Zwischen den Fronten: "Trotzdem bleibt die Affinität zu Russland"

Schriftstellerin Ljuba Arnautović: Ihr Vater verbrachte zehn Jahre im Gulag und lernte dort ihre Mutter kennen
Die Autorin Ljuba Arnautović über ihre russisch geprägte Familiengeschichte und den Krieg. Und: Warum Studentin Daria Österreicherin wurde.

Für den Sommer war eine Reise nach Moskau geplant. „Junischnee“, ihr letzter – in Österreich viel beachteter – Roman, sollte in absehbarer Zukunft fertig übersetzt in russischen Buchhandlungen stehen. „Das Projekt ist eingefroren“, muss die Schriftstellerin Ljuba Arnautović feststellen. Plötzlich ist ihre eigene Familiengeschichte konfrontiert mit der wiederkehrenden brutalen Aktualität. Die Bösartigkeit des Zufalls inszenierte am 24. Februar Putins Überfall auf die Ukraine – just an ihrem Geburtstag. Als „Antigeschenk“ nahm sie es zur Kenntnis.

„Ich bin nicht nur eins, leiste mir den Luxus, mich als Mischling zu bezeichnen“, sagt sie. Sich in eindimensionaler Persönlichkeitsstruktur in den gedanklichen Ruhestand zu versetzen, erlaubt ihre Vergangenheit nicht. Der Vater war 1934 als „Schutzbundkind“ aus Wien ins Moskauer Exil gekommen. Von der Geschichte des Zweiten Weltkriegs überrollt, landete er als Jugendlicher auf der Straße, danach zehn Jahre im Gulag. Dort lernte er Lubjas aus Kursk stammende Mutter kennen. Eine Frau, die ständig entwurzelt war. „Sie hatte kein schönes Leben.“ Ljuba kam 1954 in Kursk zur Welt.

Als sie all das dokumentiert hat, ahnte sie noch nicht, dass sie eingeholt werden würde, von den Geschichten vom Krieg, von Flucht, Exil, vom Heimkommen, vom Gefühl, da wie dort fremd zu sein, von Liebe und Tod. Ihr Vater hat sich im Gulag den Kriminellen angeschlossen, um zu überleben. Die Tochter beschreibt es. Mit bewusst „distanzierten, manchmal kühl“ gewählten Worten.

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