Gala der Menschlichkeit: "Ich wollte auch etwas zurückgeben"

Sertan Batur wurde in Istanbul geboren. Nach Wien zog er im Jahr 1998 für sein Masterstudium.
Sertan Batur, klinischer Psychologe, arbeitet vor allem und am liebsten mit jenen, die sonst viele als „Problemfall“ sehen würden.

„Ich habe auch klassische Beratungen gemacht, aber das ist wie Fließbandarbeit“, erzählt Sertan Batur. „Man sitzt auf seinem Sessel, dann kommt jemand, redet und geht. Dann kommt der Nächste. Das ist sehr eintönig“, erklärt Batur, warum er die Arbeit am „Feld“, also vor allem beim Jugendtreff, bevorzugt. Dort würde er nämlich wirklich unter den Leuten und in ihrem Leben sein.

Batur ist ausgebildeter klinischer sowie Gesundheitspsychologe. Psychologie studierte er zunächst in Istanbul, wo er 1974 geboren wurde und auch aufwuchs. Für ihn sei immer klar gewesen, dass es etwas Sozialwissenschaftliches sein sollte. Den Master wollte er dann unbedingt im Ausland machen. Warum gerade Österreich? „Ich habe damals recherchiert, wo es am besten gehen würde und für Wien gab es die meisten Informationen“, erinnert er sich zurück. So kam er 1998 nach Wien.

Der Anfang in der österreichischen Hauptstadt sei für ihn zunächst gewöhnungsbedürftig gewesen. „Das Wien von damals war wie ein Museum. Ruhig, kaum Menschen auf den Straßen, am Sonntag überhaupt komplett ausgestorben“, sagt Batur mit einem Lächeln. Auch sei er erst in Wien zum „Türken“ geworden. „Ich hätte mich in der Türkei selbst nicht mal als Türke bezeichnet. Und dann kam ich nach Wien und war nur mehr der Türke. Und auf einmal war ich in der Situation, die Türkei zu verteidigen, Vorurteile aus dem Weg zu räumen“, erzählt der 48-Jährige.

Vorurteile

Dass er Türkisch kann, hat ihm aber auch zu seiner Arbeit mit Jugendlichen geführt. „Damals hat man sehr gerne Menschen mit Türkischkenntnissen genommen, weil man dachte, wir könnten besser mit Jugendlichen arbeiten. Die Jugendarbeit war aber für viele das Sprungbrett, etwas, das man nur für eine gewisse Zeit gemacht hat“, so Batur. Für ihn ist es eine Berufung. „Die Arbeit mit Jugendlichen gibt einem so viel. Und macht auch Spaß. Jugendliche sind oft auch so witzig“, betont er.

Ob Türkischkenntnisse eigentlich noch immer ein Vorteil in seiner Arbeit sind? „Das ist eigentlich ein Vorurteil. Die meisten türkischstämmigen Jugendlichen wachsen hier auf und können Deutsch“, sagt Batur. Dennoch gesteht er, dass es eine gewisse Nähe schaffe. „Viele Jugendliche nehmen an, dass ich sie besser verstehen würde, weil ich aus ihrer Sicht aus derselben Kultur komme wie sie. Dabei bin ich ein Akademiker und in einer Metropole in der Türkei aufgewachsen. Viele Jugendliche, mit denen ich arbeite, sind aber Arbeiterkinder, die in Wien aufgewachsen sind mit Eltern aus türkischen Provinzregionen“.

"Es ist ihre Welt und ihr Leben"

Dass er aber ein älterer türkischer Mann ist, verschaffe ihm eine gewisse Stellung, mit der Batur aber auch gerne spielt. „Sie haben dann ein gewisses Bild im Kopf. Und dann komme ich daher und bin nicht konservativ und nicht gläubig. Und meistens kann man dann genau sehen, wie sie beginnen, Sachen zu hinterfragen.“ So arbeitete Batur mit Jugendlichen in Form eines Videoprojekts kürzlich etwa die Krawalle von Favoriten, die Sommer 2020 für Schlagzeilen sorgten, auf. Denn durch Vorschreiben erreiche man Jugendliche nie. „Die Realität ist nicht immer gut, oder die Denkweise von Jugendlichen ist nicht immer perfekt. Aber trotzdem ist es ihre Welt und ihr Leben. Das muss man akzeptieren. Man muss offen für Gespräche, für Probleme oder auch blöde Meinungen sein“, so Batur.

"Ich hätte mir als Jugendlicher auch gewünscht,  jemanden zu haben, der mir im Leben etwas Halt gibt"

von Sertan Batur, Psychologe

Viel reden, anderen auf Augenhöhe zu begegnen und Fragen zu stellen, das ist Baturs Art zu arbeiten. Das macht er in der Arbeit mit Jugendlichen oder seinem zweiten Standbein in der Männerberatung. Dort ist er seit dem Jahr 2008 vor allem in der Prozessbegleitung tätig. „Ich begleite Gewaltopfer jeder Art. Mein Spezialgebiet sind auch hier Jugendliche“, erklärt der Psychologe.

Wir nominieren

Bis zur "Gala der Menschlichkeit" am 10. November porträtiert die Redaktion 16 Menschen, die sich unentwegt, uneigennützig und ohne großes Aufsehen zu erregen, in den Dienst der Gemeinschaft stellen. Heute der Gesundheitspsychologe Sertan Batur.

Sie nominieren

Wenn Sie auch jemanden kennen, der sich eine Auszeichnung verdient hätte, dann reichen Sie bitte jetzt ein, unter: www.kurier.at/menschlichkeit

Wieso er gerade in beiden Bereichen mit Menschen arbeitet, die vor allem in der Opferrolle sind?

„Ich hätte mir als Jugendlicher auch gewünscht, jemanden zu haben, der mir im Leben etwas Halt gibt“, sagt Batur. Heute könne er das für andere sein. „Ich könnte auch in einer schicken Praxis sitzen und dabei deutlich mehr Geld verdienen. Ich wurde auch schon oft gefragt, warum ich das nicht mache. Aber ich wollte einfach auch etwas zurückgeben“, betont er.

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