Warum China weiterhin mit den Nachwehen von Zero Covid kämpft
Es wirkt, als würde täglich ein weiterer Stein der chinesischen Zero-Covid-Mauer, hinter der sich die Volksrepublik seit Dezember 2019 versteckt hat, abgetragen: Nach einem abrupten Ende der Lockdowns und Massentests Anfang Dezember stellte China am Sonntag die Veröffentlichung täglicher Corona-Daten ein; am Montag wurde das Ende der Quarantänepflicht für Einreisende angekündigt. Gleichzeitig gibt es Berichte von explodierenden Infektionszahlen – Beobachter schätzen Millionen pro Tag –, überfüllten Krankenhäusern, knapp werdenden Medikamenten und überforderten Krematorien. Für 2023 prognostizieren Beobachter mindestens eine Million Covid-Todesfälle in China.
Was steckt hinter den explodierenden Infektionszahlen? Und warum nimmt die chinesische Regierung diese plötzlich in Kauf?
Infektiöse Variante und niedrige Impfquote
Als Grund für die hohen Infektionszahlen gilt einerseits die Omikron-Subvariante BF.7, die in China grassiert. Die Unterlinie von BA.5 hat unter Omikron-Abkömmlingen die stärkste Infektiosität, eine infizierte Person steckt zehn bis 18 weitere Personen an. Die Variante ist bisher nur in China dominant. Für den westlichen Teil der Welt sollte sie Wissenschaftern zufolge nicht allzu gefährlich sein, da die Immunität gegen Omikron bereits sehr hoch ist.
Gleichzeitig ist die Auffrischungsquote in China vergleichsweise extrem niedrig. Vor allem die ältere Bevölkerung ist kaum mehr geschützt: Regierungsdaten zufolge haben nur 57,9 Prozent der Erwachsenen eine Auffrischungsimpfung erhalten; bei Menschen über 80 Jahren sind es nur 42,3 Prozent. Chinas Regierung hat von Beginn an die Impfung der erwerbstätigen Bevölkerung priorisiert, das dürfte sich in den Köpfen der Bevölkerung festgesetzt haben. Die chinesische Regierung hat nun angekündigt, bis Ende Jänner 90 Prozent der über 80-Jährigen zumindest die ersten beiden Impfungen verabreichen zu wollen.
An der Wirksamkeit der chinesischen Impfstoffe wird mittlerweile hingegen kaum mehr gezweifelt. Vor allem im Vorjahr attestierten internationale Studien chinesischen Tot-Impfstoffen weniger Schutz als westlichen mRNA- oder Vektorimpfstoffen. WHO-Notfalldirektor Mike Ryan betonte in einer Pressekonferenz Mitte Dezember: Daten aus Hongkong zeigten, dass Sinopharm und Sinovac mittlerweile genauso gut schützten – es käme nur auf die Auffrischungsdosis an: "Wesentlich ist nicht mehr, welchen Impfstoff man bekommt, sondern wer wann das letzte Mal eine Auffrischungsdosis bekommen hat."
Angst vor Wirtschaftsflaute
Den plötzlichen Lockerungen Chinas Anfang Dezember gingen massive Proteste in mehreren Teilen des Landes voraus – von Urumqi über Shanghai bis Peking. China-Expertin Nadine Godehardt von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin nannte die Proteste "eine Besonderheit" und Mitgrund für das plötzliche Abrücken der strengen Zero-Covid-Politik.
Gleichzeitig stiegen jedoch wegen der infektiösen BF.7-Variante die Neuinfektionen bereits vor den Lockerungen rasant an; die Regierung musste angesichts der Überforderung des Kontrollapparats einsehen, dass die Maßnahmen immer weniger nützten und gleichzeitig Chinas Wirtschaft enorm schadeten: Die japanische Finanzgruppe Nomura schätzt, dass im November aufgrund der Lockdowns etwa 20 Prozent der Wirtschaftsleistung still standen. Somit war wohl auch die Angst vor einer Wirtschaftsflaute ausschlaggebend für den Richtungswechsel Chinas.
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