Das Phänomen Novak Djokovic: Badman und Djoker
"Đoković spendete 110.000 Euro für bosnische Kinder!", "Đoković spendete 700.000 Euro, sein gesamtes Preisgeld vom Turnier in Rom, Serbien und Bosnien und Herzegowina", "Der weltbeste Tennisspieler spendete eine Million Euro für den Kampf gegen das Coronavirus", "Đoković einziger Sportler, der an drei verschiedene Länder spendete".
Dies ist nur ein kurzer Auszug aus der Liste der Zeitungstitel aus Kroatien bzw. Bosnien-Herzegowina mit derartigem Inhalt. Zur Erinnerung: Die Rede ist von Nachbarländern Serbiens, gegen die das Heimatland Đokovićs in den 1990er Jahren blutige Kriege geführt hat. Ja, Novak Đoković (ja, man schreibt ihn mit einem durchgestrichenen D, das vielen Tastaturen fremd ist, Anm.) ist nicht nur in Serbien, sondern auch in den anderen Nachfolgestaaten des Landes in dem er geboren wurde, Jugoslawien, ein Ehrenmann. Einer, von dem man mit Stolz behaupten kann, er käme aus derselben Ecke der Welt.
Am anderen Ende der Welt schreibt Đoković derzeit andere Schlagzeilen. Schlagzeilen, die er so nie schreiben wollte. Dem besten Tennisspieler der Welt wurde in Australien vorübergehend die Einreise verweigert. Der 34-Jährige ist ungeimpft und soll bei der Ankunft in Melbourne falsche Angaben gemacht haben.
Der Trotz-Faktor
Die vergangenen Jahrzehnte haben am Westbalkan nicht so viele Persönlichkeiten an die Oberfläche gespült, mit denen man sich identifizieren kann. Es sei denn, man ist Fan von Kriegsverbrechern, Kriegsprofiteuren oder korrupten Politikern.
Die Menschlichkeit einer Person wird am Balkan mittlerweile daran gemessen, ob man denn in allen Ecken des einst gemeinsamen Staates auch nach den blutigen 1990ern willkommen ist. Novak Đoković ist eine von gefühlt Dutzenden bekannten ex-jugoslawischen Persönlichkeiten, die man sowohl in Ljubljana als auch in Zadar, Sarajevo oder Skopje willkommen heißt - und wertschätzt.
Er ist einer, dem man über seine Macken hinwegsieht, dem man Fehler verzeiht. Nole, so nennt man ihn am Balkan, ist "Einer von uns". Ein netter Bursche aus der Nachbarschaft, der stets mit dem Tennisschläger durch die Gegend gerannt ist, einen unbändigen Siegeswillen und einen schrägen Vater hat(te).
Đokovićs Beliebtheitsgrad in der Heimat wuchs proportional zum Verlust seiner Sympathiewerte in der restlichen Welt. Je arroganter er in der westlichen Welt wahrgenommen wurde - ja, er schaffte es tatsächlich, die Welt nochmals in die Blöcke zu spalten - desto sympathischer empfand man ihn von Ljubljana bis Athen. Je mehr die Zuschauer seinen Gegnern auf den Centre Courts in Melbourne, Wimbledon oder New York die Daumen drückten, desto mehr liebten ihn die Leute in Belgrad, Sarajevo und Co. Je mehr er fluchte, sich mit dem Publikum anlegte, desto stärker wurde die Bindung zwischen ihm und seinen Landsleuten.
Es war der Trotz, der Đoković zu dem großen Spieler wachsen ließ. Eine Eigenschaft, die Menschen vom Balkan trotz aller Missverständnisse doch irgendwo zu einem Zusammenhalt trieb. Schon immer hielt man sich in dieser Region für Opfer der Geschichte.
Diesmal steht mehr auf dem Spiel als ein möglicher 21. Grand-Slam-Titel, der Đoković zum erfolgreichsten Spieler der Geschichte machen würde.
Verziehene Macken
Doch nun ist Nole an einem Punkt angekommen, wo sich der Spaß aufhört, an dem sich die Geister spalten - sogar in seiner Heimat. Seinen Hang zu Esoterikern, Quasi-Ärzten, Alchemisten und Verschwörungstheoretikern hat man ihm verzeihen können. Das ging nur allein ihn etwas an, und es hat die Sympathien nur im geringen Ausmaß schmälern können. Doch jetzt geht es um mehr. Einreiseregeln oder die Frage einer Corona-Impfung betreffen Menschen auf der ganzen Welt und haben weitreichende Folgen. Auch für einen Novak Đoković.
Man stelle sich nur vor, eines der Belgrader Tennis-Talente, die der Superstar am 17. Dezember geehrt und anschließend umarmt hatte, wäre das eigene Kind gewesen. Und läse wenige Wochen später, dass das Idol neben dem breit grinsenden Kind einen Tag zuvor erfahren hatte, dass er mit dem Coronavirus infiziert ist, es aber verheimlichte. Und bewusst das Risiko einging, die Menschen um ihn herum anzustecken.
Göttlicher Beistand
Die Fronten sind verhärtet. Auf der einen Seite stehen die Leute, die allem und allen zum Trotz zu ihm halten. Er sei doch nur ein Opfer des Systems, das sich jetzt schon wieder gegen Serben und andere Ex-Jugoslawen richte. Diesem Lager hat sich etwa der kontroverse serbische Präsident Aleksandar Vučić sowie das Staatsoberhaupt der Serbischen Kirche, Patriarch Porfirije, angeschlossen. Den göttlichen Beistand hat Đoković also sicher.
Auf der anderen Seite stehen jene, die verstanden haben, dass es hier um mehr geht als bloß um einen Stich in den Oberarm eines außergewöhnlichen Sportlers. Eines Sportlers, dessen Status des Unantastbaren wackelt.
Ob eine Annäherung der beiden Lager, Pro und Contra Nole, vorstellbar ist? Wohl kaum. Am Balkan ist man Extreme gewohnt, das Dazwischen ist längst verdampft: Entweder du bist einer von uns, oder du gehörst zum Rest der Welt.
Diesen Artikel können Sie auch auf Bosnisch/Kroatisch/Serbisch lesen:
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