Obama ist zurück am Schreibtisch

Der Wahlsieger muss jetzt schnell Kompromisse finden – mit einem neuen Kurs.

Barack Obama ist wieder im Weißen Haus: Dank der hart erarbeiteten Wiederwahl muss der 51-Jährige seinen Job und seine Wohnung nicht wechseln. Doch zum Durchatmen bleibt ihm keine Zeit. Mittwochabend landete der US-Präsident mit seiner Familie in Washington, gestern in der Früh stand gleich das erste Briefing mit seinem Beraterstab auf dem Programm. Später telefonierte Obama mit den wichtigsten Frauen und Männern im Kongress, denn es gilt, ein großes Problem möglichst schnell zu lösen.

Besser gestern als heute sollten Demokraten und Republikaner im Kongress einen Kompromiss im Haushaltsstreit finden. Denn wenn es bis 31. Dezember keine Einigung gibt, wie man die enormen Staatsschulden von 16 Billionen Dollar verringert, droht der „fiscal cliff“ („Fiskalklippe“) – ein Kosewort für automatische drastische Ausgabenkürzungen und das Ende verschiedener Steuererleichterungen. Das könnte schwere Verluste für die Wirtschaft bedeuten.

Kooperation

Das Volk solle an erster Stelle stehen, danach erst die Politik, appellierte Barack Obama in seiner Dankesrede. Und auch die Republikaner, die in den vergangenen beiden Jahren im Parlament diverse Gesetzesvorhaben immer wieder erfolgreich blockiert hatten, deuteten erstmals an, mit dem Präsidenten zusammenarbeiten zu wollen. Sowohl die Konservativen als auch die Liberalen sollten die Wahl jetzt als Aufruf sehen, Kompromisse zu erzielen, appellierten politische Experten in US-Medien. Der Mehrheitsführer der Republikaner im Kongress, John Boehner, sagte dem Präsidenten zwar seine Kooperation für kurzfristige Maßnahmen zu, man dürfe aber nicht nur die Steuern erhöhen.

Doch nicht nur die marode Wirtschaft gilt es jetzt zu reparieren. Ein Karikaturist zeichnete Obama mit einer riesigen Tube Superkleber, mit der er die Freiheitsstatue zusammenpickt – angesichts der vielen offenen Streitfragen: Neben dem Budget gilt es auch die Gesundheitsreform auf den Weg zu bringen, in der Außenpolitik stark aufzutreten und die Einwanderungsgesetze zu reformieren. Zudem muss erst einmal nach dem Hurrikan „Sandy“ an der US-Ostküste aufgeräumt werden. Gestern telefonierte Obama mit der Katastrophenschutzbehörde.

Es gilt außerdem, ein gespaltenes, krisengeschütteltes Land zu einen. Als Vorbild diente mehreren Kommentatoren der demokratische Ex-Präsident Bill Clinton, der sich nach seiner Wiederwahl (1996) in die Mitte bewegt und Abkommen mit der Opposition erzielt hatte.

Freie Stellen im Team

Um diese Abkommen zu erreichen, braucht Obama das richtige Personal. Einige Ministerposten werden demnächst frei. So hat etwa Außenministerin Hillary Clinton betont, bei einer zweiten Amtszeit des Präsidenten nicht mehr als Ministerin zur Verfügung zu stehen. Gerüchte, dass sich die 65-Jährige auf eine Kandidatur als Präsidentin in vier Jahren vorbereite, streitet sie stets ab. Doch ganz vom Tisch ist die Sache – zumindest für US-Medien – damit nicht. Im Außenministerium könnte ihr die US-Botschafterin bei der UNO, Susan Rice (47), nachfolgen. Oder der einstige Präsidentschaftskandidat, Senator John Kerry (68).

Auch Finanzminister Timothy Geithner (51) will nicht länger im Amt bleiben. Als Nachfolger werden Obamas Stabschef Jack Lew (57) und Erskine Bowles (67) gehandelt, der Verhandlungen mit den Republikanern über die Schuldenverringerung geleitet hat. Verteidigungsminister Leon Panetta (74) und Notenbankchef Ben Bernanke (58) könnten auch demnächst abtreten. Bernankes Amtszeit endet aber erst in einem Jahr.

Es ist mehr als die Niederlage Mitt Romneys, die die Republikaner nach dieser Wahl zu verdauen haben. „Der Partei drohen wilde interne Konflikte“, analysiert der US-Politologe Noah Kaplan gegenüber dem KURIER die Situation, „das könnte zur Zerreißprobe werden.“

Egal, ob Afroamerikaner, Latinos oder Asiaten, jugendliche oder weibliche Wähler – bei fast allen Bevölkerungsgruppen hat Romney gegenüber Obama verheerend abgeschnitten. Und das, so meint Kaplan, der sich an der Chicagoer Universität vor allem mit Wahlforschung beschäftigt, liege primär an den Haltungen der Republikaner.

Der rechte Flügel, vor allem die fundamentalistische Tea Party, habe die Partei an den Rand gedrängt. Im politischen Alltag habe man eine Blockadepolitik entwickelt: „Die Frage, wie lange man damit noch weitermachen kann, wird jetzt schon offen gestellt.“ Kaplan setzt darauf, dass die Republikaner in den kommenden Monaten im Kongress diese Haltung abschwächen werden. Doch der lange tonangebende radikale Flügel werde sich dagegen zu Wehr setzen.

Viel Zeit, um eine gemeinsame Linie zu finden, bleibt nicht. Zu Jahresende muss das Budget stehen, dafür ist das von den Republikanern dominierte Repräsentantenhaus zuständig. Ein harter Sparkurs plus eine Fortsetzung der Steuersenkungen, wie ihn die Hardliner fordern, kann bei Obama und den Demokraten nur auf offene Ablehnung stoßen. Eine Fortsetzung des politischen Grabenkrieges der letzten zwei Jahre wäre programmiert.

Tief gespalten

„Vielen Republikanern ist inzwischen aber klar“, so Kaplan, „dass sie sich kompromissbereiter zeigen müssen.“ Schließlich hätte die Wahl gezeigt, dass die Mehrheit der Amerikaner eine moderatere Politik bevorzugt. Doch genau darin sei die Partei gespalten: „Die einen drängen darauf, dass man endlich auch weitere Bevölkerungsschichten ansprechen müsste, weil die, so wie die Latinos, immer maßgeblicher werden. Die Gegenseite in der Partei aber warnt davor, die erzkonservative Parteibasis vor den Kopf zu stoßen.“

Obama, so der Politologe, sei zwar beim Budget ebenfalls unter Zugzwang, „aber er wird keinen Kompromiss eingehen, der von den Republikanern bestimmt wird. Denn jetzt weiß er, dass er die US-Öffentlichkeit gegen die Blockade mobilisieren kann.“

Fiskalklippe: Ohne Sparkompromiss kommen automatische Maßnahmen zum Tragen. Etwa Kürzungen beim Militär (1,2 Bio. Dollar) und ein Ende von Steuererleichterungen.

Budgetstreit: Bis jetzt blockierte die republikanische Mehrheit im Kongress die Steuererhöhungen der Demokraten. Jetzt muss ein Kompromiss her.

Aktuelles in Zahlen: 16 Bio. US-Dollar betragen die Schulden der USA. Die Obergrenze liegt bei 16,4 Billionen.

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