Noch kein Ende der purpurnen Flüsse

Irgendwer zahlt immer die Zeche. Alte Volksweisheit.
Stimmt beim Drei-Euro-T-Shirt wie beim Tablet zum Diskontpreis.
Unter welchen Bedingungen produziert wurde, will der gemeine Konsument ohnehin nicht so genau wissen. Hauptsache der Preis stimmt. Auf dieser Grundlage floriert in den Industrieländern seit Jahren das Geschäft mit billiger Massenware.
Die Nebenwirkungen kennt man vom Wegschauen. In Niedriglohnländern kann man mitunter vom Flussufer aus erkennen, welche Trendfarben die Modeindustrie kommende Saison in den Markt pressen wird. Weil die Lauge, mit der die Textilien eingefärbt werden, ungefiltert und zum Nulltarif in den Fluss gekippt wurde. Man muss kein Experte sein, um zu erkennen, was das für die Umwelt bedeutet.
Spätestens 2013, als das Rana-Plaza-Gebäude in Bangladesch zusammenkrachte und mehr als 1.000 Textilmitarbeiterinnen unter sich begrub, konnte keiner mehr die Zustände in der globalisierten Textilindustrie leugnen.
Jetzt kommt also die (Er-)Lösung. In Form des Lieferkettengesetzes, das heftig umstritten ist, aber am Donnerstag im EU-Parlament abgesegnet werden soll. Es klingt, als könnte man sich ab sofort mit jedem neu erstandenen Teil auch ein Stück gutes Gewissen kaufen. Schließlich müssen sich Unternehmen (zumindest jene ab einer bestimmten Größenordnung) fortan dazu verpflichten, auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards zu achten. Nicht nur im eigenen Betrieb, sondern entlang des gesamten Produktionsprozesses.
Das könnte auch dem Wirtschaftsstandort Europa helfen, der im internationalen Vergleich hohe Umwelt- und Sozialstandards hat und damit auf vielen Ebenen das Rennen gegen die Billigkonkurrenz aus Übersee verloren hat.
Klingt nach großem Wurf. Ist aber noch weit davon entfernt. Denn in der Praxis könnte der Schuss auch nach hinten los gehen. Dann nämlich, wenn die Bürokratie so überbordend ist, dass Europa erst wieder einen Wettbewerbsnachteil hat.
Skurriles Detail am Rande: Der österreichische Baukonzern Strabag pfeift auf neue Geschäfte in Afrika. Wegen des Lieferkettengesetzes, heißt es. Schließlich brauche die Strabag für jedes neue Projekt zig Bauteile und Zulieferer. Unwirtschaftlich bis unmöglich, sie alle zu kontrollieren, so die Argumentation. Ob man damit den Weg frei macht für die Konkurrenz aus China, sei dahingestellt. Ob die Welt damit besser geworden ist, auch.
Das Thema ist jedenfalls komplex. Und das jetzt am Verhandlungstisch liegende EU-Lieferkettengesetz ist nicht die Lösung aller Probleme. Im Grunde genommen handelt es sich um eine Willensbekundung, die überhaupt erst in nationale Gesetze gegossen werden muss. Noch nicht viel mehr als ein erster Schritt in die richtige Richtung.

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