Mutter aus Kiew: "Da habe ich mich doch für die Flucht entschieden"
Beginnen wir mit einer guten Nachricht, hören wir, was Margarita, die Zehnjährige, an ihrem ersten Schultag in Österreich erlebt hat: „Als wir in der Schule ankamen, sah ich alle Lehrer und alle Kinder Masken in den Farben unserer Ukraine tragen. Das war sehr schön.“
Und Freundinnen in ihrer neuen Welt, in der kleinen niederösterreichischen Stadt Ternitz, habe sie auch schon.
Nur kurz zur Erinnerung: Vor exakt 19 Tagen haben zwei Reporter des KURIER Margarita, Mutter Svitlana, auch ihre beiden Brüder Georgie und Danilo und ihren Hund Abi an der slowakisch-ukrainischen Grenze aufgelesen und mit dem Auto nach Österreich gebracht. Seither ist sehr viel passiert, der Kontakt zur Familie ist aber trotz Sprachbarrieren und viel Papierologie nie abgerissen. Zur Wochenmitte gab es ein Wiedersehen. Und irgendwie war es, als würden sich alte Freunde wiedersehen.
Auch Claudia Paur berührt die Erzählung des Mädchens. Menschen wie sie sind es, die uns in diesen Tagen Hoffnung machen. Die Inhaberin eines Kosmetiksalons in der Stadtgemeinde Ternitz stand vor 19 Tagen mit einer Träne im Auge („Mein Sohn hat mir nicht erlaubt zu weinen“) vor ihrer Wohnung und lotste die ihr bis zu diesem Augenblick fremden Menschen zu sich nach Hause.
Claudia Paur hat nicht nur ihre Wohnung der ukrainischen Frau, ihren drei Kindern und ihrem Hund zur Verfügung gestellt. Sie hat die Gäste in ihr Herz geschlossen, und lässt sich auch nicht von einer deutlich überforderten Bürokratie entmutigen. Freut sich über Hilfe und Zuspruch von Freunden und Nachbarn, auch Beamten. Unternimmt alles, was in ihrer Macht steht.
Ein herzliches Danke
Svitlana Yastremska, die in Kiew schon am ersten Tag des Kriegs von einer gefährlich nahen Detonation aus dem Schlaf gerissen worden war, ist das nicht entgangen. Sie bedankt sich herzlich.
Dabei war vor 19 Tagen für sie noch nicht klar, ob sie ihre Heimat mit den Kindern verlassen wird: „Wir haben zu diesem Zeitpunkt gemeinsam mit meinem Mann Zuflucht in Lemberg gesucht, und wir wollten dort eigentlich als Freiwillige kämpfen. Als ich dann einen Anruf von einer Freundin aus Wien erhalten und gehört habe, dass uns zwei Journalisten sicher nach Österreich bringen möchten, da habe ich mich doch für die Flucht entschieden. Um damit unsere Kinder zu retten.“
Es war für die Ukrainerin keine einfache Entscheidung. Und sie ist sich noch immer nicht sicher, ob es die richtige war: „Zu Beginn der Woche musste meinem Vater in Kiew ein Bein amputiert werden.“ Und fast zeitgleich dachte sie an ihren Mann, der sein Land verteidigen möchte, aber bei einem Luftangriff unfreiwillig Zeuge wurde, „wie der Kaffee aus seiner Tasse spritzte“.
Ihr Mann führte bis vor wenigen Tagen ein schönes Outdoor-Sportgeschäft in der ukrainischen Hauptstadt. Das Geschäft ist jetzt geschlossen. Outdoor ist jetzt für ihn ganz woanders. Dort, wo statt der atmungsaktiven kugelsichere Westen getragen werden.
Seine besorgte Frau zeigt uns auf ihrem Handy Fotos von den drei Tagen, die ihre Familie in Lemberg verbracht hat: „Danilo hat dort seinen achten Geburtstag gefeiert.“ Und dann die letzten Bilder vor dem Abschiednehmen. Auf den ersten Blick wirken sie wie die Erinnerungen an einen gemeinsamen Urlaub. Doch das Lächeln der Eltern verrät deutlich mehr als nur unbeschwerte Glückseligkeit.
Die Zeichnung, die Danilo auf der Flucht angefertigt hat, zeigt wiederum, wie der Krieg die Seelen der Kinder trifft. Der Lausbub aus Kiew, der am Liebsten den ganzen Tag lacht und der zum Glück hier in Ternitz dieses Lachen wiedergefunden hat, hat sie nur mit dem roten und dem schwarzen Buntstift gemalt.
Das Lachen von Danilo und seinen Geschwistern, die im Garten mit ihrem Hund spielen, zeitgleich die Sorgen ihrer Mutter, die mit uns nach entsprechenden Worten ringt: Wann endet dieser Albtraum?
Wir schaffen das!
Viele Fragen sind im Moment offen. Claudia Paur kann ihre Wohnung nur bis Ende April zur Verfügung stellen. Nach Alternativen wird gesucht. Und vielleicht findet sich ja noch ein Physiotherapeut, den anders als seinen Berufsverband interessiert, wie man in der Ukraine mit Schlaganfall- bis hin zu Sportpatienten arbeitet, oder aber ein Sportverein, der eine ausgebildete Skilehrerin benötigt.
Die Abfahrt des Zugs nach Wien drängt zum Aufbruch. Die Physiotherapeutin sagt an der Tür „Bis bald“. Sie lernt nun mit einer App Deutsch. Und ja, einen Platz in einem Deutschkurs benötigt sie bitte auch noch. Mal ehrlich: Wäre doch gelacht, wenn wir das nicht gemeinsam auch noch irgendwie hinbekämen.
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