Bosnien-Krieg: Ein Land seit 30 Jahren ein Trümmerhaufen
Es gibt sie. Diese Daten, die für eine Stadt von Bedeutung sind. Kaum ein Datum hat einer Stadt seinen Stempel so aufgedrückt wie der 6. April Sarajewo. An diesem Tag erlebte die heutige Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas zwei Kriegsausbrüche und eine Befreiung: 1941 waren es die Flieger der deutschen Luftwaffe, die ihren ersten Angriff auf den nahe gelegenen Flughafen begannen. 51 Jahre später umzingelten die Truppen der jugoslawischen Volksarmee die im Tal gelegene Stadt und belagerten sie 1.425 Tage lang. Diese beiden tragischen Ereignisse überschatten ein anderes: Am 6. April 1945 wurde Sarajewo nach vierjähriger deutscher Besatzung befreit.
"An jedem 6. April spüre ich besonders, wie sehr ich meine Heimatstadt vermisse", erzählt Nedad Memić. Seine ersten 25 Lebensjahre – und damit die ersten Kriegstage – hat der in Wien lebende Germanist und PR-Berater in Sarajewo verbracht: "Bereits am 5. April fielen die ersten Opfer der Besatzung: zwei junge Frauen, die an den großen Friedenskundgebungen mit 40.000 Menschen teilnahmen. Sie wurden von Scharfschützen erschossen, die zu diesem Zeitpunkt bereits an mehreren Punkten in der Stadt positioniert waren", erinnert sich Memić.
In der Nacht zum 6. April wurde Sarajewo erstmals unter Beschuss genommen: "Mein älterer Bruder und ich standen am Fenster unseres Zimmers, das auf die Altstadt ausgerichtet war, und beobachteten Raketen, die auf die Stadt niederfielen. Mein Bruder sagte: 'Der Krieg hat begonnen.'"
Tatsächlich sollte der ethnische Krieg zwischen Bosniaken, Kroaten und Serben dreieinhalb Jahre dauern. Geendet hat er mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Dayton, an dem sich bis heute die Geister schneiden.
"Gescheiterter Staat"
Kritiker sind der Meinung, er sei dafür verantwortlich, dass Bosnien-Herzegowina 30 Jahre nach dem Krieg immer noch als "gescheiterter Staat" gilt: Das in zwei halbautonome Teilrepubliken geteilte Land mit dem dreiköpfigen Staatspräsidium entwickelt sich kaum weiter, politische Vorhaben werden von der jeweils anderen Seite blockiert.
2016 stellte das Land einen Antrag auf einen EU-Beitritt, doch weder von Seiten der EU noch von der zerstrittenen Staatsspitze wurden die Bemühungen weiter verfolgt. Mittlerweile gelten China und Russland als die größten ausländischen Einflussmächte in der Region: Der Kreml unterstützt offen die Abspaltungsbestrebungen der Republika Srpska unter dem Serbenvertreter Milorad Dodik. Auch energiepolitisch ist das Land an Russland gebunden: Bosnien-Herzegowina ist abhängig von russischem Gas und spielt als Transitland für Turkstream und South Stream eine große Rolle. China versucht, die Region wirtschaftlich durch den Bau von Infrastruktur an sich zu binden.
Nach dem Unabhängigkeitsreferendum am 1. März 1992 kam es zu Ausschreitungen. Am 6. April 1992 begann die dreijährige Belagerung Sarajevos durch bosnisch-serbische Truppen, tags darauf brachen Kämpfe aus. Es folgten "ethnische Säuberungen" von Bosniaken und Kroaten. Bis Ende 1995 wurden insgesamt mehr als 100.000 Menschen getötet.
Besonders grausam war das Massaker von Srebrenica (1995), wo 8.000 Bosniaken ermordet wurden. Die damaligen Zivil- und Militärführer Radovan Karadžić und Ratko Mladić wurden später zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Krieg endete mit dem Dayton-Friedensabkommen, zu dem es unter Vermittlung der USA im November 1995 kam.
Angesichts des Krieges in der Ukraine ist die Befürchtung groß, dass der Westbalkan der nächste Krisenherd Europas wird. Die EU verdoppelte deswegen bereits im Februar ihre in Bosnien-Herzegowina stationierte Friedenstruppe EUFOR auf 1.100 Soldaten.
Gefährlicher Vučić
Die vergangene Wahl in Serbien dürfte die Befürchtung verstärken: Der zwar erwartbare, aber doch eindeutige Sieg von Präsident Aleksandar Vučić sorgt für Sorgenfalten beim bosnischen Nachbarn. "Wir müssen davon ausgehen, dass Vučić weiterhin hinter Dodik steht und ihn bei den kommenden Wahlen in Bosnien unterstützen wird", sagt Vedran Džihic vom Österreichischen Institut für internationale Politik (oiip). "Serbien hat kein Interesse an einem stabilen Bosnien-Herzegowina", glaubt Džihic, der nicht einmal dem Erfolg der serbischen Opposition in der Hauptstadt Belgrad große Bedeutung beimisst: "Die Opposition in Serbien ist immer noch zu schwach, um wirklich gefährlich werden zu können. Er hat weiterhin die Zügel fest in der Hand."
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