Justizministerin: "Ungarns Position wird oft falsch verstanden"
Die ungarische Justizministerin Judit Varga verteidigt im KURIER-Interview die "starke konservative Meinung Ungarns" und wundert sich über die "unverhältnismäßige" Aufmerksamkeit der EU.
In den Prunkräumen der ungarischen Botschaft fühlt man sich schnell in ein anderes Jahrhundert versetzt. Im KURIER-Gespräch mit Ungarns Justizministerin Judit Varga blieb jedoch wenig Zeit für k. u. k.-Nostalgie. Stattdessen ging es um eingefrorene EU-Gelder, Ungarns Position zum Krieg in der Ukraine, Europas Migrationspolitik und Orbáns Frauenpolitik.
KURIER: Frau Ministerin, danke für diesen Interview-Termin. Mit den eigenen nationalen Medien, vor allem den regierungskritischen, reden Sie ja nicht so gerne, oder?
Judit Varga: Das stimmt nicht. Jede Woche nach den Regierungssitzungen gibt es eine Regierungsinfo, wo Medien Fragen stellen können. Mein Problem mit Interviews ist nur, dass ich vor allem von regierungskritischen Medien oft enttäuscht wurde, die zwar mein Gesicht und meine Aussagen genutzt haben, um ihre Narrative zu unterstützen, aber nicht offen waren für meine Positionen. Auch in den meisten ausländischen Medien wird die ungarische Position oft falsch verstanden.
Sie haben in Wien mit Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) über die Maßnahmen zur Rechtsstaatlichkeit gesprochen, die Ungarn umzusetzen hat. Wie kommt Ungarn dabei voran?
Ich bin zufrieden, dass wir unsere Differenzen mit Brüssel von einer politischen, theoretischen Ebene auf konkrete Punkte herunterbrechen konnten, die unsere Agenda wie Familien- und Migrationspolitik nicht beeinflussen. Maßnahmen für mehr Transparenz und Korruptionsbekämpfung sind auch in unserem Interesse.
Ich bin nur immer wieder erstaunt, wie unverhältnismäßig viel Aufmerksamkeit Ungarn in dieser Debatte bekommt – bedenkt man unsere politische, wirtschaftliche und geografische Größe in Europa. Ich denke, das ist, weil wir eine starke konservative Meinung haben und kritisch gegenüber bestimmten Mainstream-Positionen sind.
Wann wird Ungarn das zurückgehaltene Geld bekommen?
Viele Gesetze, vor allem zur Korruptionsbekämpfung, wurden bereits Ende 2022 verabschiedet. Die letzten Maßnahmen werden gerade geprüft, Anfang März werden wir sie der Kommission vorlegen. Und dann hoffe ich, dass sich auch die EU an die Abmachung hält.
Was sagen Sie zur Lieferung von Leopard-Kampfpanzern von Deutschland, Polen und anderen in die Ukraine?
Ministerpräsident Orbán hat seine Meinung dazu mehrmals klar gemacht: Zuerst schickte man Helme, dann leichte Waffen, dann schwere – was kommt als Nächstes, wo hört man auf? Wir sind gegen Waffenlieferungen und denken, dass nur Frieden und Deeskalation den Krieg beenden können. Für uns als direktes Nachbarland ist das nochmal wichtiger als für andere Länder Europas.
Ungarn besitzt auch Leopard-Kampfpanzer, diese wird man also nicht liefern?
Ungarn ist gegen Waffenlieferungen. Dazu kommt, dass wir selbst unser Militär modernisieren müssen. 2023 werden wir zwei Prozent des BIP investieren, wie es die NATO vorsieht.
Orbán nannte die Ukraine unlängst eine Art "Niemandsland", verglich sie mit Afghanistan. Ist das die Deeskalation, von der Sie sprechen?
Die Aussage ist im Rahmen eines Hintergrundgesprächs gefallen. Solche Zitate darf man nicht aus dem Zusammenhang reißen. Ungarn will Frieden, und wir eskalieren weder militärisch noch rhetorisch.
Judit Varga (42) war bis 2018 politische Beraterin im Europäischen Parlament. 2018 wurde sie Staatssekretärin für europäische Beziehungen. 2019 übernahm sie das Justizministerium, wo seitdem auch die EU-Agenden Ungarns angesiedelt sind.
22 Milliarden Euro hält die EU-Kommission im Streit um Ungarns Rechtsstaatlichkeit zurück. Bis Ende März muss Ungarn konkrete Reformen umsetzen, die Unabhängigkeit der Gerichte und Korruptionsbekämpfung sicherstellen, um das Geld zu erhalten.
Ungarns Veto bei EU-Sanktionen gegen Russland ist also keine Provokation?
Veto ist das falsche Wort, weil das kein Veto war. Bei diesen Entscheidungen geht es um einen Konsens, der gefunden werden und für jedes Land funktionieren muss. Wir sind jedoch nicht auf einem gemeinsamen Nenner. Derzeit werden in Brüssel gerne Gesetze von oben herab gemacht.
Thema Migration: Wie kommt es, dass im Vorjahr nur 46 Asylanträge in Ungarn gestellt wurden? Allein in Österreich waren es über 100.000.
Das ist kein Problem zwischen Österreich und Ungarn, das ist ein europäisches Problem. Die EU muss sich dafür einsetzen, das zu lösen, etwa mit Drittstaaten bezüglich Rückführungen reden. Nach geltendem ungarischem Recht bearbeitet Ungarn Asylanträge bereits in den Konsulaten in Belgrad. Dort wird schon eine Entscheidung getroffen, bevor die Menschen überhaupt in den Schengenraum eintreten. Das Asylgesetz der EU ist veraltet. Jeder weiß das, aber nur Ungarn traut sich, das anzusprechen. Ungarn gibt sein Bestes, wir haben 1,7 Milliarden Euro ausgegeben für einen Grenzzaun.
Sie sind die einzige Frau in der Regierung – tut Orbán genug für Gleichberechtigung?
In Ungarn herrscht Geschlechtergleichheit. Du kannst werden, was du willst – egal welches Geschlecht du hast. Ich wollte meinem Land und dieser Regierung dienen. Quoten halte ich für erniedrigend. Man würde nie wissen, ob man wegen seiner Leistung oder seines Geschlechts einen Job hat.
(kurier.at, cfer)
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Aktualisiert am 31.01.2023, 12:54
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