Ein Jahr Pussy Riot: Russland im Rückwärtsgang

Ein Jahr Pussy Riot: Russland im Rückwärtsgang
Der Pussy-Riot-Auftritt jährt sich zum ersten Mal – ein Jahr, in dem Russland einige Schritte in die Vergangenheit unternommen hat.

Genau vor einem Jahr schafften es eine Handvoll junger Frauen, mit einem nur wenige Minuten dauernden Auftritt die Grundfeste des russischen Staates ein wenig zu erschüttern: Am 21. Februar 2012 stürmten die Mitglieder der Band Pussy Riot die Moskauer Christ-Erlöser-Kirche – bewaffnet mit Sturmmasken und ihren Protest in die Welt hinausschreiend: „Mutter Gottes, du Jungfrau, vertreibe Putin“, sangen sie vor dem Altar jener geschichtsträchtigen Kathedrale, die am Ende des Roten Platzes thront - direkt neben der Kreml-Mauer.

Die Reaktion des Kreml war keine wohlwollende. Gerade weil der im „Punk-Gebet“ angegriffene Wladimir Putin zu diesem Zeitpunkt noch nicht zum Präsidenten wiedergewählt worden war – er hatte die Wahl im März zu schlagen -, mag die Handlungsweise des russischen Polit-Establishments eine rigorose gewesen sein. Maria Aljochina, Nadeschda Tolokonnikowa und Jekaterina Samuzewitsch, drei der Pussy-Riot-Frauen, wurden festgenommen, in U-Haft gesteckt und in einem Schauprozess der Öffentlichkeit vorgeführt.

Rowdytum

Die Anklage tat sich anfangs schwer, einen sinnvollen Tatbestand zu formulieren. Schlussendlich wurden die drei jungen Frauen wegen "Rowdytums aus religiösem Hass" vor den Richter zitiert – ein Vorwurf, der in seinem Wortlaut an frühere Zeiten erinnerte: Drei Stufen von „Rowdytum“ – also des Ungehorsams gegenüber der Staatsgewalt - hatte es bis zum Zerfall der UdSSR gegeben; alle drei wurden hart bestraft. Auch der Rahmen des Prozesses passte perfekt zu dieser Rückwärtsgewandtheit: In einem Glaskubus mussten die Musikerinnen des Urteils harren – die Verhandlung hatte nicht zuletzt deshalb den Charakter öffentlichen Zur-Schau-Stellens; schließlich hat der Begriff des Schauprozesses in der Sowjetunion ja eine lange Tradition.

Der Prozess erschien von Anfang an einseitig. So auch das Urteil: Richterin Marina Syrova verlas es in einem langen Monolog, in dem sie ihre Intention bereits zu Anfang durchscheinen ließ – Gnade hatte keinen Platz in ihrem Gerichtssaal. Für die Angeklagten setzte es zwei Jahre Lagerhaft. Zwei der Pussy-Riot-Musikerinnen – beide Mütter kleiner Kinder - sitzen ihre Strafe bis jetzt ab; Jekaterina Samuzewitschs Strafe wurde in zweiter Instanz zur Bewährung ausgesetzt.

Aufschrei

Die Inszenierung war perfekt – und der Prozess von Anfang an von internationaler Kritik begleitet. Der Aufschrei nach Urteilsverkündung war dementsprechend laut. In Europa und den USA wurden kurzfristig Protestkundgebungen auf die Beine gestellt, allerorts versammelten sich Menschen mit den mittlerweile sattsam bekannten Pussy-Riot-Masken auf dem Kopf. Der Tenor war klar: Russland katapultiere sich mit einer derartigen Gangart ins internationale Aus – und zurück in die von außen geächtete Sowjet-Ära.

