Normal ist, dass für Johannes Hahn kein Arbeitstag normal verläuft. Von Krisensitzungen, Budgetstreits, gestrichenen Flügen, Stress und der Gelassenheit des EU-Kommissars an 14-Stunden-Tagen.
Gleich hinter der ersten Sicherheitsschleuse und den unerbittlichen Wachmännern des Berlaymontgebäudes hebt ein vielsprachiges Gemurmel an: Englisch, französisch, italienisch, polnisch, deutsch und alle anderen Sprachen der Tausenden EU-Beamten, die am frühen Vormittag in das Hauptgebäude der EU-Kommission in Brüssel strömen. Johannes Hahn hat da schon längst seine erste Sitzung hinter sich. Im 12. Stock des Berlaymonts steht der EU-Kommissar in seinem Büro und nippt nur kurz an seinem Espresso.
Sein Assistent steht schon im Türrahmen, eine dicke Mappe in der Hand, er drängt: um 9 Uhr beginnt die nächste Sitzung. Die wichtigste heute – jene aller 27 Kommissare in der Europäischen Union, quasi eine Art Regierungssitzung der EU.
Was macht ein EU-Kommissar eigentlich den ganzen Tag lang? Hahn ist kein Minister und hat doch ungleich mehr Einfluss auf die Ereignisse in Europa. Wie legt das der gebürtige Wiener an?
Als Antwort lädt der langjährige ÖVP-Funktionär, Ex-Minister und nun in dritter Periode EU-Kommissar den KURIER ein, einen Arbeitstag lang dabei zu sein. Mit im Maschinenraum der Europa-Politik. Und gleich steht fest:
Normal ist nur, dass keiner von Hahns Arbeitstagen normal verläuft. Sitzungen werden spontan verschoben, Flüge fallen aus, und das bei mindestens zwei Dienstreisen pro Woche, akute Krisen treten ein. „Jeden Tag ein Organisationskunstwerk“, sagt seine engste Mitarbeiterin.
Hahn, berühmt für seine Gelassenheit, regt so schnell nichts auf. „Nur einmal, 2018 in meiner Zeit als Erweiterungskommissar, da war ich an der Kippe“, erzählt er. „Da war der Stress so groß, so viele gestrichene Flüge, Verspätungen, und das Gefühl, keinen Einfluss auf die Entwicklungen zu haben.“
Jetzt aber erst einmal: Auf in den 13. Stock des Gebäudes, in den „Heiligen Gral“ der Kommission, wo nur Kommissare und Übersetzer Zutritt haben. Hier wird abgesegnet, was Monate oder Jahre später als konkretes Gesetz in Österreich aufschlägt: Klimagesetze, Wirtschaftsregulierungen, Handelsvorgaben, europäischer Mindestlohn und – das ist Hahns Aufgabenbereich – der ewige Streit ums Geld.
Als aktueller Budgetkommissar weiß Johannes Hahn, dass der Geldtopf der EU nach Pandemie und Ukraine-Krieg nicht ausreicht, um alle Aufgaben der Union zu erfüllen. An die 66 Milliarden Euro braucht die EU zusätzlich bis 2027. „Wir zahlen keinen Cent mehr“, bekommt Hahn dabei nicht nur vom Nettozahler Österreich zu hören. „Besser die nicht genutzten Gelder umverteilen“, empfiehlt Kanzler Nehammer.
„Viel Glück damit“, richtet Hahn wiederum nicht ohne eine Spur Sarkasmus in Richtung Wien aus. Alle Gelder seien schon fix verplant. Umschichten bedeute so viel wie anderen Bereichen Geld wegzunehmen.
„Hände weg!“
Was das konkret heißt, bekommt Hahn am Nachmittag bei einer Tagung Hunderter Europäischen Regionalvertreter brühwarm zu hören: „Hände weg von der Regionalförderung“, schreit da ein rechtspopulistischer Politiker aus Italien ins Mikrofon. „Ich habe ja Verständnis dafür, dass die EU jetzt mehr Geld braucht“, sagt eine Spur freundlicher ein deutscher Christdemokrat, „aber bitte nicht unsere Förderungen verwenden!“ Der Kommissar, wird daraufhin geradezu emotional: Nein, verspricht er seinen aufgebrachten Zuhörern, „bei den Kohäsionsgeldern wird nicht gekürzt.“
Wer Herr des EU-Budgets ist, hat Macht – ist aber auch gewaltigem Druck ausgesetzt. Weshalb es kein Zufall gewesen sein dürfte, dass EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ausgerechnet den freundlich-einnehmenden, aber durchaus hartnäckigen Österreicher auf diesen sensiblen Posten setzte. Seit nunmehr 13 Jahren ist Johannes Hahn Österreichs Kommissar in Brüssel; nur der Slowake Maros Sefcovic agiert hier ähnlich lange.
Den Rekord brechen und ein viertes Mal Kommissar werden? „Auf keinen Fall“, wehrt Hahn lachend ab. „Ich will hier nicht als zynischer alter Mann abtreten“, sagt der 65-Jährige, seit dem Vorjahr mit Susanne Riess frisch Verheiratete. „Und diese Gefahr droht, wenn man allzu lange in der Politik ist.“
Aber Zeit zum Philosophieren gibt es sowieso keine. Eben waren zwei Politiker aus der autonomen georgischen Republik Adschara in Hahns Büro und erklärten wortreich, warum die Region Sonderrechte braucht. Dann geht es eiligen Schrittes zum Lift, in die Garage, ins E-Auto. Obwohl das EU-Parlament keine 10 Minuten zu Fuß entfernt ist, muss gefahren werden. Die Zeit fürs Gehen reicht nicht bis zum nächsten Treffen. Eine Ausstellung der Freiwilligen Feuerwehr im EU-Abgeordnetenhaus gilt es rasch zu besichtigen. Dann muss die nächste Rede besprochen werden.
Durchschnaufen? Nicht vorgesehen, eine interne Sitzung jagt die nächste, zum Thema Cybersicherheit, Personalfragen, Rechtssicherheit, Ukraine und immer wieder das Budget. Der ewige Streit zwischen den Nettozahlern und den Nettoempfängern. Hahn winkt ab: „Es geht immer um gesichtswahrende Lösungen. Nach all den Jahren kenne ich ungefähr die Landezone, wo man hinwill, aber es braucht eben seine Zeit.“
Nicht immer vertreten der Kommissar aus Österreich und die Regierung in Wien dieselbe – von Budgetfragen bis zum Mercosur-Handelsdeal. Einmischung aus Wien in seine Agenden gebe es dennoch keine, versichert Hahn. Und auch umgekehrt hält er sich mit Zurufen zurück. „Nur einmal“, erinnert sich Hahn, „als der frühere Kanzler Kurz sich über den „Impfstoffbasar in Brüssel aufgeregt hat, da habe ich protestiert.“
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