Ein Blick zurück in die rund 40 Jahre alte Geschichte der Pflanzengentechnik: Allererste Versuche zeigten in der Vergangenheit in der Tat die Unberechenbarkeit genetischer Eingriffe. Das gilt nach wie vor für inzwischen etablierte Verfahren, die mittels Chemikalien oder Strahlung zufällige Mutationen im Erbgut auslösen. Diese werden seit Jahren in der Pflanzenzüchtung genutzt. In der EU gelten solche Pflanzen rechtlich als "Gentechnik", sind aber von allen dafür vorgesehenen Bestimmungen ausgenommen.
Anders ist das bei neuen Verfahren, etwa der Gen-Schere: "Obwohl hier viel geplanter und kontrollierter vorgegangen wird", betont Ortrun Mittelsten Scheid, Pflanzengenetikerin am Gregor Mendel Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. "Die Eleganz der Technik liegt darin, dass man nicht mehr darauf warten muss, dass zufällig eine gewünschte Änderung passiert, sondern dass das Wissen über bestimmte Gene gezielt genutzt wird."
Moderne Gentechnik werde oft als etwas Unnatürliches angesehen: "Dabei betreiben wir sie seit Beginn der Pflanzenzüchtung"m sagt die Expertin. Im weitesten Sinn umfasse Gentechnik alle Versuche, "das genetische Material in Pflanzen und Tieren nach unseren Interessen zu verändern".
Nutzen legt Rutsche zum Ausnutzen
Nachhaltig negativ geprägt wurde das Bild der Gentechnik durch Patente des Agrarkonzerns Monsanto auf gentechnisch moduliertes Saatgut. Ackerpflanzen wurden unempfindlich gegenüber einem Unkrautmittel gemacht – ein ertragreiches Geschäftsmodell, das den Einsatz gesundheits- und umweltschädlicher Pestizide förderte und Landwirte in Abhängigkeiten trieb. "Das wirkt bis heute nach", weiß Mittelsten Scheid.
Der darauf aufbauende Protest von NGOs habe über Jahrzehnte Ängste geschürt. Inzwischen werde der Aufdruck "gentechnikfrei" auf Lebensmitteln als Gütekriterium wahrgenommen, "obwohl das jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrt". Auch Gesundheitsrisiken für den Menschen werden diskutiert: etwa das Entstehen neuer Allergien. Tatsächlich gibt es keine Studien, die dieses Gefährdungspotenzial stützen. Es gebe kein einziges Beispiel, "bei dem ein Mensch oder Tier durch den Verzehr von genetisch veränderten Pflanzen zu Schaden gekommen ist", sagt Mittelsten Scheid. In anderen Bereichen, etwa in der Medizin bei der Herstellung von Medikamenten oder in der industriellen Produktion zur Entwicklung schonenderer Herstellungsmethoden, komme moderne Gentechnik zudem längst zum Einsatz. "Ohne dass wir darüber debattieren."
Das sehen nicht alle so: Erst vor wenigen Monaten bekräftigten etwa Global 2000 und Bio Austria ihre Ablehnung gegenüber neuer Gentechnik mit einer Petition. Sie sehen durch die Aufweichung des Gentechnikrechts die vielfältige heimische Landwirtschaft und selbstbestimmte Ernährung bedroht.
Mächtige Methoden brauchen Regeln
Moderne Technologien – hier herrscht tatsächlich Einigkeit – müssen reguliert werden. Dafür sei man schon jetzt bestens gerüstet, sagt Mittelsten Scheid: "Es gibt in der EU gut etablierte Prüfverfahren für neue Züchtungen. Sie reichen völlig aus, um jede neue Sorte, die aus modernen Verfahren hervorgeht, zu testen."
Pflanzen, das betonen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter in ihrem Brief, sollten nach ihren Eigenschaften, nicht nach ihrer Erzeugung geprüft werden. Derzeit fehle es in der Bevölkerung an Wissen über neue Verfahren, das eine rationale Beurteilung der Risiken ermöglicht.
Eine potenziell fatale Wissenslücke, sagt Mittelsten Scheid: "Das größere Risiko besteht in der Nicht-Anwendung dieser Technologien." Weltweit werde intensiv daran gearbeitet, Produkte gentechnisch zu optimieren. Besagte Nahrungsmittel werden in China, den USA, Kanada oder Brasilien in großem Stil seit Jahren angebaut. Verliert Europa den Anschluss, "werden wir bald die Folgen spüren – in Form neuer Abhängigkeiten".
In den Bestrebungen – einem geleakten Entwurf zufolge sollen gentechnisch erzeugte Pflanzen, die auch durch natürliche Mutationen hätten entstehen können von der Gentechnikregulierung ausgenommen werden – der EU sieht Mittelsten Scheid einen "Schritt in die richtige Richtung".
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