Warum Europa in Lateinamerika im Wettlauf mit China hinterher hinkt
Um sich von China unabhängiger zu machen, geht Europa jetzt auf Partnersuche in Latein- und Südamerika. Doch wo immer die EU-Kommissionschefin diese Woche landete: China war schon längst da
Er ist kein ganz unkomplizierter Gastgeber, Mexikos links-populistischer Präsident Andrés Manuel López Obrador. Der 69-jährige Staatschef giftet schon mal in Richtung Spanien, der ehemaligen Kolonialmacht, oder gegen ausländische Unternehmen, „die hierherkommen, um uns auszuplündern“.
Unter diesen Vorzeichen fiel das Treffen Obradors mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Donnerstag in Mexiko City geradezu harmonisch aus:
Beide einigten sich, das in die Jahre gekommene Handelsabkommen zwischen EU und Mexiko zu modernisieren. Vor allem aber will sich die EU in Mexiko breiter aufstellen – mit Investitionen und großem Hunger nach grünem Wasserstoff, den Mexiko in Zukunft liefern könnte.
Von der Leyen hat vier Staaten besucht
Vier große Staaten Latein- und Südamerikas hat die mächtigste Frau Europas innerhalb von vier Tagen in dieser Woche blitzbesucht. Von Mexiko bis Chile, von Argentinien bis Brasilien kam sie mit demselben Anliegen:
Europa sucht händeringend Kooperationen mit Ländern, die bieten können, was man selbst nicht oder in zu geringem Ausmaß hat: Rohstoffe wie Lithium, ohne das kein E-Auto je einem Meter fahren, kein Handyakku funktionieren würde.
Ebenso gesucht: Grüner Wasserstoff, ohne den die Energiewende in Europa nicht gelingen wird. „10 Millionen Tonnen grünen Wasserstoff wird die EU künftig jährlich importieren, und dafür suchen wir nach verlässlichen Partnern“, sagte von der Leyen zu Chiles Präsidenten Gabriel Boric. Und der willigte ein: Im Süden Chiles bläst ständig der Wind – ideale Bedingungen für Windkraftanlagen für den Wachstumssektor, den die EU nun mitfinanzieren und technisch unterstützen wird.
Präsentes China
Nach den USA ist China für die lateinamerikanischen und karibischen Staaten heute der zweitwichtigste Handelspartner. Das Handelsvolumen ist 26 Mal größer als vor 20 Jahren.
Verdrängte EU
Europa ist nur noch drittwichtigster Handelspartner. Wichtigstes Einzelland für die EU ist Brasilien, gefolgt von Mexiko.
11 Prozent
der Exporte Latein- und Südamerikas gehen in die EU, 18 Prozent nach China und 38 in die USA.
Auch bei mehreren Lithium-Projekten in Chile wird sich die EU demnächst einklinken – und macht dabei ein besonderes Angebot: Der wertvolle Rohstoff soll künftig mehr in Chile selbst weiter verarbeitet werden.
Dadurch erhöht sich die Wertschöpfung für das Land. Und der allergrößte Vorteil: Es gehen nicht mehr bis zu 90 Prozent des chilenischen Lithiums zur Verarbeitung nach China.
Wo auch immer die EU-Kommissionschefin in den vergangenen Tagen hinreiste – Chinas Wirtschaftsmacht ist dort längst spürbar. Zwanzig Jahre lang hat die EU Latein- und Südamerika vernachlässigt, während sich das Reich der Mitte – nach den USA – zum zweiten Platzhirschen auswuchs.
Koloniale Vergangenheit führt zu Spannungen
Für Brasilien ist China heute der wichtigste Handelspartner. Anders als mit Europa haben die lateinamerikanischen Staaten mit dem Reich der Mitte keine Spannungen wegen kolonialer Vergangenheiten auszufechten. Zudem bot Peking stets großzügige Kredite, stieg als gewichtiger Investor in strategischen Sektoren ein und half dem Kontinent nicht zuletzt schnell mit Millionen Covid-Impfstoffen.
Den gewaltigen Rückstand gegenüber China hofft die EU nun mit einer Reihe von Wirtschaftskooperationen wettzumachen. Bei einem speziellen EU-Lateinamerika-Gipfel Mitte Juli in Brüssel, bei dem mehr als 30 lateinamerikanische und karibische Staatschefs erwartet werden, sollen Nägel mit Köpfe gemacht werden.
Nur ein Ziel Europas wird sich bis dahin nicht erreichen lassen: Das Freihandelsabkommen zwischen EU und dem südamerikanischen Wirtschaftsbündnis Mercosur abzuschließen. Seit Abschluss der Verhandlungen 2019 liegt der Vertrag mit Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay auf Eis. Der Vertrag würde die größte Freihandelszone der Welt mit 780 Millionen Menschen schaffen. Doch hier blockieren nicht nur Österreichs und Frankreichs Landwirtschaftsministerien, sondern auch Argentinien und Brasilien.
Und so bekam Ursula von der Leyen bei ihrem Besuch in Brasilia und Buenos Aires nicht nur warme Worte der Zustimmung zu hören: Brasiliens Präsident Lula will von möglichen Strafsanktionen im Vertrag nichts wissen. Und Argentiniens Staatschef Alberto Fernández fürchtet gar: „Das Abkommen könnte uns schaden.“
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