Wahr ist aber auch, dass Ungarn erstmals schmerzhaft die Konsequenzen europäischer Strafen spürt. Dafür, dass es den Rechtsstaat im Sinne von Orbáns FIDESZ-Partei umgemodelt und die Medienfreiheit nahezu erstickt hat. Fast 30 Milliarden Euro werden Ungarn deshalb von der EU vorenthalten, Summen, die das Land dringend benötigt.
Dem EU-Parlament ist zu Gute zu halten, dass es von Anfang an und vehement gefordert hat: Orbáns Kurs, immer dreister auf die europäischen Werte zu pfeifen, dabei aber gerne die Milliarden aus Brüssel einzukassieren – dieser Kurs müsse gestoppt werden. Damit hat sich das Parlament auch bei den zögerlichen EU-Regierungen durchgesetzt.
Jetzt aber geht den EU-Parlamentariern das Augenmaß verloren: Ungarn die Ratspräsidentschaft zu entziehen, wird schlicht nicht möglich sein. Jeder EU-Staat übernimmt für ein halbes Jahr diese Pflicht.Für Ungarn gilt das genauso, es ist in der zweiten Jahreshälfte 2024 dran, mit den ersten Verwaltungsarbeiten wurde in Budapest schon begonnen. Das Parlament hat in dieser Frage weder zu entscheiden, noch gibt es eine Rechtsgrundlage für derartige Forderungen.
Das wissen auch die Abgeordneten, und so stellt sich die Frage: Selbstüberschätzung? Sieht man sich als alleinigen und wahren Retter der Rechtsstaatlichkeit in der EU?
Die Antwort: Das EU-Parlament sei stolz, eine „dringend notwendige Diskussion angestoßen zu haben“. Man kann es auch anders sehen: eine Hau-Ruck-Aktion, mit der sich die EU-Abgeordneten, die im Machtkampf mit den EU-Regierungen ohnehin oft den Kürzeren ziehen, keinen Gefallen tun.
"Böses Brüssel"
Eine kurzsichtige Diskussion noch dazu, zumal sich herausgestellt hat: In jedem osteuropäischen Land, das seine Ratspräsidentschaft absolviert hat, war die Europa-Skepsis danach geringer als davor. Denn das Spiel „böses Brüssel“ kann selbst Ungarn während dieser sechs Monate nicht spielen.
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