Wie kann man sich die Medienlandschaft in Serbien vorstellen?
Eine ausländische Medienbehörde hat festgestellt, wie viele Stunden im Jahr im Staatsfernsehen positiv über Vučić berichtet wurde: Es waren 95 Stunden. Die negative Berichterstattung kam auf 2 Minuten 30 Sekunden. Wir als größte Oppositionspartei haben 4 Minuten 30 Sekunden positive und sechs Stunden negative Berichterstattung bekommen. Ich fühle mich oft wie Charlie Chaplin – ein Mann ohne Stimme.
Die Regierung entscheidet, was kommuniziert wird, von der Zahl der Corona-Infektionen über das Wirtschaftswachstum. Beim Krieg wurde etwa berichtet, dass die Ukraine Russland angegriffen hätte, oder dass Vučić Macron geholfen hätte, den Krieg zu beenden.
Welche Chancen hat die Opposition da?
Die letzten Wahlen haben wir als Opposition boykottiert. Wir hatten auf die Unterstützung der EU gehofft, doch die sieht seit Jahren nur zu und toleriert Vučić – Merkel, Macron und Kurz hofierten ihn. Das hat mich sehr enttäuscht. Diesmal schließt sich die Opposition zusammen. Wir haben sehr kompetente Leute, Marinika Tepić, Borko Stefanović. Wir haben gute Chancen, bei der Parlamentswahl zu gewinnen – ich glaube nicht, dass Vučić und seine Koalitionspartei nochmal die absolute Mehrheit holen. Und wenn wir bei der Präsidentschaftswahl eine zweite Runde erzielen, haben wir auch da gute Chancen.
Ungarn wählt am selben Tag wie Serbien, auch dort versucht die geeinte Opposition, Orbán zu stürzen. Sehen sie Parallelen zwischen Serbien und Ungarn?
Es ist kein Wunder, dass Orbán und Vučić sich gut verstehen. Vučić pflegt gute Beziehungen zu allen Diktatoren. Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen Serbien und Ungarn: Ungarn ist Teil der EU, Serbien nicht. Orbán kann bestimmte Strukturen im System zerstören, aber nicht die Demokratie. Das würde die EU nicht zulassen.
Würden Sie sagen, Serbien ist keine Demokratie?
Nein, das sind wir schon lange nicht mehr. Zu einer Demokratie gehören unabhängige Institutionen und Medien, Prinzipien, Regeln, Werte. Das alles haben wir nicht. Wir sind laut Korruptionsindex eines der korruptesten Länder Europas. Es gilt, diese autokratischen Politiker aufhalten, bevor sie noch mehr zerstören, als wir wiederherstellen können.
Noch zu Ungarn: Ich hoffe übrigens sehr, dass dort die Opposition gewinnt.
Sie sagen, Sie sind enttäuscht von der EU. Sind Sie trotzdem für einen EU-Beitritt Serbiens?
Für uns ist der Weg in die EU eine Einbahnstraße. Das ist die einzige Chance, hier ein demokratisches System zu errichten. Doch im aktuellen Wahlkampf ist ein EU-Beitritt kein Thema mehr. Das ist der Fehler der EU: Vor zehn Jahren wurde uns die Tür geöffnet, seitdem hat sich nichts getan. Derzeit sind nur mehr 31 Prozent der Serben für einen EU-Beitritt, vor zehn Jahren waren es noch 70 Prozent. Fragt man heute die Bevölkerung, wer die Verbündeten Serbiens sind, werden zuerst Russland und China genannt, dann die EU.
Vučić strebt einerseits einen EU-Beitritt an, andererseits gilt ist er ein treuer Verbündeter Putins. Welchen Weg wird er nach den Wahlen wählen?
Ich glaube, er hat sich bereits entschieden. Und zwar für Russland und China.
Woran sieht man das?
Wir sind zu 100 Prozent von russischem Öl und Gas abhängig, chinesische Firmen erhalten Aufträge ohne öffentliche Ausschreibung, bauen Serbiens Straßen- und Schienennetz aus. Dafür nehmen wir sogar Schulden auf, unsere Auslandsschulden betragen rund 30 Milliarden Euro. Zurzeit haben wir ein besseres Verhältnis zum Osten als zu unseren Nachbarn in Bosnien-Herzegowina, Kroatien und dem Kosovo. Das ist eine Schande.
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