Jungchefin
Nach nur einem Jahr in dieser Position wählte sie den Weg in die Selbständigkeit. Anastasiia Romanowa gründete eine Agentur für B2B/B2C im Beauty- & Wellness-Business, das in der Ukraine ein wichtiger wirtschaftlicher Zweig ist. Einige Ex-Kollegen, die sie für sich gewinnen konnte, schlossen sich ihr an. Das war im Jänner - einen Monat bevor die Russen die Ukraine angriffen.
Wenige Tage danach packte sie ihre Siebensachen und fuhr mit ihrer besten Freundin im Auto aus Kiew weg. Zurück ließ sie ihre Eltern und den Freund. Er und der Vater schlossen sich den Verteidigungskräften an. Die Mutter wollte daheim bleiben. Die 26-Jährige hatte bei der Abreise ein bestimmtes Ziel anvisiert. “Der erste Kunde meiner PR-Agentur ist ein Deutscher. Er bot mir einen Job und eine Bleibe an”, erzählt Romanowa. Ihre Weggefährtin war aber gegen Deutschland. Am Ende musste Wien als Kompromiss dienen. “Wir fanden beide, dass Wien ein sicherer Zufluchtsort für zwei junge Frauen ist”, erklärt die Kiewerin, dass die Sicherheit bei der Zielwahl eine wichtige Rolle gespielt hat.
Schockstarre
In der ersten Woche in Wien, wo die beiden eine Wohnung gemietet hatten, verstand sie nicht, was um sie geschehen ist. “Alles, was ich hatte, musste ich zurücklassen. Das Leben fängt für mich quasi von neu an”, sagt sie. Ihr Blick verliert sich in der Tiefe der Teetasse, die sie fest umklammert. Sie sei froh, am Leben zu sein und würde für das Wohlergehen ihrer Familie in der Ukraine beten, sagt die junge Frau mit deutlich gesenkter Stimme.
Nach nur wenigen Wochen in Wien habe sie die Stadt und die Mentalität der Menschen hier liebgewonnen. “Wir Ukrainer sind laut und mögen die Regeln nicht. Die Österreicher sind hingegen viel ruhiger und halten sich daran. Das gefällt mir”, sagt sie schmunzelnd. Ihre Landsleute seien oft chaotisch und unbedacht, es fehle oft an Struktur in ihrer Lebensführung. “Ich vermisse bei uns die Balance”, bemängelt sie und hofft, sich diese Tugenden in Österreich aneignen zu können.
Ungebrochenes Selbstbewusstsein
Nach drei Wochen in Wien und der anfänglichen Schockstarre sei Anastasiia Romanowa bereit, zumindest teilweise zur “Normalität” zurückzukehren. Sie aktualisiere gerade ihren Lebenslauf und will sich bei Schulen, TV-Stationen und Marketingagenturen bewerben. “Ich habe eine gute Ausbildung, kann auf viel Erfahrung zurückblicken. Ich werde die Ärmel hochkrempeln”, erklärt sie mit entschlossenem Blick, der davon zeugt, dass ihr Selbstbewusstsein trotz allem nicht gebrochen sei.
Eine Ablenkung von den Schreckensnachrichten aus ihrer Heimat findet sie derweil in den sozialen Netzwerken. Auf Instagram versucht sie, die Aufmerksamkeit ihrer 6.500 Follower auf die “Ungerechtigkeit, die meiner Heimat widerfährt”, zu lenken. Unter ihren Abonnenten seien auch zahlreiche Russen gewesen. Die meisten hätten ihr inzwischen den Rücken gekehrt. “Eine Bekannte aus Moskau schrieb mir eine Hass-Nachricht. Sie bezeichnete mich als Faschistin und meinte, sie wünschte sich, ich würde in der Hölle landen”, erzählt sie kopfschüttelnd. Sie verstehe diesen Hass nicht.
Überhaupt stelle sie sich derzeit viele Fragen. Auf zumindest eine, nämlich ihre Zukunft betreffend, könne sie antworten. Sie habe nämlich vor, bis zum Kriegsende hier zu bleiben. Ob sie denn eine Prognose wage, wann dieser vorbei sein könnte? “Ich befürchte, nicht in diesem Jahr”.
Цю статтю Ви також можете прочитати українською.
Kommentare