Kinderarbeit: EU nimmt Konzerne an die kurze Leine
Die Tomaten aus Spanien – woher wissen Sie, dass sie nicht von illegalen Migranten geerntet wurden, die unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten und ausgebeutet werden? Kunden in den Läden wissen es nicht, die Großhändler und der Lebensmittelkonzern ebenso wenig.
Das soll sich grundsätzlich ändern, wenn es nach den Vorgaben des europäischen Lieferkettengesetzes geht. Der Plan:
Vom Rohstoff bis zum Endprodukt, von der Kakaobohne bis zum Schokoriegel im Geschäft soll sicher gestellt sein, das entlang der gesamten Lieferkette alles fair, unter menschenwürdigen Bedingungen und guten Umweltstandards abläuft.Kaufen die Kunden ihr iPhone oder ihre Schuhe, soll sicher gestellt sein:
Sie können reinen Gewissens konsumieren – kein Kind wurde dafür gequält, kein Fluss vergiftet, keine Näherin am anderen Ende der Welt zu einer 14-Stunden-Schicht verdonnert.
Anwendung
Das geplante europäische Lieferkettengesetz würde drei Gruppen von Unternehmen in Europa betreffen. Erstens: Solche mit einem weltweiten Nettoumsatz von mindestens 150 Mio. Euro und mindestens 500 Arbeitnehmern
Risikosektoren
Zweitens: Unternehmen, die mindestens 20 Mio. Euro ihres Umsatzes in einem Risikosektor erzielen – dazu zählen etwa Textil, Chemie etc. und mindestens 250 Arbeitnehmer haben
Drittstaaten
Firmen, die mindestens 150 Mio. Euro Jahresumsatz in der EU erwirtschaften
Was Aktivisten und auch an die hundert Unternehmen seit Jahren einfordern, treibt Wirtschaftskammer und Industrie auf die Barrikaden. Worum geht es genau?
Wozu verpflichtet das Lieferkettengesetz die Unternehmen?
Größere europäische Unternehmen müssen künftig alle ihre Zulieferer darauf kontrollieren, ob sie sich an die Menschenrechtsstandards und den Umweltschutz halten. Nirgendwo darf es Kinderarbeit geben, Arbeiter müssen in menschenwürdigen Umständen arbeiten können, Boden und Umwelt darf nicht unwiederbringlich zerstört werden.
In einem ersten Schritt würde dies nur für Firmen mit mehr als 1.000 Arbeitnehmern und einem weltweiten Jahresumsatz von 300 Mio. Euro gelten. Später würde dies auch für Unternehmen mit 500 Mitarbeitern bzw. 250 Mitarbeitern in Risiko-Branchen wie Kleidung, Schuhe, Lebensmittel, Chemie etc. gelten.
Wie soll diese Kontrolle über teilweise Hunderte Zulieferer funktionieren?
Hier liegt das Problem: Ein Multi-Fruchtsaft etwa besteht aus 24 Zutaten. Diese wiederum kommen saisonal aus mindestens 27 Herkunftsländern. Oder: Ein österreichisches Unternehmen (das hier nicht genannt werden will) stellt 1.500 Produkte her. Dafür braucht es 17.500 Bestandteile, für die insgesamt wiederum 700.000 Einzelteile nötig sind.
Wie soll dieses Unternehmen sicherstellen, fragt auch die Industriellenvereinigung, dass jede einzelne Schraube, die über zig Zulieferer kam, unter guten Bedingungen produziert wurde?
„Wir nehmen unsere Sorgfaltspflichten und Verantwortung entlang der Lieferketten selbstverständlich wahr“, sagt der Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Knill. „Aber Regelungen, die Unternehmen zwingen, Anforderungen zu erfüllen, die sie nicht selbst kontrollieren können, lehnen wird ab.“
Was sagt die Politik zum Lieferkettengesetz?
Das EU-Parlament wird morgen, Donnerstag, darüber abstimmen. Ob es angenommen wird, steht noch nicht endgültig fest, Widerstand gibt es vor allem vonseiten der Europäischen Volkspartei und Teilen der Liberalen.
„Unsere heimischen Unternehmen leisten in diesem Bereich schon viel“, sagt ÖVP-EU-Delegationsleiterin Angelia Winzig. Der derzeit vorliegende Plan aber sei „überschießend, unausgewogen und würde neue, große Belastungen für unsere Betriebe bedeuten“. Sie hat deshalb zahlreiche Abänderungsanträge eingebracht.
Dagegen protestieren wiederum die Aktivisten der Kampagne „Menschenrechte brauchen Gesetze“: „Durch diese Änderungen wird das Lieferkettengesetz verwässert und de facto wirkungslos gemacht.“
Gibt es Lieferketten- gesetze in Europa schon?
In Frankreich, in den Niederlanden und seit Jänner auch in Deutschland gibt es ein nationales Lieferkettengesetz. Das geplante europaweite Gesetz wäre aber wesentlich strenger. Wobei die EU-Wirtschaftsminister bereits klar gemacht haben: Ob auch die Finanzindustrie in das Lieferkettengesetz einbezogen wird, solle künftig jeder EU-Staat selbst entscheiden.
Der kleine Bäcker oder Dirndl-Schneider wäre also nicht betroffen?
Theoretisch nicht. Sobald der Bäcker aber eine Großbäckerei oder der Dirndl-Schneider eine großes Textilunternehmen beliefert, kann oder muss auch das große Unternehmen vom kleinen wissen: Wer hat das Getreide geliefert, wer den Zwirn und wer den Knopf?
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