China macht wieder auf – was das bedeutet
Wenn China übermorgen seine Grenzen wieder für Ausländer öffnet, sind über 1.000 Tage hermetische Abschottung zu Ende. Die noch Anfang Dezember geltende Null-Covid-Politik ließ man innerhalb einer Woche plötzlich fallen, am Sonntag wird die radikale Öffnung abgeschlossen. Auch die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, so das Bangen und Hoffen außerhalb des Riesenreiches, werde bald wieder auf vollen Touren laufen.
Doch von Normalität ist China noch weit entfernt.
„Jetzt, zum chinesischen Neujahrsfest rund um den 20. Jänner, werden viele Millionen Menschen ihre Familien auf dem Land besuchen. Und dann droht eine zweite Infektionswelle“, befürchtet Michael Berger, Leiter des Außenwirtschaftscenters der Wirtschaftskammer (WKO) in Peking. Dass die angeschlagene chinesische Wirtschaft rasch wieder voll anspringt, glaubt Berger deshalb nicht. „Vor Ostern ist damit nicht zu rechnen.“
Warum ein wachsendes China wichtig für Europa ist
Firmenschließungen, wochenlange Lockdowns, stillgelegte Industrieviertel – Schätzungen zufolge ist Chinas Wirtschaft im Vorjahr um nur drei Prozent gewachsen. Nachhaltig gestörte Lieferketten waren nur eine der fatalen Folgen für die ganze Welt. Und zeigten gerade in Europa auf, wie abhängig man von Importen aus dem Reich der Mitte ist.
Vor allem in den Bereichen Medizin (Antibiotika), Energie (Solarpanels) und Elektronik (seltene Erden). „Wir haben natürlich ein Interesse daran, diese Abhängigkeiten zu verringern“, sagt Gregor Sebastian, Analyst beim Mercator-Institut für China-Studien (MERICS) mit Sitz in Berlin. Kurzfristig sei dies aber in den nächsten Jahren noch nicht möglich.
Steigt der Gaspreis?
Umso wichtiger sei es für Europa, dass die chinesische Wirtschaft in den nächsten Jahren schneller wächst. „Und auch für die Wiederbeschleunigung der Weltwirtschaft ist der Wachstumsmotor China von großer Bedeutung“, so der Ökonom. Den Handel mit Europa dürfte das Wiedererwachen des Wirtschaftsriesen China ab dem Sommer wieder anziehen lassen.
"Auf der anderen Seite besteht natürlich das Risiko, dass sich der Bedarf an Rohstoffen in China schneller erholt, als man das angenommen hat“, meint Sebastian. Weil die Volksrepublik mehr Rohstoffe importiert als jede andere Nation weltweit, „könnte das auf die globalen Märkte überschwappen und Preise anheizen, vor allem beim Flüssiggas“.
Wirtschaftsdelegierter Berger erachtet einen Anstieg der Energiepreise hingegen nicht unbedingt als zwingend: „Es muss nicht sein, dass die Öl- und Gaspreise weltweit steigen, wenn Chinas Industrie wieder voll anspringt, zumal ja China günstig in Russland einkauft. Andererseits beginnt sich China auch in Saudi-Arabien einzudecken“, und das würde die Weltmarktpreise wieder nach oben treiben.
Ganz sicher aber, so Michael Berger, werden die Preise für Holz anziehen. „Holz ist als Baumaterial gefragt, zumal man auch in China immer mehr an ökologisches Bauen denkt.“
Holen die Chinesen ausgebliebenen Konsum nach?
Und womit der österreichische Wirtschaftsdelegierte ebenfalls rechnet: „mit einem großen Ansturm von chinesischen Wirtschaftsdelegationen“ in Österreich und in ganz Europa. Viel Geld, das in den vergangenen drei Jahren nicht ausgegeben wurde, soll nun investiert werden.
Ähnlich sieht es Gregor Sebastian zufolge bei den Privathaushalten aus: „Die meisten Chinesen haben seit Pandemiebeginn viel Geld zurückgelegt, haben eine hohe Sparquote. Die Öffnung könnte also dazu führen, dass viel Konsum nachgeholt wird.“ Doch es gebe auch hemmende Faktoren, zum Beispiel die hohe Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen.
Tim Rühlig wiederum bringt die wirtschaftliche Not vieler Klein- und Kleinstunternehmer zur Sprache. „Viele Leute mussten an ihr Erspartes gehen. Kleine Geschäfte gingen kaputt, Löhne wurden nicht gezahlt, selbst in manchen staatlichen Forschungsstätten haben die Menschen oft um 80 Prozent weniger Lohn erhalten“, meint der China-Experte an der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). „Die Not war groß, vor allem gab es bis vor Kurzem keine Aussicht, dass sich die Lage ändert.“
Wann kommen die Touristen?
Entsprechend vorsichtig beurteilt Rühlig deshalb auch die Erwartung, dass sich nun Millionen Chinesen sofort auf Auslandsurlaub begeben würden. „Das Ende der Covid-Beschränkungen bedeutet nicht, dass sofort Massen damit beginnen zu reisen, dafür müssten auch Ersparnisse da sein.“
Er wäre überrascht, sagt Rühlig, „wenn wir im März, April schon viele chinesische Touristen in Europa hätten. Ich rechne erst mit Sommer, Herbst oder um Weihnachten mit chinesischen Reisewellen.“
Alles hänge nun davon ab, „dass nicht eine neue Virusmutation um die Ecke kommt“, sagt der Experte. Wenn dies ausbleibe, und Chinas Wirtschaftskraft sich weiter normalisiere, „verschwindet schon mal eine große Unsicherheit aus dem Markt. Dann werden die Handelsbeziehungen und Lieferketten auch mit China wieder ein Maß an Stabilität erreichen, wobei geopolitische Risiken verbleiben.“
Dann aber, so Rühlig, könnten auch die „erheblichen Irritationen“ in der Bevölkerung in China spürbar werden. „Durch das lange Eingesperrtsein und den radikalen Wandel danach hat das Vertrauen in die Führung Xi Jinpings erheblich gelitten.“
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