EU-Vorschrift wird gelockert: Kommt die Gentechnik auf den Teller?

Der Erdäpfelsalat neben dem Schnitzel – er schmeckt nicht seltsam und sieht auch nicht anders aus. Und doch könnte sich die Beilage auf dem Teller grundsätzlich gewandelt haben: Die Erdäpfel könnten gentechnisch modifiziert worden sein – und wer immer sie isst, wird nichts davon wissen.
Möglich wird dies, wenn die EU-Kommission ihre gestern präsentierten Gesetzesvorschläge bis zum Ende durchboxt. Der Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft soll so deutlich erleichtert werden – nichts weniger als ein Tabubruch, mit massivem Widerstand wird gerechnet. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Der Anbau genmanipulierter Nutzpflanzen war in Österreich so wie in den meisten anderen EU-Staaten bisher verboten. Was genau soll nun erlaubt werden?
Konkret geht es nach den Plänen der EU-Kommission darum, die strengen Vorschriften für sogenannte geneditierte Pflanzen zu lockern. Diese Regeln sind mehr als 20 Jahre alt, seither hat die Forschung riesige Fortschritte erzielt. Besonders dank der so genannten CRISPR/Cas-Technik – auch als Genschere bekannt – werden ertragreichere und witterungsresistentere Ernten erhofft. Sie soll langfristig zur Ernährungssicherheit in Europa beitragen.
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Was kann diese "Genschere", und warum soll sie weniger risikoreich als andere Gentechniken sein?
Bei der neuartigen CRISPR/Cas-Technik wird keine artfremde DNA ins Erbgut der Pflanzen eingefügt. (Bei der herkömmlichen Gentechnik bleiben alle strengen Regeln aufrecht). Vielmehr wird hier, bei der Genschere, der DNA-Strang einer Pflanzenzelle an einer vorgegebenen Stelle durchgeschnitten. An der Schnittstelle können einzelne DNA-Bausteine der eigenen Pflanze eingefügt, entfernt oder modifiziert werden. Vor zwei Jahren erhielten die beiden Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna dafür den Nobelpreis für Chemie.
Was würde das für die Landwirtschaft bedeuten?
Neue, widerstandsfähigere Pflanzen dürften angebaut werden. Sie könnten Wassermangel, Hitze oder Frost besser ertragen, würden sich gegen Kartoffelkäfer und Reblaus besser wehren können. Kurz gesagt: Diese gentechnisch editierten Pflanzen wären gegen den Klimawandel besser gerüstet. Der Einsatz von Pestiziden könnte massiv verringert werden, sagt die EU-Kommission.
Gleichzeitig wären diese Eingriffe in das Pflanzen-Erbgut so präzise und ungefährlich, dass sie künftig wie herkömmliche Zuchtpflanzen behandelt werden sollen. Fazit Brüssels: Mit CRISPR/Cas behandelte Pflanzen brauchen keine spezielle Zulassung mehr, keine Risikobewertung und keine Kennzeichnung für genveränderte Pflanzen.
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Rapsernte im Sommer 2022: Kommen bald genmanipulierte Lebensmittel auf den Teller?
Heißt das: Ich kann bald nicht mehr wissen, ob ich genmanipulierte Zutaten in meinem Essen haben werde?
Zumindest würde es noch Jahre dauern, bis es so weit sein könnte. Erst müssten sich auch die EU-Regierungen darauf einigen. Auch das EU-Parlament muss zustimmen. Doch massiver Widerstand formiert sich bereits.
Wer ist dagegen?
Ökobauern, Verbraucherschützer, Umweltaktivisten und Grüne legen sich quer. Ihr gewichtigstes Argument: Noch immer gebe es keine Klarheit über die langfristigen Folgen dieser neuen Gentechnik-Methode. Sarah Wiener, Starköchin und EU-Abgeordnete aus Österreich, hält dem "absurden Vorschlag der EU-Kommission" eine in den USA durchgeführte Studie entgegen: Dort werde die neue Gentechnik bereits eingesetzt. "Und dass dort weniger Pestizide verwendet werden, stimmt einfach nicht", sagt Wiener.
Befürchtet wird zudem, dass die Lockerung der Gentechnikregeln zu noch mehr Macht bei den wenigen Saatgutkonzernen, höheren Preisen und geringerer Vielfalt führen wird.
Die meisten Bauern warten auf diese neue Technik. Sie wird ihnen ermöglichen, weniger Pestizide einzusetzen.
EU-Kommissar
Aber Österreichs Forscher treten dafür ein?!
Die Wissenschaft sieht in der sogenannten grünen Gentechnik große Chancen. In einem offenen Brief forderten die wichtigsten Wissenschaftseinrichtungen Österreichs in der Vorwoche eine "vorurteilsfreie" Debatte. Für schädliches Potenzial der neuen Gentechnik gebe es überhaupt keine Belege. Im Gegenteil: Sie könne helfen, nachhaltigere Landwirtschaft mit weniger Bodenverbrauch und Pestiziden zu betreiben.
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