Machtkampf hinter den Kulissen: Xi Jinpings Rivalen wittern ihre Chance
Auch, wenn er schon seit Jahren als mächtigster Mann der Welt gilt, deutete zuletzt alles darauf hin, dass der Höhepunkt von Xi Jinpings Karriere noch bevorsteht. Zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie begab sich Chinas Präsident Mitte September wieder ins Ausland, auf einen Gipfel in Usbekistan.
Ausgerechnet kurz vor dem 20. Parteitag seiner Kommunistischen Partei, an dem auch die Wahl des Vorsitzenden für die nächsten fünf Jahre bevorsteht. Damit signalisierte Xi nach innen wie nach außen: Seine Wiederwahl steht ohnehin bereits fest.
Eine dritte Amtszeit wäre historisch: Seit Staatsgründer Mao Zedong sich einst 27 Jahre an der Macht hielt, hatte kein chinesischer Präsident mehr als zwei Fünf-Jahres-Perioden regieren dürfen.
Keine Spur vom Präsidenten
Doch dann, direkt nach seiner Rückkehr, verschwand Xi plötzlich aus der Öffentlichkeit. Manche meinten, der „Oberste Führer“ sei wohl mit Covid aus Usbekistan zurückgekehrt. Indische Parlamentarier verbreiteten dagegen das Gerücht, Xi sei vom eigenen Militär geputscht und unter Hausarrest gesetzt worden. Wie es dazu kam - und was wohl tatsächlich hinter Xis Verschwinden steckte:
Vor zwei Wochen tauchten im Netz Gerüchte um einen Putsch gegen Xi auf, die auch von indischen Politikern verbreitet wurden. Inzwischen manifestierte sich eine Theorie, warum ausgerechnet dort spekuliert wurde:
Putins "stille Post"
Als Xi Mitte September frühzeitig vom Gipfel der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOC) in Usbekistan abreiste, soll Russlands Präsident Wladimir Putin verwundert gewesen sein. Ein Versuch, den Chinesen auf den üblichen Kommunikationskanälen zu erreichen, schlug fehl. Putin soll deshalb noch vor Ort das Gespräch mit dem indischen Premier Narendra Modi gesucht haben. Der kannte den Grund für Xis Abreise auch nicht, erzählte aber offenbar nach seiner Rückkehr in Indien von Putins Sorgen
Auf geheimer Klausur
Zwei Wochen lang fehlten sowohl von Xi als auch dem Rest der kommunistischen Parteispitze jede Spur, die chinesischen Staatsmedien schwiegen. „Es ist offensichtlich, dass es innerhalb der Führungsspitze im Augenblick Auseinandersetzungen über eine Reihe von politischen Fragen gibt, die so gravierend sind, wie wir das normalerweise vor so einem Parteitag nicht kennen“, sagt die Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik zum KURIER.
Die chinesische Führungsspitze – das ist neben Xi der sogenannte ständige Ausschuss des Politbüros, ein sechsköpfiges Gremium der einflussreichsten Politiker Chinas. Dabei zählen je drei Mitglieder zu dem Parteiflügel, der Xi loyal ergeben ist, sowie drei zu dessen internen Kritikern um Ministerpräsident Li Keqiang.
Ein Überblick über die Mitglieder des ständigen Ausschusses:
Xi-Loyalist
Als Vorsitzender des ständigen Ausschusses ist Li Zhanshu aktuell der dritthöchste Mann im Staat. Er gilt als einer der engsten Vertrauten Xis und als Hauptverantwortlicher für die guten Beziehungen zu Russland.
Xi-Loyalist
Gilt als Chefideologe und "graue Eminenz" des nationalistischen Parteiflügels. Wang hält sich für einen chinesischen Politiker ungewöhnlich lange an der Parteispitze - Xi ist bereits der dritte Präsident, den er berät.
Xi-Loyalist
Leitet Xis Anti-Korruptionsbehörde, die auch gegen etliche politische Widersacher des Präsidenten vorgeht. Gilt als äußerst loyal Xi gegenüber.
Xi-Kritiker
Als Ministerpräsident ist Li der zweitmächtigste Mann in China. Er gilt als einflussreichster Kritiker des Präsidenten, für den Wirtschafts- über Machtpolitik steht.
Xi-Kritiker
Stieg 2003 zum jüngsten Bürgermeister von Shanghai auf. Han gilt als wirtschaftsliberaler Reformer und wird dem Lager Li Keqiangs zugerechnet.
Xi-Kritiker
Der Ökonom tritt offen für marktwirtschaftliche Reformen ein. Wang gilt als charismatisch und ist populär beim Volk, unter ihm erlangte die Region Guangdong großen Wohlstand.
Bei dringenden Anlässen zieht sich der ständige Ausschuss mit dem Präsidenten zu einer Klausur zurück, um Entscheidungen hinter verschlossenen Türen zu fällen. Eine solche Klausur war zuletzt Anfang Februar einberufen worden, kurz nachdem Xi bei den olympischen Winterspielen in Peking feierlich seine „fast grenzenlose Freundschaft“ zu Russlands Präsident Wladimir Putin verkündet hatte.
Anschließend war Xi schon damals sieben Tage lang nicht mehr öffentlich aufgetreten. „Wir gehen davon aus, dass damals eine heftige Auseinandersetzung um Chinas Politik gegenüber der Ukraine geführt wurde“, sagt Weigelin-Schwiedrzik.
Tabubruch in Moskau
Die Schuld daran, dass jetzt eilig eine erneute Klausur einberufen wurde, trägt einer von Xis engsten Vertrauten: Li Zhanshu, der dritthöchste Mann im Staat, war kurz vor Xis Usbekistan-Besuch in Moskau zu Gast gewesen. Dort hatte er eine Rede vor den Mitgliedern des russischen Parlaments gehalten und sein „Verständnis“ für die russische Invasion in der Ukraine zum Ausdruck gebracht.
China sei außerdem bereit, sich mit Russland „gemeinsam zu organisieren“. Sätze, die man von keinem chinesischen Offiziellen bisher gehört hatte – und die klar vom gemeinsamen Kurs abweichen, auf den man sich im Februar geeinigt hatte.
Weil ein Video der Rede publik wurde, während sich Xi gerade in Usbekistan befand – und dort unter anderem auf Putin traf – zitierte der wirtschaftliche Parteiflügel um Li Keqiang den Präsidenten noch während dessen Reise zurück in die Heimat zur Klausur.
Dass Xi darauf hörte, zeigt, wie groß der Druck seiner Kritiker inzwischen geworden ist. Zu sehr litt die chinesische Wirtschaft in den vergangenen Jahren unter seiner Machtpolitik, sodass immer mehr Parteikader zu seinen Gegnern überlaufen. Mehr dazu hier:
An seiner Wiederwahl am kommenden Sonntag dürfte das trotzdem nichts ändern. Zu wichtig ist, dass die Partei nach innen wie nach außen Stabilität signalisiert. Doch am Parteitag wird auch über die Zusammensetzung des ständigen Ausschusses für die nächsten fünf Jahre entschieden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Wirtschaftsliberalen hier künftig eine Mehrheit bilden. Das hieße, so Weigelin-Schwiedrzik, „dass Xi wieder, wie in seiner ersten Amtszeit, stärker als Moderator auftreten müssen wird.“
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