahrzehnts enden würde. Was war das Erfolgsrezept?
Das Erfolgsrezept von Bundeskanzler Helmut Kohl war, trotz der Drohungen der Sowjetunion – etwa durch Generalsekretär Andropow, der dem Westen mit einem Dritten Weltkrieg gedroht hat, wenn die USA Mittelstreckenraketen in Europa aufstellen –, das Gespräch zu suchen. Er hat ihm einen Brief geschrieben, in dem er die Absicht geäußert hat, die Beziehungen zur Sowjetunion positiv zu entwickeln. Neun Monate später ist er nach Moskau gereist, um mit Andropow die Gesamtbreite der Beziehungen zu besprechen. Später kam Gorbatschow, der anfangs nicht signalisierte, die Politik zu ändern, so wie er es später gemacht hat und ebenfalls hart in puncto Mittelstreckenraketen war. Was ich damit sagen will: Dialog ist unverzichtbar – wer auch immer im Kreml sitzt. Wir können uns die Partner nicht aussuchen. Das gilt auch für China. Die USA haben noch mit Mao Zedong, der für 40 Millionen Tote verantwortlich war, Gespräche aufgenommen.
Zurück zur Ukraine: Sie sagen, Europa, die USA, die NATO hätten wichtige Chancen verpasst, stärker auf Russland zuzugehen. Wo wären diese Chancen gelegen?
Mir hat Ex-Präsident Bill Clinton vor längerer Zeit in Wien erzählt, dass er (dem damaligen russischen Präsidenten; Anm.) Boris Jelzin vorgeschlagen habe, Mitglied der NATO zu werden, und zwar mündlich wie schriftlich. Die Antwort von Jelzin war, es sei für die Sowjetunion noch zu früh. Doch es gab viele Initiativen: Denken Sie an die Pariser Charta für ein neues Europa, die im November 1990 von 34 Staats- und Regierungschefs unterzeichnet wurde. Alle Staaten, einschließlich der Sowjetunion, haben gesamteuropäische Ziele definiert. Sie haben sich festgelegt, diese Ziele nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch zu verfolgen. Aber wir haben diese Vereinbarungen, wie etwa Überprüfungskonferenzen auf Staats- und Regierungschef-Ebene, nicht weiterverfolgt. Wir haben den NATO-Russland-Rat gegründet. Diesen hat der NATO-Generalsekretär wenn, zumeist nur auf Botschafterebene einberufen. Als Putin auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesprochen hat, hat Angela Merkel in ihrer Rede vor ihm erklärt, man müsse die Beziehungen zwischen NATO und Russland weiterentwickeln. Keiner hat weder sie noch Putin gefragt, was sie darunter versteht und was die nächsten Schritte sein sollen. Wir haben – zusammengefasst – die Vereinbarungen, die wir erreicht haben, nicht ausreichend genutzt.
Legitimiert all das den Angriff auf die Ukraine?
Nichts rechtfertigt diesen Angriffskrieg. Aber es gab ja ein Abkommen auf Initiative von Bundeskanzlerin Merkel, die damals ihren französischen Kollegen, Präsident Hollande, am Händchen genommen und sich mit Putin und dem ukrainischen Präsidenten in Minsk zusammengesetzt hat. So entstand das Minsker Abkommen, das aber nur in einem Punkt realisiert worden ist, nämlich dem eines Gefangenenaustausches. Aber ansonsten, was die zwei Provinzen Donbass betrifft, hat auch die Ukraine ihre Verpflichtungen nicht eingehalten. Da ist auch einiges auf ukrainischer Seite versäumt worden.
Wer könnte heute noch mit Putin reden?
Zuletzt hat Bundeskanzler Scholz mit ihm telefoniert. Ich halte von Telefonaten wenig, meine Erfahrung war, dass in solchen Situationen persönliche Gespräche vorteilhaft sind. Ich könnte mir vorstellen, dass der deutsche Kanzler mit dem französischen Präsidenten ein Gespräch mit Putin führen sollte – und dabei den chinesischen Präsidenten Xi Jinping einbezieht. Man hätte auch Schröder vertraulich ansprechen können. Dasselbe könnte ich mir auch in Bezug auf Angela Merkel vorstellen.
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