Ein Jahr Pussy Riot: Russland im Rückwärtsgang

Keine Gnade für Putin-Gegner: Nach dem Urteil gegen die Pussy Riot ging weltweit eine Welle der Empörung hoch.
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Bei Protesten vor dem weiträumig abgesperrten Gerichtsgebäude wurden mindestens 60 Anhänger der Künstlerinnen festgenommen, darunter Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow und Oppositionsführer Sergej Udalzow.
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Sechs Sympathisanten haben sich aus Protest gegen den Schuldspruch an den Zaun der russischen Botschaft in Berlin gekettet. Die Polizei schnitt die Demonstranten los und nahm ihre Personalien auf.
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Auch im Internet haben Sympathisanten der Punkband ihrer Wut über das Urteil Ausdruck verliehen. Von Russland über Europa bis in die USA und Australien machten Nutzer von Sozialen Netzwerken ihrem Unverständnis Luft.
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Vor dem Moskauer Gericht  – eben jenem, in dem auch schon der Yukos-Prozess gegen Michail Chodorkowskij stattgefunden hat – hatten sich bereits zum Auftakt der Verhandlung dutzende protestierende Menschen versammelt.
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"Swobodu Pussy Riot" , protestierten die russischen Aktivisten – und ihr Ruf nach Freiheit findet weltweit Echo: Von Moskau über Wien bis Washington reicht die Solidaritätswelle.
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Auch abseits von Moskau regte sich Protest – auch sehr plakativer: In der Newa-Metropole St. Petersburg protestierte der Aktionskünstler Pjotr Pawlenskij mit zugenähtem Mund und dem Schild "Pussy Riot hat wie Jesus den Tempel gereinigt" vor einer Kathedrale.
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Ihm wurde dasselbe Schicksal wie jenes der Musikerinnen zuteil: Pawlenskij wurde festgenommen.
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Auch Österreich hat sich beteiligt: Die Grünen Politikerinnen Judith Schwentner und Alev Korun forderten die Regierung zu offiziellem Protest auf. Außenminister Michael Spindelegger stimmt ein in den Chor der Kritiker: Mit zwei Jahren Haft auf eine "Protestaktion gegen das Regime zu antworten scheint mir absolut unverhältnismäßig", sagte Spindelegger am Freitagabend in der "ZiB2" des ORF.
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APA/GEORG HOCHMUTHAPA9120062 - 17082012 - WIEN - ÖSTERREICH: Anläs der UsverUsverk;ndung im Prozess gegen "Puss;PuRioy ioy Riot" rdie Bewe &we #3sa Antifa Wien" am Freitag,tag, 17. AuguAugust 2012, zu einer Soritätsk;tskundgebung in Wien auf. Im Bild:
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Gesammelte Protestnoten kamen aus Tschechien: Prager Schriftsteller forderten in einem Brief an Präsident Wladimir Putin die sofortige Freilassung der drei Frauen. "Wir halten es für eine Unverschämtheit, dass Menschen für Regimekritik in Haft landen", heißt es in dem Schreiben.
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Auch über dem großen Teich ging man für Pussy Riot auf die Straße: Vor dem  russischen Konsulat in New York protestierten Demonstranten gegen den Prozess. Sie hängen ein "Free Pussy Riot!"-Spruchband und die für die Band typischen Strumpfmasken (siehe Foto) an den Zaun der Vertretung.
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In Slowenien organisierten Aktivistinnen einen Protest vor der russischen Botschaft in Ljubljana. Auch ein Benefizkonzert unter dem Motto "Free Pussy Riot!" wurde veranstaltet.
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Hannes Swoboda, Präsident der Sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, nannte  das Vorgehen der russischen Behörden im Fall Pussy Riot unterdessen "besonders gravierend und zynisch".
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Auch abseits der politischen Bühne ist die Unterstützung für die inhaftierten Musikerinnen nicht zu überhören: Künstler wie Sting und die Red Hot Chili Peppers forderten etwa bei Auftritten Freiheit für Pussy Riot.

Innerhalb Russlands war die Stimmung allerdings bei weitem nicht so eindeutig. Während sich international bekannte Figuren wie etwa Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek kritisch zu den Vorgängen äußerten – „wenn diese drei Pussy Riot wirklich eingesperrt werden sollten, dann sperrt sich Russland selber ein“, schrieb sie dazu – herrschte im Riesenreich durchaus Verständnis für die Entscheidung des Gerichts.

Und nicht zu knapp: Laut einer Umfrage des Lewada-Zentrums in Moskau befanden 35 Prozent der Befragten das Urteil für adäquat – und 42 Prozenten waren gar der Meinung, es sei zu milde gewesen. Überzeugt zeigte man sich auch darüber, dass das Urteil ohne Einfluss von außen zustande gekommen sei: 49 Prozent attestierten dem Gericht Unabhängigkeit.

Ein deutliches Bild sprechen auch die Antworten auf die Frage, wie die russische Öffentlichkeit die Aktion gesehen hat – 41 Prozent der Befragten sind der Auffassung, es habe sich „einfach nur um Rowdytum“ gehandelt. Ein, wie bereits erwähnt, nicht ganz unbelasteter Begriff.

Rückwärtsgang

Die Einschätzung von außen ist freilich eine andere. Während innerhalb Russlands die harte Hand der Obrigkeit offenbar auf Zustimmung stößt – auch die Proteste gegen die Staatsführung im vergangenen Jahr änderten das Meinungsbild kaum -, ist der Westen ob der Entwicklungen durchaus skeptisch. Schritte wie die Wiedereinführung sowjetischer Emblematik tun da ihr übriges: Die kurzfristige Rückbenennung der Stadt Wolgograd in Stalingrad anlässlich der Feierlichkeiten zum 70-Jahr-Jubiläums der dortigen Schlacht, die Wiederbelebung des Titels „Held der Arbeit“ oder die mit nationalistischen Tendenzen angereicherte Rede zur Lage der Nation Putins sind nur drei Beispiele von vielen.

Auch die Gesetzgebung habe mittlerweile einen etwas rückwärtsgewandten Touch, so Kommentatoren. So wird derzeit eine Verschärfung des Blasphemiegesetzes geprüft, kürzlich hat man die Adoptionsregelungen für Personen aus dem Ausland restriktiv geregelt – und auch finanzielle Zuwendungen aus dem Ausland für nichtstaatliche Organisationen, sogenannte NGOs, wurden jüngst erheblich erschwert. Wenig Wunder, dass der Gang der Pussy-Riot-Frauen zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte da kaum Aufsehen in Russland erregt: Kaum eines der großen Blätter berichtete über ihre Klage, dass gegen ihre Rechte auf persönliche Freiheit, freie Meinungsäußerung, faire Prozessführung und das Folterverbot verstoßen worden sei. Auf dieses Urteil darf man gespannt sein.

"Mutter Gottes, Du Jungfrau, vertreibe Putin! Vertreibe Putin, vertreibe Putin!

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