Beziehungsstatus zwischen China und der EU: Ziemlich kompliziert
Es habe ihn erstaunt, erzählt Michael Clauss, früherer Botschafter Deutschlands in Peking, wie wenig selbst die profundesten chinesischen Experten und Politgrößen die Europäische Union verstanden hätten. Und so kam es für Chinas Führung denn auch als eine "totale Überraschung, als die EU vor drei Jahren China als systemischen Rivalen eingestuft hat."
Der Wind der guten Beziehungen zwischen dem Reich der Mitte und Europa hat schon lange gedreht. Als Clauss, heute deutscher EU-Botschafter in Brüssel, von 2013 an in Peking im Einsatz war, bekam er es schon zu spüren.
Staatschef Xi Jinping war bereits an der Macht, die wirtschaftliche Öffnung Chinas, die so viele europäische Investoren nach China gelockt hatte, wurde wieder zurückgeschraubt.
Der Druck auf die westlichen Konzerne erhöhte sich. Die staatlichen Subventionen für chinesische Konzerne schufen gravierende Wettbewerbsnachteile. Bei öffentlichen Ausschreibungen durften die europäischen Konkurrenten in China nicht mehr mitmachen. Und das zu Zeiten, wo chinesische Firmen europäische Bauprojekte gewannen - wie etwa die Peljesac-Brücke in Kroatien. Oder den strategisch wichtigen Hafen Piräus vom finanziell klammen Griechenland abkauften.
Das politische System wurde repressiver - und die Beschwerden der Wirtschaftspartner aus Europa immer lauter. "Das war für die chinesischen Partner neu, bis dahin hatten sie nur Lob gehört", schilderte Clauss bei einer China-Konferenz im Europäischen Parlament.
Und China schickte immer öfter seine "Wolf-Diplomaten" vor - Diplomaten, die unverhohlen offen und aggressiv sogar gegen Staaten drohen, sollten sich diese zu sehr der aus Sicht Pekings "abtrünnigen Insel" Taiwan annähern.
Die volle diplomatische Härte Pekings bekommt seit dem Vorjahr das kleine Litauen zu spüren: Der baltische Staat hatte es der Regierung von Taiwan erlaubt, in Vilnius eine Repräsentanz unter eigenem Namen zu eröffnen anstatt wie sonst üblich unter dem Namen der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh.
China verhängte sofort Sanktionen: Lettische Produkte dürfen nicht mehr nach China eingeführt werden. Wegen dieser Handelsbeschränkungen leitete die EU ein Verfahren gegen China bei der Welthandelsorganisation ein - doch bis zu einem Urteil wird es dauern.
Kein "Wandel durch Handel"
Die hoffnungsvolle Idee, dass der "Handel den Wandel bringt", hat sich aus europäischer Sicht für China zerschlagen. Zwar hat das Reich der Mitte 2020 die USA überholt - es ist jetzt der größte Handelspartner Europas. Und China werde für Europa auch ein "Schlüsselmarkt" bleiben, "die Produktions-Cluster in China werden schwer zu ersetzen sein", sagt Markus Beyrer. Der Generalsekretär des europäischen Industriedachverbandes BusinessEurope bestätigt: "Es ist sehr viel härter geworden, in China zu investieren."
Und doch warnt er davor, wie es es mehr und mehr europäische Politiker fordern, sich von China zu "entkoppeln". Einen Rückzug aus China könnten viele europäischen Konzerne nicht überleben - Volkswagen etwa macht 37 Prozent seines Umsatzes im Reich der Mitte. Auch Adidas erzielt mehr als ein Fünftel seines weltweiten Umsatzes in China.
Wolfgang Niedermark, einer der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) kennt China bestens. Vier Jahre lang hat er die deutsche Außenhandelsstelle in Hongkong geleitet. Und erlebte mit, wie sich mehr und mehr europäische Firmen wegen des wachsenden chinesischen Drucks beginnen umzuorientieren.
Ihnen sei klar, „dass China seine Hinwendung zum Westen beendet hat und nun nach eigenen Regeln verfährt.“ Nach einer Zeit der Kooperation sei man nun im Wettbewerb, China sei nicht mehr der Partner sondern der Herausforderer.
Offen darüber diskutieren können europäische CEOs und Konzernschefs darüber freilich nicht. In Peking wird aufmerksam registriert, ob Kritik oder Klagen aus den Chefetagen dringen.
Mahnungen aus Europa, die Menschenrechte einzuhalten, verbittet sich Peking noch viel mehr. Dies sei eine Einmischung in innere Angelegenheiten. Einen Menschenrechts-Dialog mit Peking führt Brüssel zwar schon seit 2013. Doch in der EU bezweifelt man sehr, dass dieses Gespräch irgendeinen Effekt gehabt hätte.
"Die Beziehungen zwischen China und Europa sind frostiger geworden", konstatiert auch Botschafter Clauss, und sie könnten auch noch deutlich kälter werden. Viel hänge nun davon ab, wie sich China letztlich gegenüber Russland positioniere.
Andere Seiten
Aber es ist auch die EU selbst, die gegenüber China andere Seiten aufzieht. Dem Appetit chinesischer Konzerne in Europa auf Einkaufstour zu gehen, wurden einige Riegel vorgeschoben. Unternehmen, die zur kritischen Infrastruktur der EU gehören, dürfen nicht mehr ohne Genehmigung und Prüfung europäischer Regierungen an China verkauft werden.
Für Verstimmung in China sorgt auch die Vorgabe Brüssels, dass keine Produkte mehr in die EU importiert werden dürfen, die unter Zwangsarbeit entstanden sind. Aber auch die derzeit in Planung befindliche EU-Verordnung zu Rohstoffen und zur Chip-Produktion stoßen in Peking eher übel auf. Alle diese Maßnahmen zielen im Grunde darauf ab, die Abhängigkeit Europas von China zu reduzieren.
Sanktionen
Im Vorjahr verhängte die EU schließlich wieder erstmals seit den blutigen Protesten am Tienanmen-Platz (1989) Sanktionen gegen China. Sie richten sich gegen vier Personen und Organisationen, denen die Verfolgung der muslimischen Minderheit der Uiguren nachgewiesen werden konnte.
China reagierte empört - und stellte seinerseits EU-Abgeordnete, Wissenschafter und Think-tanks unter Sanktionen. Das EU-Parlament versenkte daraufhin ein - viel kritisiertes - geplantes chinesisch-europäisches Investmentabkommen. Ein neues ist angesichts der unentspannten Beziehungslage zwischen China und der EU vorerst nicht in Sicht.
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