Chef der mächtigen Behörde in Brüssel kann demnach nur werden, wer als europaweiter Spitzenkandidat einer Parteienfamilie gesiegt hat. Und das werde er auch weiter fordern, sagt Karas, „auch wenn es machtpolitisch motivierte Widerstände bei Staats-, Regierungs- und Parteichefs gibt“.
Dabei kam die Überraschung diese Woche ausgerechnet von einem deutschen Parteifreund der ÖVP: Der Chef der bayerischen CSU-Landesgruppe in Berlin, Alexander Dobrindt, ätzte: Das Spitzenkandidatensystem führe nicht zu Ergebnissen, sondern nur zu Irritationen.
Und: „Die Europawahl ist eine Entscheidung über die Zusammensetzung des EU-Parlaments, aber keine Entscheidung über die Führung der EU-Kommission.“
Tatsächlich liegt laut EU-Verträgen das Recht, einen Kandidaten für das höchste Amt in der EU-Kommission vorzuschlagen, bei den Staats- und Regierungschefs. Doch im EU-Parlament beharrt man: Eine Person, die so viel Macht in sich vereine, müsse stärker demokratisch legitimiert werden – eben durch die Europa-Wahlen.
In der EVP herrscht seit Dobrindts Unkenruf helle Aufregung. Aber sie steht zu Ursula von der Leyen. „Sie weiß, dass die EVP sie zur Spitzenkandidatin und damit als Kandidatin für die Kommissionspräsidentin nominieren wird, wenn sie sich dafür entscheidet“, sagt Karas. Dafür müsste Urusla von der Leyen aber erst noch offiziell zusagen. Bisher hielt sie sich bedeckt. Es sei für eine Entscheidung noch zu früh, meinte sie vor Kurzem.
Für SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder steht indes bereits fest: „Man braucht ein Spitzenkandidatensystem, um klar zu machen, worum es bei der Wahl geht. Das gehört zur Stärkung des EU-Parlamentes und des demokratiepolitischen Projektes Europa dazu.“ Auch die Grünen werden es so halten und im Jänner ihren europaweiten Spitzenkandidaten nominieren.
"Eine Farce"
Kaum überraschend hegen hingegen Europas Liberale und deren Leitfigur im Hintergrund, der französische Präsident Emmanuel Macron, große Skepsis. „In Anbetracht des demokratiepolitischen Debakels rund um die Ernennung von von der Leyen 2019, gehen wir Neos in der Debatte einen Schritt weiter“, sagt EU-Abgeordnete Claudia Gamon: „Das einzig Konsequente wäre es, den oder die Kommissionspräsidentin direkt zu wählen und diese ganze Farce abzuschaffen.“
Und was meint Verfassungsministerin Karoline Edtstadler?
„Die Wählerinnen und Wähler sollen wissen, was sie am Ende bekommen, und es sollte klar sein, wer Kommissionspräsident wird – nämlich der oder die SpitzenkandidatIn der stärksten Partei.“ Klar sei aber auch, sagt Edtstadler, „dass dies derzeit noch nicht in den EU-Verträgen festgehalten ist.“
Kommentare