Aus der Traum vom Ausland: EU streicht Ungarns Unis Erasmus-Mittel
Vor der bekannten Corvinus-Universität Budapest ist der Tenor ziemlich einheitlich: "Ich fände es sehr schade, wenn künftige Studenten nicht mehr die Möglichkeit hätten, Erasmus zu machen", so ein Student. "Ich war gerade erst im vergangenen Semester auf Erasmus, und habe das sehr genossen."
Die Europäische Union hat die Fördermittel für das Studenten-Austauschprogramm Erasmus+ sowie für das Forschungs- und Innovationsrahmenprogramm Horizon Europe für 21 ungarische Universitäten eingefroren. Der Grund, so Brüssel: Korruptionsgefahr. Denn all diese Unis werden von Treuhandstiftungen verwaltet, in denen nicht nur Akademiker, sondern auch Fidesz-nahe Politiker und Mitglieder der aktuellen Regierung Viktor Orbáns sitzen.
So ist der ungarische Außenminister Péter Szijjártó Mitglied im Kuratorium der Széchenyi István University Foundation tätig. Vorsitzende der Stiftung Universitas Miskolcinensis von der Universität Miskolc ist Justizministerin Judit Varga. In der Szeged University Foundation sitzt Ex-Justizminister und Parlamentarier László Trócsányi, und im Kuratorium der Universitätsstiftung Dunaújváros sitzt János Süli, der als Ex-Minister verantwortlich für den Ausbau des Kernkraftwerks Paks war.
Kritiker: "Ideologische Kontrolle"
Bereits 2019, als die ungarischen Unis im Rahmen einer Hochschulreform aus dem Staatsbesitz in die Stiftungen überführt wurden, war der Widerstand groß; auf den Straßen wurde wochenlang demonstriert. Kritiker warnten, dass durch das neue Modell eine Kontrolle über die Ausgaben der Unis unmöglich gemacht werde, und sprachen vor einer "ideologischen Überwachung" der Universitäten. Die meisten Unis fügten sich jedoch der Reform – zugunsten der in Aussicht gestellten finanziellen Mittel.
Ein Jahr zuvor hatte Ministerpräsident Orbán eine Gesetzesreform zur Kontrolle ausländischer Unis erlassen. Damals musste die vom aus Ungarn stammenden US-Milliardär George Soros gegründete Eliteuni Central European University (CEU) das Land verlassen; heute ist sie in Wien ansässig.
Lehrende befürchten, dass jetzt noch mehr Junge fürs gesamte Studium ins Ausland abwandern könnten. 2020 nahmen der EU zufolge mehr als 20.000 Ungarn Erasmus in Anspruch; die EU unterstützte mit 40 Millionen Euro.
Die EU-Kommission zeigte sich zuletzt "optimistisch", dass "Ungarn so bald wie möglich angemessene und wirksame Maßnahmen ergreift, um die Situation zu bereinigen". Kanzleiminister Gergely Gulyás kündigte jedoch an, dass man, sollten sich Ungarn und die EU nicht einigen, Klage beim Gerichtshof der Europäischen Union einreichen wolle, und versprach, dass im schlimmsten Fall die Regierung die Kosten übernehmen werde.
Lehrer auf der Straße
Ob sich Ungarn das leisten kann, ist angesichts der hohen Inflationsrate (25 Prozent), der Staatsverschuldung und des schwachen Forint fraglich. Zumal die Unis nicht die einzigen Bildungsinstitutionen sind, die Geld brauchen: Seit Monaten wird für eine bessere Bezahlung der Lehrkräfte gestreikt, die abhängig von ihrer Berufserfahrung zwischen 365 und 580 Euro im Monat verdienen. Die Regierung reagierte bisher nur mit leeren Versprechen – und der Suspendierung Hunderter Lehrkräfte wegen der Teilnahme an den Streiks.
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