Die Lehren aus Sarajevo: Wenn sich Kriegsverbrechen lohnen

Die Lehren aus Sarajevo: Wenn sich Kriegsverbrechen lohnen
Europa hätte aus den Gräueln des Bosnienkrieges seine Lehren ziehen sollen.

Diese Woche jährt sich der Beginn der Belagerung von Sarajevo zum 30. Mal. Mit 1.425 Tagen war sie die längste im 20. Jahrhundert. Die Leiden und der Widerstand von Bürgern Sarajevos gingen damals um die Welt. Trotzdem mussten sie fast vier Jahre in einer belagerten und beschossenen Stadt ohne Strom, Wasser und Heizung ausharren und mehr als 11.000 Opfer beklagen, bevor der Krieg gestoppt wurde.

Der Frieden, der danach kam, war alles, nur nicht gerecht: Diejenige Politik, die hinter der Belagerung der bosnischen Hauptstadt, den systematischen ethnischen Säuberungen und Zerstörungen in ganz Bosnien-Herzegowina und dem Völkermord von Srebrenica stand, wurde mit der Hälfte des Landes belohnt. In der Republika Srpska werden die Belagerung Sarajevos, der Srebrenica-Genozid und andere schwere Kriegsverbrechen geleugnet und nicht selten sogar gefeiert. Dort sind für zu viele Menschen die serbischen Kriegsführer Radovan Karadžić und Ratko Mladić, die des Genozids schuldig gesprochen wurden, immer noch Helden. Viele Kriegsverbrechen blieben bis heute unbestraft.

26 Jahre nach dem Friedensabkommen von Dayton wird in Bosnien-Herzegowina immer noch derselbe Krieg geführt – diesmal nicht mit Waffen, sondern mit Worten. Politische Spannungen, Korruption und fehlende Rechtsstaatlichkeit treiben jährlich Zehntausende ins Ausland. Die EU und die USA haben nach einer massiven Präsenz in den ersten zehn Jahren nach dem Kriegsende verabsäumt, das Land dauerhaft zu stabilisieren und ihm eine EU-Perspektive zu geben.

Balkanpolitiker, die den Völkermord in Srebrenica und die Belagerung Sarajevos leugnen, sind für die EU immer noch willkommene Gesprächspartner. Brüssel schaut zu, wie sowohl das autoritär regierte und russlandfreundliche Serbien als auch das EU-Mitgliedsland Kroatien die Souveränität Bosnien-Herzegowinas untergraben. Während uns dieser Tage schreckliche Bilder von der Zerstörung ukrainischer Städte und den Gräueltaten russischer Soldaten erreichen, erfahren Überlebende der Belagerung von Sarajevo eine erneute Traumatisierung. Nach nur knapp einem Vierteljahrhundert wurde Europa wieder zum Schauplatz schwerster Kriegsverbrechen.

Bosnien-Herzegowina ließ der Westen im Krieg in den 1990ern militärisch im Stich. Das Resultat: mehr als 100.000 Tote und ein geteiltes Land. Heute leisten Ukrainer erbitterten Widerstand – und dürfen zum Glück mit militärischer Unterstützung rechnen. Bereits nach einem Monat des Krieges im Osten Europas ist klar: Nur dort, wo es den ukrainischen Streitkräften gelingt, das Land zu verteidigen, können Massenverbrechen wie jenes in Butscha verhindert werden.

Dem demokratischen Westen darf deshalb in der Ukraine nicht der gleiche Fehler passieren wie damals in Ex-Jugoslawien. Putin und seine Armee wird man schwer vor Gericht stellen können. Es muss aber dafür gesorgt werden, dass die Ukrainer am Ende dieses Krieges einen gerechten Frieden bekommen.

Nedad Memić hat als Teenager die Belagerung von Sarajevo überlebt. Der Germanist und PR-Berater lebt seit 2002 in Wien.

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