Nach jahrelanger Kritik: Abdullah-Zentrum verlässt Österreich
Es dürfte das Ende eines knappen Jahrzehnts voller Missverständnisse sein: Das König-Abdullah-Zentrum (KAICIID) wird Österreich verlassen und nach Genf umsiedeln, wie der KURIER aus regierungsnahen Kreisen erfuhr. Die Entscheidung dafür ist vergangene Woche bei einem Treffen der Direktoren und Mitgliedsstaaten gefallen. Auch die Grünen ließen zuletzt in einer Aussendung wenig Spielraum für Interpretationen: "Wie es aussieht, wird das KAICIID allerdings von Wien nach Genf verlegt."
Die Grünen positionierten sich seit Jahren öffentlich gegen das Dialogzentrum im Palais Sturany an der Wiener Ringstraße. Sie demonstrieren heute, dem 19. Juni, wieder vor dem Gebäude gegen Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien. Die Verhaftung des Regime-kritischen, saudischen Bloggers Raif Badawi jährt sich zum neunten Mal.
Das "Feigenblatt"
Was hat ein interreligiöses Dialogzentrum damit zu tun? Das Abdullah-Zentrum wurde zwar von den Mitgliedsstaaten Österreich, Spanien und Saudi-Arabien mit Sitz in Wien gegründet – der Vatikan hat Beobachterstatus. Finanziert hat es bisher aber ausschließlich Saudi-Arabien.
Das brachte dem Zentrum den Ruf als saudische Feigenblatt-Organisation ein. Etwas paradox, sitzen im Direktorium doch Vertreter sämtlicher Weltreligionen. Unter anderem David Rosen, ehemals Oberrabbiner von Irland. Auch auf den medial wenig beachteten Veranstaltungen findet man einen Querschnitt der meisten Glaubenskonfessionen. Hochrangige Persönlichkeiten, wie der UN-Sonderbeauftragte Adama Dieng, waren auf Einladung des Dialogzentrums in Wien.
Kritiker werfen dem Zentrum vor, sich nicht klar gegen Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien zu positionieren. Aber selbst, wenn das KAICIID wollte: Aufgrund seines Mandats soll es weder politisch verfahren, noch Position zu Vorkommnissen in Mitgliedsländern äußern. Fest steht: Seit seiner Gründung, 2011, ist das KAICIID in Österreich innenpolitischer Streitfall und Spielball.
Als die freien Kräfte spielten
Im Juni 2019 erreichte die Aufregung ihren Höhepunkt: In Saudi-Arabien sollte ein 18-Jähriger öffentlich enthauptet und gekreuzigt werden – weil er im Alter von 13 Jahren an einer Regime-kritischen Fahrraddemo teilgenommen hatte. Der damalige Abgeordnete Peter Pilz brachte einen Entschließungsantrag ein. Österreich müsse sofort aus dem KAICIID aussteigen, forderte Pilz.
Im freien Spiel der Kräfte stimmte das Parlament überraschend zu – mit Ausnahme der ÖVP. Die brachte einen eigenen Antrag zum Ausstieg ein. Internationale Organisationen – und derer hat die Diplomaten-Stadt Wien genug – zeigten sich schwer irritiert über den unerwarteten Beschluss. Der 18-jährige „Regime-Kritiker“ wurde übrigens doch nicht exekutiert, nachdem es aus allen Ecken der Welt Kritik hagelte.
Übrig blieb: Außenministerium und Bundespräsident hatten plötzlich den diplomatisch kniffligen Auftrag, einseitig aus einem völkerrechtlichen Abkommen auszutreten. Der Ausstiegsprozess war juristisches Neuland, die Neuwahlen kamen dazwischen, der Entschließungsantrag war hinfällig und so stellte sich die Frage: Wie geht es weiter?
Gründung
2011 wird das KAICIID auf Betreiben des damaligen Vizekanzlers Michael Spindelleger mit Sitz in Wien gegründet. Es soll die Beziehungen zwischen Österreich und Saudi-Arabien stärken und für ein besseres Islam-Verständnis sorgen.
Rücktritt
Claudia Bandion-Ortner, Vize-Generalsekretärin des KAICIID, tritt 2015 zurück. Sie hatte zuvor gesagt, dass "nicht jeden Freitag" Enthauptungen in Saudi-Arabien stattfinden.
Umzug
Nachdem Österreich Mitte 2019 das Zentrum verlassen wollte, hat dieses nun in Abstimmung beschlossen, nach Genf umzusiedeln.
Neue Mitglieder ante portas
"Das Zenturm kann so nicht weitergeführt werden", bekräftigt Ewa Ernst-Dziedzic, Menschenrechtssprecherin der Grünen, gegenüber dem KURIER die Position ihrer Partei. Im Regierungsprogramm steht, dass die Anzahl der KAICIID-Mitgliedsstaaten erhöht werden muss. Außerdem soll es stärker an die UNO angebunden werden. Ansonsten steigt Österreich bis Jahresende aus. Zumindest die ersten beiden Punkte stehen vor der Umsetzung, peu à peu.
Das KAICIID möchte nicht länger Zielscheibe öffentlicher Anfeindungen sein. Direktorium und Mitgliedsstaaten haben deshalb dem Vernehmen nach beschlossen, den Amtssitz in Wien aufzugeben und eben auf neutralen Boden, in die Schweiz, zu verlegen. Zudem dürften drei bis vier neue Mitgliedsstaaten beitreten – unter anderem aus Asien, Afrika und eventuell aus Südamerika. Wie der KURIER aus eigenen Quellen weiß, handelt es sich dabei um Nigeria, Marokko, einen unbekannten Vertreter aus Asien und den Wackelkandidaten Argentinien. Zumindest werden konkrete Verhandlungen geführt, die sich "in der finalen Phase" befinden.
KAICIID: "Produktive Gespräche"
Ein Sprecher des Außenministeriums sagte auf KURIER-Anfrage: "Wir sind in intensiven Gesprächen mit den anderen Vertragsparteien und dem Zentrum." Den Inhalt der Gespräche wolle man nicht kommentieren, da Vertraulichkeit vereinbart wurde.
Das KAICIID wollte keine Stellungnahme betreffend eines möglichen Umzugs nach Genf abgeben. Betreffend der Erweiterung der Mitgliederbasis hieß es: "Gespräche dahingehend laufen schon seit geraumer Zeit und sind produktiv, gegenwärtig gibt es aber nichts, das verlautbart werden könnte. In der Zwischenzeit konzentriert sich das Zentrum weiterhin auf seine programmatische Arbeit in aller Welt und auf die Festigung bestehender Kooperationen, unter anderem mit den Vereinten Nationen (UNO)."
Ob Österreich Mitglied des KAICIID bleibt, ist genauso offen, wie die wohl wichtigste Frage: Beteiligen sich in Zukunft weitere Staaten an der Finanzierung? Verboten wäre das natürlich nicht. Bis heute scheint unklar, warum das angebliche Feigenblatt überhaupt nach Wien geholt wurde.
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